i63
Die Figuren sind in Fleisch und Gewändern lebhaft gefärbt, die Gewänder meist in den
ungebrochenen Tönen des Pigmentes oder wenigstens gleichmässig im Tone der vorbereiteten
Mischung, mit dunkleren und helleren Nuancen, die sich deutlich von einander absetzen, modellirt
und die Sonderung der Theile im Fleisch sowohl als in den Gewändern durch auf die Farben
gezeichnete schwarze Linien vollendet. Nur weisse Gewänder und das weisse Haar der Greise
sind noch wirklich malerisch behandelt, wie man denn auch bei späteren Manuscripten sehen kann,
dass sich lange noch eine verständige Behandlung der weissen Tücher bewahrt hat, gleichsam als
ein Ueberrest aus der Zeit, wo die antike Malerei Freilichtmalerei war.
Der Miniaturist hat nicht alles selbst ausgeführt und es sind andere Hände deutlich zu
unterscheiden, wenn auch die gemeinsame Leitung in Anlage und Behandlung nicht zu verkennen
ist. Seite i, 2, 3, 4, 6, 9, 10, i3, 14, 15, 16 rühren ganz von einer Hand her, die auch die
Composition für 7, 8 und 11, 12 entworfen, diese aber von einem geringeren Gesellen hat aus-
führen lassen. Seite 17, 18, ig, 20 sind zwar technisch nicht anders- als die soeben genannten
Blätter durchgeführt; die Compositionen in ihrer Gesammtanlage sind jedoch, wie man auf den
ersten Blick sieht, so verschieden von den früheren Blättern, dass hier nur an die Beeinflussung
durch einen andern Künstler gedacht werden kann. Erinnern wir uns nun, dass die antike Kunst
in der letzteren Zeit bucolische Scenen begünstigte, dass in alten christlichen Kirchen, wie in der
Capelle des h. Aquilinus in S. Lorenzo in Mailand und in SS. Nazaro e Celso in Ravenna,
Christus als guter Hirte auf der Wiese unter den Lämmern oder gar belanglose Hirtenscenen dar-
gestellt sind, dass auf dem Apsismosaik in S. Apollinare in Classe, das auf ein sehr altes Vorbild
zurückgeht,1 der beblümte Wiesengrund wie auf diesen Blättern aufsteigt, so wird man wohl mit
Recht vermuthen dürfen, hier hätten Vorbilder der monumentalen Kunst eingewirkt, nicht so, dass
sie etwa copirt worden wären, sondern dadurch, dass sie für die Anordnung des Schauplatzes und
für die Vertheilung der Figuren Muster boten. Bei dem Bilde mit der Sündfluth, wo unser
Miniaturist ganz aus seiner Weise fällt und ein raumumschlossenes Bild mit atmosphärischen
Erscheinungen gibt, muss direct eine Vorlage der grossen Malerei benützt sein, ein Tafelbild
vielleicht, das von einem Maler entworfen wurde, der noch der Kunstrichtung angehörte, die uns
in dem Werke des Philostratus in so zahlreichen Beispielen beschrieben ist. Das mag dahin geführt
haben, auf der nächsten Seite, Fol. 5, gleich einen gewandten Tafelmaler mit der Ausführung betraut
zu haben. Gezeichnet oder wenigstens disponirt ist die Composition noch von dem Miniaturisten,
der auch hier wieder von der Luft nur das Scheibensegment mit der Hand Gottes hatte geben
wollen; gemalt aber ist das Blatt mit seinen köstlichen Rosenwolken, seinen phantastischen Bogen,
seiner breiten Modellirung in Gewand und Fleischpartien von einem Künstler, dem später die Aus-
führung von Seite 35 bis 44, d. i. des 12. und i3. Binios, selbstständig war anvertraut worden.
Man wird dort jeden Kopf, der auf der fünften Seite erscheint, ebenso gezeichnet und modellirt
wiederfinden.
In allen Fällen halten sich die Bilder genau an den Text; nur den Melchisedek hat der Maler
die Opfergaben von einem Altartisch nehmen lassen, über dem sich ein Ciborium erhebt, und so
die typologische Darstellung durch das unblutige Opfer des neuen Bundes in die Genesis hinein-
getragen.
Der Colorist, Seite 21 — 32: Mit dem Maler der vorhergehenden Blätter hängt er insoferne
zusammen, als er auf demselben Standpunkte in Bezug auf den räumlichen Zusammenhang steht,
mit Ausnahme von Seite 22 und 2 3 das Bild aus zwei unverbunden übereinanderstehenden Streifen
zusammensetzt; ja auf Seite 24, wo er doch rechts den die beiden Streifen verbindenden Felsen
setzt, lässt er links die Sonne für den unteren Streifen besonders aufgehen. Nirgends füllt er den
De Waals Römische Quartalschrift, III. Bd., 1889, S. 168 ff.
