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Heidelberger Zeitung — 1886 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52469#0473

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Lohn,
—v Hagvkatt «nd Werkimdiger für die Stadt Keideköerg.

Sir. 11V.
. I,!WI,.

Mittwoch, de« 12. Mai

1886

* Politische Urnsckau.
Heidelberg, 12. Mai.
Die kirchenpolitische Vorlage ist am Montag
don dem preußischen Abgeordnetenhause in dritter
Lesung angenommen und damit der „Frieden" zwischen Ber-
lin und Rom tatsächlich vollzogen worden. Die Vorlage
ist zum Gesetze erhoben und bedarf nnr noch der Unter-
schrift des Kaisers als Königs von Preußen, um in Wirk-
samkeit zu treten. Zu einer eigentlichen Debatte, wie sie
M den Zeiten des Culturkampfes getobt, kam es nicht
Wehr. Nur einzelne Abgeordnete wahrten noch den Stand-
punkt ihrer Parteien, aber auch das nur in möglichst all-
gemeiner und objektiver Form. Der Abg. Professor Gneist
legte ein für allemal nochmals die Stellung seiner, der
Nationalliberalen Partei dar und gab den Bedenken Aus-
druck, durch welche die nationalliberale Partei zu ihrer ab-
lehnenden Haltung bestimmt werde. „Wir wünschen",
sagte Redner, „den kirchlichen Frieden ebenso wie die andere
Seite dieses Hauses, und es wäre unserseits thöricht, den
Frieden nicht zu wollen, da er Existenzbedingung unseres
Staates, erste Vorbedingung der nationalen Fortentwicke-
lung des deutschen Reiches ist." Man müsse sich aber klar
Machen, was die streitenden Theile wollen und können
und seine, die national-liberale Partei, bemühe sich,
die Stellung und das Recht des Gegners kennen zu lernen
und zu würdigen. Redner kommt zu dem Schlüsse, daß
auf beiden Seiten ein non xossuinus vorhanden sei, daß
der nationale preußische Staat und die römische Universal-
kirche von Natur als Gegner geschaffen seien und es blei-
ben werden, so lange sie bestehen. Der preußische Staat
habe als Lebensaufgabe die Gleichberechtigung aller Reli-
gionsgemeinschaften, während die römische Kirche Rechte
Nur für die Katholiken wolle. In solcher Lage seien beide
Theile darauf bedacht, ihre Grenzen zu befestigen; die
Schutzwerke des Staates würden nicht errichtet, um Krieg
SU machen, sondern ihn zu verhüten, oder doch zu be-
schränken; diese Schutzwerke des Staates beständen in den
Maigesetzen, deren Aufbau auf einer Reihe von Voraus-
setzungen beruhte, die sich nicht überall verwirklicht haben.
Damit der Krieg nicht fortwährend von neuem ausbreche,
dürften die Schutzwehren nicht entfernt werden, welche der
Staat nicht entbehren könne. Die Revision der Maigesetze
verlangen die Nationalliberalen ebenso wie die anderen
Parteien, aber es müsse jede Zweideutigkeit, die in dem
Worte „Revision" liege, vermieden werden. Erfreuen wir
»ns jetzt einer Ruhepause, so solle man dieselbe benutzen,
um die sehr beschädigten Schutzwerke des Staates auszu-
bessern. Den Maigesetzen sei es ergangen, wie der neueren
Kriegskunst, in der die früheren regelrechten Fortifikationen
nicht mehr ausreichen gegen die vervollkommneten Wirkun-
gen des schweren Geschützes, Als das grobe Geschütz auf
diesem Gebiete wirke heute bas allgemeine Stimmrecht durch
die Erweiterung der fanatischen Agitation. Werde durch
die jetzige Wendung der Dinge eine Panse der Ruhe gegen
die Massenagitation erreicht, wie dies möglich sei, und werde
diese Ruhepause zur Umgestaltung unserer kirchenpolitischen
Gesetzgebung nach Lage der heutigen Streitmittel benutzt,
so habe unser Standpunkt für die Zukunft nichts zu be-
sorgen. Sei dies der Ausgang der Sache, so werde dies
ein Erfolg sein, welchen wir den Verdiensten unseres Groß-
meisters der diplomatischen Kunst zurechncn dürfen. Wenn

