Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Gustav Hölscher / Das Problem des Hiobgedichtes
Jeder kennt die anschauliche Fabel, die den Rahmen des Hiob-
gedichf es bildet; schon Goethe benutzte sie als Vorbild im Faust, und auch
neuere Schriftsteller, wie etwa H. G. Wells in seiner geistreichen Novelle
The Undying Fire, haben sie nachgeahmt. Aber noch eindrucksvoller als
die Erzählung ist trotz einer gewissen Breite das Gedicht selbst, nicht
nur durch seinen ergreifenden Inhalt, sondern auch durch den Bilder-
reichtum seiner Sprache und die planmäßige Geschlossenheit des Auf-
baus. Um so merkwürdiger, daß die Leser doch vielfach ratlos dastehn
vor dem eigentlichen Sinn des Werkes und der Absicht seines Dichters.
Die Ausleger geben recht verschiedene Erklärungen. Wer, wie noch
Karl Budde es tat, die Reden des Elihu in den Kapiteln 32—37 für einen
ursprünglichen Bestandteil des Buches ansieht, ist genötigt, in ihnen die
eigentliche Meinung des Dichters ausgedrückt zu finden. Was ist nach
Elihu der Sinn des Leidens? Hiob ist kein grober Sünder, der die Strafe
Gottes verdient hätte; aber vor Gott ist kein Mensch rein und jeder be-
darf der Erziehung zur Demut vor Gott, um durch Buße und Sünden-
bekenntnis zum Heil geführt zu werden. Das ist orthodoxe, jüdische und
christliche Dogmatik.
Aber man ist heute darüber einig, daß die Reden Elihus als jüngere
Einlage auszuscheiden sind. Was bleibt dann übrig? Lange dialogische
Reden in drei Redegängen zwischen Hiob und seinen drei Freunden, in
denen Hiob über Goffes ungerechten Angriff klagt, während die Freunde
die Gerechtigkeit Gottes verteidigen. Als dieser Disput ohne Ergebnis
endet und Hiob nun Gott zu einer Antwort herausforderf, erscheint
dieser selber, um Hiob in ausführlicher Rede seine allmächtige Weisheit
vor Augen zu halfen und ihn zum Schweigen zu bringen. Also, so sagt
man, keine Lösung des Problems; denn von einem jenseitigen Ausgleich
nach dem Tode weiß Hiob ebenso wenig, wie das ganze ältere Judentum.
Bernhard Duhm meint, Hiob ringe vergebens mit der Frage eines jen-
seitigen Lebens. Wilhelm Vischer findet den Sinn der Dichtung in der
unbedingten Forderung der Ehre Gottes. Für Friedrich Delitzsch ist das
Gedicht das Hohelied des Pessimismus.
Die literarische Kritik ist neuerdings vielfach noch weiter gegangen
und hat auch die Rede Jahves als sekundäres Element gestrichen. Damit
wird das Werk ein bloßes Konglomerat. Daß die Rede Jahves zur ur-
 
Annotationen