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mit dem Rohen ohne Unterschied, und der Techniker, der seinen Unterricht selten aus der Quelle
schöpfen kann, wird natürlich auf falsche Wege geleitet, da gerade das sonderbare und bizarre
am meisten anzieht.
Wie im ganzen Reiche neuerer Baukunst nur wenige Meister sich hervorgethan haben, und
nur wenig wahrhaft gelungenes aufzuzählen ist, indem das Haschen nach Effect und neuen Zier-
rathen dem tiefern Verständniss der Verhältnisse vorgezogen wird, findet dieser Uebelstand in
grösserm Maase an den Neubauten christlichen Styles statt.
Diesen Fehlern, bei einem jugendlichen Kunststreben unvermeidlich, nach meinen Kräften
entgegenzuarbeiten, wählte ich für diese Sammlungen nur Vorwürfe, welche durch Einfachheit
in Bezug auf Ausführung sich empfehlen, indem ich dem ausübenden Künstler das Materialc für
reichere Compositionen darreiche.
In Folge eines Rufes für das Lehrfach der Baukunst an einer technischen Anstalt fühlte ich
noch mehr den Mangel einer zweckmässigen Uebersicht; zugleich aber bestimmten mich mehrsei-
tige Auffoderungen wie eigne Noth, diese Ornamentensammlung, gegen meinen Willen, der Con-
structionslchrc vorauszusenden. Alle in diesem Werke enthaltenen Belege habe ich selbst an Ort
und Stelle aufgenommen, der Maasstab ist, wenn nicht besonders angegeben wird, auf die Hälfte
reducirt. Vier und zwanzig Blätter umfassen die ältere Periode vom neunten bis ins zwölfte
Jahrhundert, eben so viele umschlicssen die folgende Zeit bis um's Jahr 1500.
Vorliegende Ornamentik enthält nur die vegetabilcn Elemente ohne Verbindung mit Linien,
und ohne jene reichen geometrischen Verzierungen, die besonders in der spätem Periode so
unendlich vielfach an den Gallcrien, Thüren und Fenstern vorkommen, wie auch ganz glatte
Flächen ausfüllen. Da diese Art von Zierrathcn aus den Construktionen hervorgeht, soll sie auch
in der Lehre von diesen erörtert werden.
Das zwölfte Jahrhundert mag als das sinnreichste in Erfindung von Verzierungen betrachtet
werden, und die Anwendung derselben in diesem Zeiträume findet häufiger und mehrfacher statt,
als späterhin. Wir sehen in dieser eben besprochenen Zeit die Säulenschäfte nebst ihren Basen,
die Fenster und Thürverkleidungen wie die Gesimse und Gurten aufs reichste verziert, und zu-
gleich die Ornamente mit jenem plastischen Sinne bearbeitet, der die Griechen leitete. Auch die
Anordnung der Ornamente ist mehr nach antiker Weise: so werden Tragsteine zur Unterstützung
der Gesimse gebraucht, wie auch Zahnschnitte, nur erscheinen diese in keilförmiger Gestalt.
Ganz anders tritt die Verzierungskunst der spätem, teutschen Periode auf, die ihre Motive
aus der sie umgebenden Pflanzenwelt nimmt, und häufig ohne den nöthigen plastischen Sinn, nur
Naturstudien ähnlich, anbringt. Die reichen Friese, die sich im Innern der frühern Bauten er-
geben, fallen nun bei den in die Höhe gezogenen engen Formen hinweg, und mit ihnen das
ergiebigste Feld für Ornamentik. Dagegen erscheint die Giebclblume (fortlaufende Akroterie), und
die kreuzförmige Stirnblume (Haupt-Akroterie), welche die Spitze aller Giebel und Pyramiden
krönt.
Die Gliederungen sind nur selten verziert, dafür aber reicher und tiefer profilirt; nur die
grossen Kehlen der Gesimse und Thüreinfassungen sind mit Eichen - oder Wehjlaub in der Regel
versehen. Am manigfachsten sind die Kapitale mit Blumen, Blättern, Figuren und Larven geschmückt,
wie auch die verschiedenen Träger und Gewölbcschlusssteinc. Die Glasmalerei eignete sich die
Verzierungen des Steinbaues gleichfalls an, doch bediente man sich auch häufig mosaikartiger,
bunter Zusammenstellungen.
Die hier gewählte Grösse der Ausführung wird an Deutlichkeit für jeden technischen Zweck
genügen, zugleich aber mag dem Alterthumsforscher diese gedrängte Charakteristik nicht ohne
Interesse seyn.
