Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grill, Erich
Der Ulmer Bildschnitzer Jörg Syrlin D. Ä. und seine Schule: ein Beitrag zur Geschichte der schwäbischen Plastik am Ausgang des Mittelalters — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 21: Strassburg: Heitz, 1910

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73234#0070
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 56 —

verhelfen müssen. Alle Ruhe wird in Bewegung aufgelöst, die
machtvoll aus dem Innern quillt, sich auf den sensiblen Ge-
sichtern spiegelt und in jedem Nerv der Hände vibriert. Es sei
hingewiesen auf den «Baumeister», auf «Lukas» oder «David»
um den Abstand von den übrigen Syrlinwerken zu illustrieren
und zugleich den ausgesprochenen barocken Charak-
ter dieser Weingartener Plastiken festzustellen, die wir darum
als letztes Werk Jörg Syrlins d. Aelt. ansprechen.
In des Meisters Wirken lassen sich also 4 Perioden nach
den entsprechenden Stilarten unterscheiden:
I. (primitiver) Frühstil (Lesepult — Dreisitz). Spät-
gotik [1458—1468].
II. (anmutig-naturalistischer) Stil der ersten Reife
(Chorgestühl — «Donauweibchen»). Renaissance
[1469— um 1479].
III. (gezierter) Mittlerer Stil («Fischkasten» —
St. Georg) Barocke Gotik [um 1480 — 1485].
IV. (realistischer) Reifer Spätstil (Münchner Büsten).
Barock [um 1486—1491].
Nachdem wir so ein Bild der künstlerischen Entwicklung
des älteren Syrlin gewonnen haben, kehren wir noch einmal
zu den Anfängen seiner Kunst zurück. Indem wir die (von
Stadler aufgestellte) These: von der Mitarbeit am Sterzinger
Altar ablehnten, blieb die Frage offen: wer denn als eigent-
licher Vorläufer des Meisters Jörg zu gelten hat? Denn die
angenommenermaßen bei seinem Vater, dem «Zimmermann»,
durchgemachte Lehrzeit genügt nicht als Erklärung für die
epochemachende Wandlung, die der Schöpfer des Ulmer Chor-
gestühls in der Plastik seiner Vaterstadt herbeiführt. Wenn
also Hans Multscher nicht und Hainz Syrlin nur in be-
schränktem Maße (d. h. insofern das rein Handwerk-
liche in Betracht kommt) seine Lehrer gewesen sind — wer
war es dann? Von woher mag auf die schwäbische Bildnerei
diese ganz andersartige Technik gekommen sein? Wer mag
ihr diesen neuen Formensinn, der deutlich niederländische Ein-
flüsse verrät, vermittelt haben?
 
Annotationen