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Fig. 2. Kopf des jungen üctavianus im Vatican.
II.

Die Schulmeister möchten uns gar zu gerne glauben machen, Literatur und Kunst ent-
wickelten sich in geraden Linien, erst einer lobenswerth aufsteigenden, dann in einer abfallenden,
die sehr zu tadeln sei, damit sie sich selber auf den Gipfel der Pyramide träumen können, wo
sie gütig, sei es dem Sophokles, sei es dem Phidias, die wohlverdienten Siegeskränze reichen.
Eher könnte man den Lauf der Dichtung und der Bildkunst einer jener schönen griechischen
Akanthusranken vergleichen, die sich aufbäumt, einen Zweig entsendet, der, in sich gewunden, in-
mitten eine herrliche Blüthe birgt, darauf zu Boden sinkt, um sich wieder zu erheben und das
prächtige Wellenspiel immer von Neuem zu beginnen, während daneben bald oben, bald unten
ungeberdige Sprösslinge herausschiessen, jenen geregelten Wechsel schalkhaft zu unterbrechen.
Grosse Künstler von ursprünglicher Eigenart hemmen jenes Aufsteigen jedesmal, weil sie bei den
nachfolgenden Geschlechtern die leisen Ansätze der Originalität ersticken, sie zu beständiger Nach-
ahmung zwingen, die endlich eine Gemeinsamkeit des Ausdruckes aller Erzeugnisse bewirkt und
die Kunst zur Flachheit herabsinken macht, bis aus der Ebene allgemach frische Triebe empor-
schiessen, die wieder zu neuen Eigenthümlichkeiten emporwachsen können.

So stehen uns bei vergleichender Betrachtung Phidias oder Praxiteles nicht mehr auf jener
einzigen Spitze, worauf den ersten die süsslichen Pedanten unseres Jahrhunderts, den anderen
jene des Alterthums gesetzt hatten, sondern sie bezeichnen uns höchste Punkte in einer wogenden
Bewegung, die auch dann nicht zur Ruhe kam, als die grossen Künstler des vierten Jahrhunderts
ihre neuen Göttertypen geschaffen hatten. Aus jenen Gestalten im leuchtenden Jugendglanze ent-
wickelt sich schliesslich ein Stil von lieblichem Gleichmasse, der heute das Ideal aller archäolo-
gischen Jugendschriften ist. Es darf keine Dissertation gedruckt werden, die nicht zum Resultate
 
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