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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0188
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176 Hartmut Titze

der studentischen Fachströme an den einzelnen deutschen Universitäten von
Kiel bis München und von Freiburg bis Königsberg schließen. Die Studenten
im gesamten Deutschen Reich (Dimension des Raumes) mussten ihr äußeres
Verhalten in der Institution Universität also vollkommen synchronisiert haben
(Dimension der Zeit). Die Umstellung auf funktionale Differenzierung und In-
tegration lässt sich zuverlässig aus empirischen Daten herauslesen.34 Auch der
Beginn des historisch neuartigen Wachstums der Karrieren im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts spricht für einen Strukturbruch in dieser Phase. Die not-
wendige Ausweitung der Rekrutierung nach unten verstärkte die Orientierung
am Markt, besonders für die sozialen Aufsteiger.

Es wird in diesem Kontext verständlich, dass der hochabstrakte Begriff der
Infrastruktur um 1875 erstmals im Sprachgebrauch auftrat. Bezeichnender-
weise stammt dieser Begriff, der sich auf die Voraussetzungen des Leistungs-
austausches der Menschen bezieht, aus dem Vokabular der Eisenbahner.35 Als
die physische Mobilität der menschlichen Körper in der arbeitsteiligen Welt
zunehmend selbstverständlich wurde, bildete sich für die Erfahrung der zu-
nehmenden Verbindung der Menschen durch das moderne Verkehrsmittel und
damit für die von unsichtbaren öffentlichen Händen Vorausgesetzen Vorleis-
tungen in der Zwischenwelt der einzelnen auch dieser höchst abstrakte Begriff
(Infrastruktur) heraus, der eine hohe Distanzierungsfähigkeit von der kon-
kreten Situation (Hier und Jetzt) voraussetzt. Diese Überlegung macht auch
deutlich, dass die physische Beweglichkeit der Menschen im Raum eine Vor-
aussetzung der sozialen und psychischen Beweglichkeit ist.

2.2 Durchbruch und Aufstieg der Massenkultur

Aus der institutionalisierten wissenschaftlichen Selbstbeobachtung wurden
für die Alltagspraxis in der Regel auch Konsequenzen gezogen, indem sich die
Lebensbereiche rationalisierten. So wurde in den fortgeschrittensten Gesell-
schaften auf der institutionellen Ebene allmählich und fortschreitend seit etwa
1850 die moderne Massenkultur aufgebaut, die sich schon vor dem Ersten Welt-
krieg in spektakulären Massenereignissen manifestierte (zum Beispiel dem
Pokalfinale im Fußball mit 120 000 Zuschauern 1913 im Crystal Palace in Eng-
land). Die Massenkultur führte zur Erfahrung von sozialer Gemeinsamkeit. „Es
begann offensichtlich zu werden, daß auch Gruppen, die sich als ,etwas Besse-
res' fühlten und gaben, dem .Massengeschmack' zuneigten."36 Die Klassenge-
sellschaft wurde durch die Erfahrung gemeinsamer Bedürfnisse überwunden.
Hier wird die Dynamik sichtbar, die Bildungsprozesse entfalten, wenn sie erst
einmal institutionalisiert sind. Man kann den Aufstieg der Massenkultur, die
über die Klassengesellschaft hinauswies, nämlich als Rückwirkung der Institu-

34 Vgl. Titze et al. 1987.

35 Vgl. Laak 2001,370.

36 Vgl. Maase 1997,24.
 
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