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Universität Heidelberg [Hrsg.]
Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Winter-Halbjahr 1898/99 — Heidelberg, 1898-1899

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Nr. 18 (4. März 1899)
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1898/99

Heidelbeegee Akademische Mitteilungen

Nr. 18

Ueber den
Kommers zu Ehren des Herrn Geh. Rat ßekker
geht uns aus Studentenkreise folgender ausführlicher
Bericht zu:
Am 18. v. M. versammelten sich im grossen Saale
des Museums Heidelbergs Dozenten, deren Ehrengäste
und die Studenten, um in einem glänzend verlaufenen
Kommerse das 50jährige Doktorjubiläum des Herrn Ge-
heime Rats Prof. Dr. Immanuel Bekker zu feiern.
Pünktlich 8 */i Uhr erschien der Jubilar in Beglei-
tung der juristischen Fakultät, von der Studentenschaft
durch Erheben von den Plätzen begrüsst. Nachdem er
auf seinem mit Blumen reich geschmückten Sessel Platz
genommen hatte, eröffnete der Vorsitzende des Studenten-
ausschusses Herr' cand. med. Walther Hoffmann (Leo-
nensiae) den Kommers und forderte die Versammlung
auf, auf den fröhlichen Verlauf des Abends einen kräf-
tigen Salamander zu reiben.
Die erste Rede hielt Seine Magnificenz der Herr
Prorektor auf den Kaiser und den Grossherzog von
Baden. In ihr erklärte Geheime Hofrat Kehr er zuerst
den Grund der Feier. Blicke der Jubilar zurück, so
müsste er sagen, ein schönes Leben liege hinter ihm.
Was alles sei allein in der Politik geschehen. In frühem
Zeiten habe Napoleon Europas Geschicke entschieden.
Die Zeiten seien Dank der grossen Männer von 1870
vorüber. Auch jetzt arbeiteten die Fürsten an Deutsch-
lands Grösse weiter. Es sei ein dankbarer Ausdruck
des deutschen Gemütes, wenn au erster Stelle derer ge-
dacht würde, die an der Spitze von Reich und engerem
Vaterlande ständen. Und so forderte Geheime Hofrat
Kehrer die Festversammlung auf, einen donnernden
Salamander auf Se. Majestät den deutschen Kaiser und
Se. Königl. Hoheit den Grossherzog zu reiben.
Nachdem das Lied „Aus Feuer ward der Geist ge-
schaffen, drum schenkt mir süsses Feuer ein“ verklungen
war, erhob sich der Dekan der juristischen Fakultät,
Herr Prof. v. Lilienthal, um die Festrede zu halten.
Was das Diplom verkündete, habe er zu Ehren ge-
bracht; wo man die Wissenschaft kennt, kennt man
Immanuel Bekker: Dem jungen Leutnant hätte sich
später wahrscheinlich auch der Lorbeer gezeigt, stände
er doch auch heute noch im hohen Ansehen bei seinem
alten Regimente, wie das eingetroffene Glückwunsch-
Telegramm bewiesen, doch er zog es vor, sich der
alma mater zu widmen? Sein erstes Werk, „Theorie
des deutschen Strafrechts“, ist Savigny durchaus wür-
dig, dem er es gewidmet hat. Für kurze Zeit kehrte
Bekker zur praktischen Thätigkeit zurück, nämlich zur
Zeit, als Bismarck von allen geschmäht wurde. Doch
auch die Politik vermochte ihn nicht zu fesseln, er
kehrte zu seiner Wissenschaft zurück. Es erschienen
jetzt die Werke „Die Aktiome des römischen Privat-
rechts“ und „Das System des heutigen Pandektenrechts“.
Dann die köstliche Gabe an Ihering „Ueber das Wesen,
Methode und Umfang unserer Wissenschaft.“ Die meisten
kennen ihn als Lehrer. Was er ist und was er noch
lange sein kann, braucht Redner nicht zu sagen. Von
wahrhaft bedeutenden Männern kann man mehr lernen,
als nur das, was sie in Schriften niedergelegt haben.
Lernen können wir von Bekker vor allem, streng sein
gegen sich selbst; halbe Wahrheiten zu verabscheuen.
Bekker liebt die Frische. Mit freudigem Herzen können
wir zu ihm auf blicken: in wunderbarer Frische steht
er vor uns. Der Redner schliesst mit den Worten:
„Glückwünsche für das Vollbrachte, Glückwünsche für
weiteres Gelingen.“
Nach ihm erhob sich Prof. Merkel aus Göttingen
um Geh. Rat Bekker als Pandektisten insbesondere zu