Die Figuren sind in Fleisch und Gewändern lebhaft gefärbt, die Gewänder meist in den
ungebrochenen Tönen des Pigmentes oder wenigstens gleichmässig im Tone der vorbereiteten
Mischung, mit dunkleren und helleren Nuancen, die sich deutlich von einander absetzen, modellirt
und die Sonderung der Theile im Fleisch sowohl als in den Gewändern durch auf die Farben
gezeichnete schwarze Linien vollendet. Nur weisse Gewänder und das weisse Haar der Greise
sind noch wirklich malerisch behandelt, wie man denn auch bei späteren Manuscripten sehen kann,
dass sich lange noch eine verständige Behandlung der weissen Tücher bewahrt hat, gleichsam als
ein Ueberrest aus der Zeit, wo die antike Malerei Freilichtmalerei war.
Der Miniaturist hat nicht alles selbst ausgeführt und es sind andere Hände deutlich zu
unterscheiden, wenn auch die gemeinsame Leitung in Anlage und Behandlung nicht zu verkennen
ist. Seite i, 2, 3, 4, 6, 9, 10, i3, 14, 15, 16 rühren ganz von einer Hand her, die auch die
Composition für 7, 8 und 11, 12 entworfen, diese aber von einem geringeren Gesellen hat aus-
führen lassen. Seite 17, 18, ig, 20 sind zwar technisch nicht anders- als die soeben genannten
Blätter durchgeführt; die Compositionen in ihrer Gesammtanlage sind jedoch, wie man auf den
ersten Blick sieht, so verschieden von den früheren Blättern, dass hier nur an die Beeinflussung
durch einen andern Künstler gedacht werden kann. Erinnern wir uns nun, dass die antike Kunst
in der letzteren Zeit bucolische Scenen begünstigte, dass in alten christlichen Kirchen, wie in der
Capelle des h. Aquilinus in S. Lorenzo in Mailand und in SS. Nazaro e Celso in Ravenna,
Christus als guter Hirte auf der Wiese unter den Lämmern oder gar belanglose Hirtenscenen dar-
gestellt sind, dass auf dem Apsismosaik in S. Apollinare in Classe, das auf ein sehr altes Vorbild
zurückgeht,1 der beblümte Wiesengrund wie auf diesen Blättern aufsteigt, so wird man wohl mit
Recht vermuthen dürfen, hier hätten Vorbilder der monumentalen Kunst eingewirkt, nicht so, dass
sie etwa copirt worden wären, sondern dadurch, dass sie für die Anordnung des Schauplatzes und
für die Vertheilung der Figuren Muster boten. Bei dem Bilde mit der Sündfluth, wo unser
Miniaturist ganz aus seiner Weise fällt und ein raumumschlossenes Bild mit atmosphärischen
Erscheinungen gibt, muss direct eine Vorlage der grossen Malerei benützt sein, ein Tafelbild
vielleicht, das von einem Maler entworfen wurde, der noch der Kunstrichtung angehörte, die uns
in dem Werke des Philostratus in so zahlreichen Beispielen beschrieben ist. Das mag dahin geführt
haben, auf der nächsten Seite, Fol. 5, gleich einen gewandten Tafelmaler mit der Ausführung betraut
zu haben. Gezeichnet oder wenigstens disponirt ist die Composition noch von dem Miniaturisten,
der auch hier wieder von der Luft nur das Scheibensegment mit der Hand Gottes hatte geben
wollen; gemalt aber ist das Blatt mit seinen köstlichen Rosenwolken, seinen phantastischen Bogen,
seiner breiten Modellirung in Gewand und Fleischpartien von einem Künstler, dem später die Aus-
führung von Seite 35 bis 44, d. i. des 12. und i3. Binios, selbstständig war anvertraut worden.
Man wird dort jeden Kopf, der auf der fünften Seite erscheint, ebenso gezeichnet und modellirt
wiederfinden.
In allen Fällen halten sich die Bilder genau an den Text; nur den Melchisedek hat der Maler
die Opfergaben von einem Altartisch nehmen lassen, über dem sich ein Ciborium erhebt, und so
die typologische Darstellung durch das unblutige Opfer des neuen Bundes in die Genesis hinein-
getragen.
Der Colorist, Seite 21 — 32: Mit dem Maler der vorhergehenden Blätter hängt er insoferne
zusammen, als er auf demselben Standpunkte in Bezug auf den räumlichen Zusammenhang steht,
mit Ausnahme von Seite 22 und 2 3 das Bild aus zwei unverbunden übereinanderstehenden Streifen
zusammensetzt; ja auf Seite 24, wo er doch rechts den die beiden Streifen verbindenden Felsen
setzt, lässt er links die Sonne für den unteren Streifen besonders aufgehen. Nirgends füllt er den
De Waals Römische Quartalschrift, III. Bd., 1889, S. 168 ff.