Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Triptychon: Von Sterbebetten und Grablegungen

Das erste Bild zeigt das Schlafzimmer einer wohleingerichteten Bürgerstu-
be; neben dem Bett ein Tischchen mit einer Anzahl von Repetieruhren,
einer Karaffe Wasser und Blumen. Es ist der Abend eines dunklen Novem-
bertages im Jahr 1825. Um das Bett, in dem als bequemem Sterbelager ei-
ner, der etwa Anfang 60 ist, sehr ruhig - dem Takt der Repetieruhren zum
Trotz — ins Unbekannte hinüberschlummert, stehen als berufliche Sterbe-
registratur der Arzt, als innerlich Mitsterbende die Frau mit den Kindern
des Moribunden und zwei seiner Freunde. »Wir wollens gehen lassen«
waren die letzten Worte des soeben endgültig Verstummten.

Jetzt — bald nachdem der Tod den Sterbeschlummer abgeschnitten,
um genau zu sein: drei Tage später, gibt die ganze Stadt dem Leichnam
das letzte Geleit, und das große Geläut aller Glocken, vermischt mit Trau-
ermusik, begleitet den Zug hinaus zum Friedhof an der »Straße nach der
Fantaisie«. Ein rechter Pompe funebre ists: Der vollzählige Stadtmagistrat
nebst Bürgermeister, der Königliche General-Kreiskommissär geht neben,
oder hinter, oder vor dem Regierungspräsidenten und den Repräsentanten
der sonstigen Zivil- und ersten Militärberhörden, die Geistlichen nicht zu
vergessen. Unzählige Fackeln, Laternen, Pechpfannen beleuchten ernste
Mienen und - Bücher, Bücher die von robusten Elementarschülern, zar-
ten Gymnasiasten und Lyceisten wie die Trophäen eines siegreichen Feld-
herrn hinter dem Leichenwagen hergetragen werden, Bücher, deren Titel
den Namen des Toten erraten lassen: Levana oder Erziehlehre, Vorschule
der Ästhetik, Die Unsichtbare Loge. Und, siehe da, wie zur allegorischen
Krönung des toten Allegoristen und Sprachbewegers oben auf dem Sarg
befestigt und von einem Lorbeerkranz umrahmt der in rotes Corduan ge-
bundene Manuskript-Torso der Erzählung Seiina oder über die Unsterblich-
keit der Seele.

Ist den Chronisten zu trauen, so war Jean Paul Richters Grablegung
in Bayreuths Friedhof an der »Straße nach der Fantaisie« eine vollendete
Inszenierung seiner Idee der im literarischen Gedächtnis fort- und immer
fortdauernden Existenz und zugleich die pompöse Darstellung jener so-
zialen Reputation, die das gedruckte Wort dem mit Ehrendoktorwürden
geschmückten Erfolgreichen bei allen nicht gemeinen Ständen seiner Zeit
eingebracht hat. Zu Lebzeiten schrieb der Selige, man lebe »jetzo mehr im
Vernichten als im Erschaffen«.1 Der Glanz der Grablegung und die erha-
benen Epitaphien, die hinter ihm her schallten, haben diese Beobachtung
Lügen gestraft.

Ein anderes Bild: Ein Zimmerchen, schmucklos, nur mit dem Nötig-
sten möbliert. Es ist eine frühsommerliche Mondnacht im Jahr 1843, ge-

272
 
Annotationen