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mit dem Rohen ohne Unterschied, und der Techniker, der seinen Unterricht selten aus der Quelle
schöpfen kann, wird natürlich auf falsche Wege geleitet, da gerade das sonderbare und bizarre
am meisten anzieht.
Wie im ganzen Reiche neuerer Baukunst nur wenige Meister sich hervorgethan haben, und
nur wenig wahrhaft gelungenes aufzuzählen ist, indem das Haschen nach Effect und neuen Zier-
rathen dem tiefern Verständniss der Verhältnisse vorgezogen wird, findet dieser Uebelstand in
grösserm Maase an den Neubauten christlichen Styles statt.
Diesen Fehlern, bei einem jugendlichen Kunststreben unvermeidlich, nach meinen Kräften
entgegenzuarbeiten, wählte ich für diese Sammlungen nur Vorwürfe, welche durch Einfachheit
in Bezug auf Ausführung sich empfehlen, indem ich dem ausübenden Künstler das Materialc für
reichere Compositionen darreiche.
In Folge eines Rufes für das Lehrfach der Baukunst an einer technischen Anstalt fühlte ich
noch mehr den Mangel einer zweckmässigen Uebersicht; zugleich aber bestimmten mich mehrsei-
tige Auffoderungen wie eigne Noth, diese Ornamentensammlung, gegen meinen Willen, der Con-
structionslchrc vorauszusenden. Alle in diesem Werke enthaltenen Belege habe ich selbst an Ort
und Stelle aufgenommen, der Maasstab ist, wenn nicht besonders angegeben wird, auf die Hälfte
reducirt. Vier und zwanzig Blätter umfassen die ältere Periode vom neunten bis ins zwölfte
Jahrhundert, eben so viele umschlicssen die folgende Zeit bis um's Jahr 1500.
Vorliegende Ornamentik enthält nur die vegetabilcn Elemente ohne Verbindung mit Linien,
und ohne jene reichen geometrischen Verzierungen, die besonders in der spätem Periode so
unendlich vielfach an den Gallcrien, Thüren und Fenstern vorkommen, wie auch ganz glatte
Flächen ausfüllen. Da diese Art von Zierrathcn aus den Construktionen hervorgeht, soll sie auch
in der Lehre von diesen erörtert werden.
Das zwölfte Jahrhundert mag als das sinnreichste in Erfindung von Verzierungen betrachtet
werden, und die Anwendung derselben in diesem Zeiträume findet häufiger und mehrfacher statt,
als späterhin. Wir sehen in dieser eben besprochenen Zeit die Säulenschäfte nebst ihren Basen,
die Fenster und Thürverkleidungen wie die Gesimse und Gurten aufs reichste verziert, und zu-
gleich die Ornamente mit jenem plastischen Sinne bearbeitet, der die Griechen leitete. Auch die
Anordnung der Ornamente ist mehr nach antiker Weise: so werden Tragsteine zur Unterstützung
der Gesimse gebraucht, wie auch Zahnschnitte, nur erscheinen diese in keilförmiger Gestalt.
Ganz anders tritt die Verzierungskunst der spätem, teutschen Periode auf, die ihre Motive
aus der sie umgebenden Pflanzenwelt nimmt, und häufig ohne den nöthigen plastischen Sinn, nur
Naturstudien ähnlich, anbringt. Die reichen Friese, die sich im Innern der frühern Bauten er-
geben, fallen nun bei den in die Höhe gezogenen engen Formen hinweg, und mit ihnen das
ergiebigste Feld für Ornamentik. Dagegen erscheint die Giebclblume (fortlaufende Akroterie), und
die kreuzförmige Stirnblume (Haupt-Akroterie), welche die Spitze aller Giebel und Pyramiden
krönt.
Die Gliederungen sind nur selten verziert, dafür aber reicher und tiefer profilirt; nur die
grossen Kehlen der Gesimse und Thüreinfassungen sind mit Eichen - oder Wehjlaub in der Regel
versehen. Am manigfachsten sind die Kapitale mit Blumen, Blättern, Figuren und Larven geschmückt,
wie auch die verschiedenen Träger und Gewölbcschlusssteinc. Die Glasmalerei eignete sich die
Verzierungen des Steinbaues gleichfalls an, doch bediente man sich auch häufig mosaikartiger,
bunter Zusammenstellungen.
Die hier gewählte Grösse der Ausführung wird an Deutlichkeit für jeden technischen Zweck
genügen, zugleich aber mag dem Alterthumsforscher diese gedrängte Charakteristik nicht ohne
Interesse seyn.
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