V: SCHILLER
WENN indes diese Synthese doch nicht nur auf einige große
Geister beschränkt blieb, wenn von den durch die Wieder?
entdeckung Shakespeares entfesselten Lebenskräften über
die schöpferische Bewegung hinaus auch Publikum und Theater be?
fruchtet und erschüttert wurden, wenn Shakespeare wirklich ein Eie?
ment nicht nur des Sachwissens wurde, sondern ein lebendiger Faktor
der allgemeinen Bildung, kurz, wenn er, wie man sagt, »ins Volk
drang«: so hat er das weder der Eschenburgischen Übersetzung zu
verdanken noch den Schröderischen Aufführungen, die ihn ent?shake?
spearten, überhaupt keiner direkten Vermittelung seiner Stücke, son?
dern der Vermittelung derjenigen Elemente seines Wesens welche in
Schiller Gestalt und Gewalt gewonnen hatten. Man kann über den
Wert und die Notwendigkeit einer allgemeinen Bildung, »Volks?
Bildung«, verschiedener Meinung sein, in ihrer Schätzung sehr ab?
weichen von dem selbstverständlichen Beifall der ihr heute gespendet
wird, aber daß sie existiert, daß das Publikum nach Bildung verlangt,
daß es sich um Dichtung kümmert, daß das Drama auch höheren
Stils gefordert wird, daß Idealismus als populäre Phrase zum guten
Ton gehört, daß die Beschäftigung mit Kunstfragen und Lebens?
Problemen im Publikum selbst, wo nicht vorhanden ist, so doch
geheuchelt werden muß: kurz, daß Geist und Publikum, Kunst
und Volk in eine wenn auch noch so fratzenhafte, verlogene und
bastardierte Wechselbeziehung getreten sind, und diese Wechsel?
Beziehung zu den unbestrittenen Postulaten und Problemen der deut?
sehen Bildung gehört: das ist Schillers Werk. Wenn man einen Men?
sehen den Schöpfer der allgemeinen deutschen Bildung nennen will,
so ist es Schiller. Nicht daß er die Substanzen und Triebe geschaffen
hätte von denen diese allgemeine Bildung parasitisch zehrt — die haben
andere neben und vor ihm geschaffen, vor allem Goethe und Kant.
Aber er hat die Substanzen — nicht verbreitet, sondern sie durch sei?
nen Geist zubereitet, daß sie dem Volk »zugänglich« wurden, er hat
dem Publikum Organe geschaffen um das Wesenhafte, wenn auch
nur abgeleitet, irgendwie zu ergreifen. Er verwandelte alles was Ur?
kraft oder Gestalt war, in Ideen, in ein Mittelding zwischen Leben
WENN indes diese Synthese doch nicht nur auf einige große
Geister beschränkt blieb, wenn von den durch die Wieder?
entdeckung Shakespeares entfesselten Lebenskräften über
die schöpferische Bewegung hinaus auch Publikum und Theater be?
fruchtet und erschüttert wurden, wenn Shakespeare wirklich ein Eie?
ment nicht nur des Sachwissens wurde, sondern ein lebendiger Faktor
der allgemeinen Bildung, kurz, wenn er, wie man sagt, »ins Volk
drang«: so hat er das weder der Eschenburgischen Übersetzung zu
verdanken noch den Schröderischen Aufführungen, die ihn ent?shake?
spearten, überhaupt keiner direkten Vermittelung seiner Stücke, son?
dern der Vermittelung derjenigen Elemente seines Wesens welche in
Schiller Gestalt und Gewalt gewonnen hatten. Man kann über den
Wert und die Notwendigkeit einer allgemeinen Bildung, »Volks?
Bildung«, verschiedener Meinung sein, in ihrer Schätzung sehr ab?
weichen von dem selbstverständlichen Beifall der ihr heute gespendet
wird, aber daß sie existiert, daß das Publikum nach Bildung verlangt,
daß es sich um Dichtung kümmert, daß das Drama auch höheren
Stils gefordert wird, daß Idealismus als populäre Phrase zum guten
Ton gehört, daß die Beschäftigung mit Kunstfragen und Lebens?
Problemen im Publikum selbst, wo nicht vorhanden ist, so doch
geheuchelt werden muß: kurz, daß Geist und Publikum, Kunst
und Volk in eine wenn auch noch so fratzenhafte, verlogene und
bastardierte Wechselbeziehung getreten sind, und diese Wechsel?
Beziehung zu den unbestrittenen Postulaten und Problemen der deut?
sehen Bildung gehört: das ist Schillers Werk. Wenn man einen Men?
sehen den Schöpfer der allgemeinen deutschen Bildung nennen will,
so ist es Schiller. Nicht daß er die Substanzen und Triebe geschaffen
hätte von denen diese allgemeine Bildung parasitisch zehrt — die haben
andere neben und vor ihm geschaffen, vor allem Goethe und Kant.
Aber er hat die Substanzen — nicht verbreitet, sondern sie durch sei?
nen Geist zubereitet, daß sie dem Volk »zugänglich« wurden, er hat
dem Publikum Organe geschaffen um das Wesenhafte, wenn auch
nur abgeleitet, irgendwie zu ergreifen. Er verwandelte alles was Ur?
kraft oder Gestalt war, in Ideen, in ein Mittelding zwischen Leben