35) Verlorene Ehre.
Roman von W. Höffer.
(Fortsetzung.)
„Freut Euch darauf," sagte sie leise, „versäumt keine
Stunde, in der Eure Herzen feiern können."
Die Kranke lag mit gefalteten Händen, und wenn sie
setzt ihre Schwester ansah, dann lächelten Beide. So viel
Sonnenschein, so viel Frieden als in dieser Zeit voll seligen
Einverständnisses, hatte das alte Haus nie zuvor geboren.
Nur in Elisabeth's Herzen nagte der Wurm, der nicht
stirbt. Es war ihr wie ein Sakrilegium, als sie die Ge-
schenke von Tante Joscphinens Aussteuer berührte. Mit
welch' freundlichem Vertrauen wurden sie gegeben, und wie
schrecklich täuschte sich die alte Dame!
Wieder sah das bleiche Mädchen in den Spiegel, aber
letzt voll heimlicher Unruhe. Kein Zug ihres Gesichts
durfte den Zustand der Seele verrathen, sie hatte freiwillig
die Maske angelegt und mußte sie nun tragen bis zur letz-
ten Stunde.
Welche Foltern, wenn zuweilen im Zwielicht des schei-
denden Tages die alte Tante neben ihr saß und nach Ein-
zelheiten forschte, nach der Todesstunde des Vaters, und
vach dem, was er mit seiner Tochter von ihr selbst und
don der Vergangenheit gesprochen — wenn sie Lüge nach
Aüge ersinnen mußte und das fiebernde Hirn martern, um
ach auf Alles zu erinnern, auf das von gestern und das
don heute — der kleinste Widerspruch konnte das Gewebe
don Schuld und Trug enthüllen. Welche Foltern, welche
damenlose Qualen duldete die Unglückliche!

