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Grill, Erich
Der Ulmer Bildschnitzer Jörg Syrlin D. Ä. und seine Schule: ein Beitrag zur Geschichte der schwäbischen Plastik am Ausgang des Mittelalters — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 21: Strassburg: Heitz, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.73234#0059
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— 45 —

auch wenn das nicht der Fall wäre, müßte die große stili-
stische Verwandtschaft mit den erwähnten Sibyllen auf den-
selben Weg führen.
Die außerordentliche Feinheit der Arbeit schließt Schüler-
hände aus. Als Verfertiger kann nur der Meister selbst in
Betracht kommen.
Die gesteigerte Grazie weist über die Wangenbüsten des
Chorgestühls hinaus bis gegen die Entstehung des Marktbrunnens
hin. Um 1480 hätte also diese Stilphase ihren Höhepunkt er-
reicht. In den Rittergestalten am «Fischkasten» wird dann die.
Zierlichkeit zur Geziertheit.
Doch diese Verwirrung ist nur vorübergehend. Dann siegt
wieder das gesunde Naturgefühl, das in der, aus dem Rathaus
von Ravensburg in die Frankfurter Skulpturensammlung ge-
kommenen, lebensgroßen Holzfigur eines hl. Georg eine ideale
Verkörperung gefunden hat1.
Aufrecht steht er mit beiden Füßen auf dem überwundenen
Drachen, der sie in ohnmächtiger Wut umkrallt und im Todes-
krampfe den Schweif um das stahlbeschiente linke Bein seines
Bezwingers ringelt. Der umspannt noch mit festen Griffen
Lanze und Schwert, und auch die straffe Haltung des Streiters
in eiserner Wehr deutet noch auf den eben bestandenen Strauß
mit dem Lindwurm — aber seine Gedanken scheinen nicht
mehr bei dem gefahrvollen Abenteuer zu weilen. Aus dem von
langen Locken umwallten Haupt, das ein federgeziertes Barett
bedeckt, schauen die Augen mit fast kindlicher Naivität in un-
bestimmte Fernen. In dem länglichen Eirund des Gesichtes

1 Zuerst erwähnt und für Jörg Syrlin d. Aelt. in Anspruch genommen
in einem Aufsatz : «Die Skulpturensammlung der Stadt Frankfurt» von Dr. ^
G. M. (Dr. Münzel, Freiburg i./B.), abgedruckt im Feuilleton des ersten
Morgenblattes der «Frankfurter Zeitung» vom 21. Februar 1908. — Darauf
eingehend besprochen von Dr. Georg Swarzenski im «Münchner Jahrbuch-
der bild. Kunst». 1908. II. «Aus der neuen städtischen Skulpturensammlung
in Franfurt a. M.>, S. 22 ff.
h — 1.82 m bis zum oberen Barettrand; Eichenholz hell, ursprüng-
lich bemalt: Farbspuren am Mantel (rot). Abb. Münchner Jahrbuch der
bild. Kunst 1908, II, S. 20 u. 21.
Nach Abschluß meiner Arbeit ist noch in der «Hessenkunst» 1910
ein Artikel von Swarzenski erschienen: «Jörg Syrlins heiliger Georg in
der neuen städtischen Skulpturensammlung zu Frankfurt a. M.» Der Text
bietet nichts wesentlich Neues, eingefügt sind aber sehr gute Abbildungen.
 
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