Beiträge zür Geschichte det Heidelberger Romantik
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steinernes Blatt der Geschichte, das unerhörte Übergriffe des welschen
Nachbarn allen Zeiten predigt und das damals in der Periode erneuter
französischer Eingriffe auf deutschem Boden ganz besonders dem deutsch
fühlenden Gewissen ein Gefühl der Schmach geben musste, — das alles
musste dem Geist der Bomantiker besonders zusagen. Die nahen Kaiser-
städte Speier und Worms, das Kloster Lorsch, die vielen ßitterburgen
im Neckartal und an der Bergstrasse, schliesslich das Bewusstsein, auf
dem ältesten Kulturboden Deutschlands zu stehen, lenkten ihre Blicke
rückwärts zum Mittelalter, jener hehren Zeit deutscher Geschichte, in
der deutsche Art und deutsches Wesen in der ganzen Welt zu herrschen
suchte, und daraus zogen sie ihre nationale Kraft und Begeisterung, die
1813 in Flammen hoch aufschlagen sollte, um sich nicht mehr dämpfen
zu lassen, bis die Nation sich selbst gefunden und geeinigt hatte im
neuen Reich. Aber diese inneren Gründe, die Harmonie des Menschen-
geists mit dem Geist der Geschichte und der Natur, konnten erst wirk-
sam werden, nachdem dieser Boden entdeckt war. Zur Entdeckung
müssen andere Gründe geführt haben.
Der erste in der Romantikerscbaar Heidelbergs ist Brentano, er
kam schon Sommer 1804 und zog seine Preunde dann später nach sich.
Entscheidend für die kurze Blüte der Literatur in Heidelberg sind also
die Gründe, die Brentano hierher geführt haben.
Brentano hatte den Winter 1803/4 in jungem Eheglück in Marburg
zugebracht, im Prühjahr beabsichtigte er eine Rheinreise zu machen
und sich dann in der Nähe von Tieck dauernd niederzulassen J), mit
dem er an der Wiederbelebung der deutschen Literatur des Mittelalters
zu arbeiten lebhaft wünschte. Doch die Absicht zerschlug sich, die
innere Plan- und Ziellosigkeit kam über ihn, und Arnim, an den er sich
anlehnen wollte, war ferne in England. In diesen Tagen nahm sein
Marburger Freund Creuzer den Ruf als Professor der klassischen Philo-
logie in Heidelberg an 1 2), und so entschloss er sich, mit diesem für einige
Zeit dorthin zu ziehen.
Yielleicht hatte Brentano nocb gewisse Erinnerungen an die Reize
des Orts von der Zeit her, da er als vierzehnjähriger Knabe in Mannheim
im Erziehungsinstitut von Winterwerber einen Sommer zugebracht hatte,
ausschlaggebend konnten sie aber keineswegs sein. Es ist fest zu be-
1) Brentano an Arnim 1. III. 1804. Steig, Achim von Arnim und Clemens
Brentano, 1894, S. 104.
2) Siehe für das Folgende bes. meine: „Geschichte der Universität Heidelberg
im ersten Jahrzehnt nach der Reorganisation durch Karl Friedrich (1803—1813)“, 1913.
NEUE HEIDELB. JAHRBUECHER XVIIL 4
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steinernes Blatt der Geschichte, das unerhörte Übergriffe des welschen
Nachbarn allen Zeiten predigt und das damals in der Periode erneuter
französischer Eingriffe auf deutschem Boden ganz besonders dem deutsch
fühlenden Gewissen ein Gefühl der Schmach geben musste, — das alles
musste dem Geist der Bomantiker besonders zusagen. Die nahen Kaiser-
städte Speier und Worms, das Kloster Lorsch, die vielen ßitterburgen
im Neckartal und an der Bergstrasse, schliesslich das Bewusstsein, auf
dem ältesten Kulturboden Deutschlands zu stehen, lenkten ihre Blicke
rückwärts zum Mittelalter, jener hehren Zeit deutscher Geschichte, in
der deutsche Art und deutsches Wesen in der ganzen Welt zu herrschen
suchte, und daraus zogen sie ihre nationale Kraft und Begeisterung, die
1813 in Flammen hoch aufschlagen sollte, um sich nicht mehr dämpfen
zu lassen, bis die Nation sich selbst gefunden und geeinigt hatte im
neuen Reich. Aber diese inneren Gründe, die Harmonie des Menschen-
geists mit dem Geist der Geschichte und der Natur, konnten erst wirk-
sam werden, nachdem dieser Boden entdeckt war. Zur Entdeckung
müssen andere Gründe geführt haben.
Der erste in der Romantikerscbaar Heidelbergs ist Brentano, er
kam schon Sommer 1804 und zog seine Preunde dann später nach sich.
Entscheidend für die kurze Blüte der Literatur in Heidelberg sind also
die Gründe, die Brentano hierher geführt haben.
Brentano hatte den Winter 1803/4 in jungem Eheglück in Marburg
zugebracht, im Prühjahr beabsichtigte er eine Rheinreise zu machen
und sich dann in der Nähe von Tieck dauernd niederzulassen J), mit
dem er an der Wiederbelebung der deutschen Literatur des Mittelalters
zu arbeiten lebhaft wünschte. Doch die Absicht zerschlug sich, die
innere Plan- und Ziellosigkeit kam über ihn, und Arnim, an den er sich
anlehnen wollte, war ferne in England. In diesen Tagen nahm sein
Marburger Freund Creuzer den Ruf als Professor der klassischen Philo-
logie in Heidelberg an 1 2), und so entschloss er sich, mit diesem für einige
Zeit dorthin zu ziehen.
Yielleicht hatte Brentano nocb gewisse Erinnerungen an die Reize
des Orts von der Zeit her, da er als vierzehnjähriger Knabe in Mannheim
im Erziehungsinstitut von Winterwerber einen Sommer zugebracht hatte,
ausschlaggebend konnten sie aber keineswegs sein. Es ist fest zu be-
1) Brentano an Arnim 1. III. 1804. Steig, Achim von Arnim und Clemens
Brentano, 1894, S. 104.
2) Siehe für das Folgende bes. meine: „Geschichte der Universität Heidelberg
im ersten Jahrzehnt nach der Reorganisation durch Karl Friedrich (1803—1813)“, 1913.
NEUE HEIDELB. JAHRBUECHER XVIIL 4