feiern. Heidelberg und die Pandekten seien eng ver-
bunden. Der Vorsitzende erinnerte an Wangerow, Wind-
scheid und andere. Als die Fortsetzung jener Männer
können wir den Jubilar ansehen. Mit seinem „System
des Pandektenrechts“ hat er eine Brücke über die
Kluft der Theorie und Praxis schlagen wollen. Der
Redner spricht zum Schluss den Wunsch aus, das Werk
möge als das bedeutungsvollste in der Wissenschaft
nun seiner Vollendung entgegengehen.
Bald darauf ergriff Herr Oberbürgermeister Dr.
Wilckens das Wort, um im Namen der Stadt Heidel-
berg dem Ehrenbürger Heidelbergs die herzlichsten
Glückwünsche zu seinem Jubelfeste darzubringen.
Im Namen der Studentenschaft brachte der Ver-
treter des S.-C. im engeren Ausschuss, Herr Graf Kanitz,
dem Jubilar die Glückwünsche dar. Er führte den Ge-
danken aus, dass junge Studenten, die ohne Interesse
für das Jus hierhergekommen seien, durch seinen Vor-
trag, durch seine Persönlichkeit für dieses Fach inter-
essiert, begeistert und entflammt worden seien. Des
weiteren erwähnte er, der Jubilar habe sich deshalb
so jung und so frisch erhalten, weil er seinen Jugend-
idealen stets treu geblieben sei und sich dem Kreise
der Jugend nie entfremdet, sondern stets recht rege
mit ihr verkehrt habe.
Nun. ergriff Herr Geh. Rat Bekker das Wort zu
folgender Dankesrede:
Hochgeehrte Freunde. Teure, liebe Kommilitonen!
An diesen beiden Tagen, gestern und heute sind mir von Nah
und Fern so viele schöne Grüsse zugekommen und auch hier habe
ich wieder so viele freundliche Worte gehört, dass meine Kräfte durch-
aus nicht genügen, um auf das Alles zu antworten, wie ich wohl
möchte. Verzeihung also, dass ich mich auf wenige Betrachtungen
beschränke.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, zumal auf die letzten
50 Jahre, so sehe ich, dass Glück und Unglück in bunter Abwechslung
mir begegnet sind, ähnlich wie den meisten andern Menschen. Eines
darf.ich aber als ganz besonderes und durchdauerndes Glück preisen:
in eine geradezu unvergleichliche Periode der Entwickelung und des
Fortschritts hineingeboren zu sein. Ich will nur zwei Namen nennen
und Sie erinnern, dass fast die ganze Wirksamkeit von Bismarck
und von Helmholtz in das Halbjahrhundert gefallen ist.
Vor 50 Jahren war der Satz von der Erhaltung der Kratt kaum
gefunden, die darwinistische Lehre wenig bekannt, von der Spektral-
analyse ahnte wohl noch niemand etwas, ähnlich von der Bakterio-
logie und dem wirklichen Wesen der Elektricität. Und all’ diese
grossen Entdeckungen, wie haben sie neben unserm Wissen auch
das Können gefördert und damit einen Wohlstand herbeigeführt, wie
ihn früher niemand auch nur zu träumen wagte. Daneben der po-
litische Fortschritt. Wir haben uns unter unserm grossen Kaiser
das deutsche Reich errungen; ähnlich hat Italien sich geeinigt, im
fernen Osten ist Japan als jugendlicher, vielversprechender Staat
erstanden und auch Nordamerika hat ein neues Dasein begonnen.
Telegraphennetze umspannen die ganze Welt, unsere grossen Dampfer
durchfurchen alle Meere, wie lange wird es dauern, bis dass auch
Schienenstränge über den ganzen kulturfähigen Erdboden laufen.
Wahrlich man möchte vermuten, dass wir uns jetzt erst mit eilenden
Schritten dem wirklichen Ende der alten Geschichte nähern, und
dass man den Beginn der neuen Zeit später einmal datieren wird
von dem Punkte, wo alle fünf Erdteile mit wirklichen Staaten be-
deckt sind und wenigstens die äussere Kultur überall auf gleicher
Höhe steht; ein Ziel, das zu erreichen, nach aller Wahrscheinlich-
keit dem zwanzigsten Jahrhundert vergönnt sein wird.
Aber trotz all’ diesen eminenten Fortschritte ist die allgemeine
Zufriedenheit doch nicht grösser, eher geringer geworden. Nicht un-
begreiflich, wo soviel liebgewordenes Altes zerstört ist und tausend
unerfüllbare Wünsche in den Einzelnen erweckt werden. Und doch
genügt dies nicht zur völligen Erklärung, und ebensowenig zur Be-
seitigung der Furcht, dass bei dieser wassersturzähnlichen Entwicke-
lung auch die kostbarsten Güter der Menschheit geschädigt werden
könnfen.
Als ich vor 25 Jahren Greifswald verliess, bewegte sich meine
Rede auf dem Abschiedskommers um den alten Satz: qui proficit in
litteris et deficit in moribus, plus deficit quam proficit. Heute möchte
ich sagen: qui proficit in rebus Omnibus et deficit in moribus, plus
deficit quam proficit. Doch fürchten Sie nicht, dass ich Sie jetzt
mit einer längeren Moralpredigt zu behelligen gedenke. Ich will
Ihre Blicke nur auf das Recht hinüberleiten, das wir gleichsam als
das Knochengerippe der ganzen Moral betrachten können. Gewiss
 
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