nicht, schließt Redner unter lebhaftem Beifall der National-
liberalen, dann wäre es ein Mißerfolg, für den die Na-
tionalliberaleu eine Verantwortung nicht übernehmen können.
Das Schicksal scheint es zu fügen, daß die griechische
Verwicklung ihren Höhepunkt in einem Augenblicke er-
reicht, da das Loos des Gladstone'schen Cabinets
bei der zweiten Lesung des Home-Rule-Entwurfs in der
Wagschale schwebt. Die Frage liegt daher nahe, ob durch
einen Regierungswechsel das Einvernehmen der Mächte, bei
welchem England eine leitende Rolle spielte, geschädigt oder
gefördert werden dürfte. Vom allgemeinen Standpunkte
aus wäre ein solcher Wechsel, wie man der Köln. Ztg.
aus London sehr richtig schreibt, nicht Wünschenswerth, weil
er auf alle Fälle den Fortgang der Handlung zeitweilig
lähmt. Spannt man doch nicht, dem englischen Sprüch-
worte zufolge, beim Durchfahren eines Flusses die Pferde
aus. Daneben ist Gladstone der mächtigste Mann in Eng-
land; sein Wort wiegt in Athen schwerer als das irgend
eines andern Staatsmannes, und da er dieses Wort im
Interesse des europäischen Friedens verpfändet hat, kann
jeder Friedensfreund nur seinen Verbleib im Amte wün-
schen. Dringlicher noch wird dieser Verbleib mit Rücksicht
auf die wahrscheinliche Zusammensetzung des kommenden
alternativen Cabinets. Wer darin den Ton angeben würde,
ob Hartington oder Salisbury oder irgend eine den Partei-
kämpfen ferner stehende Persönlichkeit — Lord Dufferin
und Lord Wolseley werden genannt —, ist noch unbe-
stimmt, und unbestimmt bleibt daher dessen muthmaßliche
Haltung. Mit banger Bcsorgniß verfolgt man in London
die Winkelzüge der russischen Diplomatie, deren Leitung
nach englischer Ansicht nicht von der folgerichtigen Haltung
eines Ministers des Aenßern, sondern von der Stimmung
des selbstherrlichen Kaisers abhängt. Die Engländer be-
haupten, daß diese Leitung vollständig unberechenbar ge-
worden sei. Kein einziger russischer Diplomat sei im
Stande, den Küchenzettel seines Verhaltens auch nur für
einen Tag im Voraus zu bestimmen, ebensowenig wie der
Vorsteher der russischen Kanzlei, Herr v. Giers, selbst.
Ueberraschen wird es gewiß Niemanden, wenn England ge-
neigt ist, die unerwartete Hartköpfigkeit der Griechen einer
geheimen Parteinahme Alexanders III. zuzuschreiben. Dem-
gegenüber darf, als auf eine beruhigende und erfreuliche
Thatsache, auf die beispiellos innigen Beziehungen hin-
gewiesen werden, die sich durch Lord Rosebery und den
Grafen Hatzfeldt zwischen einem liberalen englischen
Cabinet und Deutschland angesponnen haben; und daher
wäre der Sturz des liberalen Cabinets mit Rücksicht auf
die Wetterwolke» des europäischen Himmels und dem Wirr-
warr des heimischen Horizonts in diesem Augenblicke ein
internationales Unglück.
Die zweite Berathungder Homeruler Vorlage ist bis
jetzt für Glad stone nicht sehr glücklich ausgefallen. Seine
Rede verfehlte sowohl die rednerische Wirkung wegen der
heiseren, kaum verständlichen Stimme, als auch den Ver-
söhnungszweck, weil sie der Forderung Chamberlains, daß
die irischen Mitglieder in Westminster bleiben sollen, nicht
entsprach. Daß Gladstone damit seine Sache, die er be-
kanntlich auf die Anerkennung des Princips seiner Vorlage
reductrte, verloren gibt, läßt sich ohne Weiteres nicht an-
nehmen, zumal nach der Unsicherheit der Berechnungen,
welche neuerdings über die Haltung der Liberalen angestellt
Und so kam der Tag, an dem die Legitimationspapiere
der beiden jungen Leute den Behörden zur Prüfung vor-
gelegt werden mußten.
„Gib mir Deine Documeute gleich mit, Liebe," hatte
der Doctor gesagt. „Du besitzest doch hoffentlich alles
Nothwendige?"
„Gewiß!" antwortete, auf diese Frage längst vorbereitet,
das Mädchen. „Ich werde Dir die Scheine holen."
Sie freute sich des kurzen Weges in ihr eigenes Zimmer,
der Pause vor dem letzten Schritt. Etwas wie die un-
deutliche Vorstellung, daß jetzt auch das Gesetz getäuscht
werde, irrte durch ihr Bewußtsein. Was war das neben
all' dem Andern, Schlimmer»?
Der Doctor wog in seiner Hand die alte lederne
Brieftasche.
„Gewiß ein Familienstück," sagte er, „noch aus Deutsch-
land mitgebracht in die australischen Wälder!—Sieh'nicht
so blaß und so wehmüthig drein, mein herziges Mädchen!
Du hast eine Heimath wiedergefunden, eine, die Du nimmer
verlieren kannst; komm', wir wollen heraussuchen, was ich
brauche."
Er zog sie zu sich, und während ihr Kopf an seiner
Schulter lag, durchblätterte er die Familienpapiere jener
blonden Tobten, die damals mit ihrem Blute den Kies des
Steinbruchs purpurn gefärbt. Elisabeth's große Augen
sahen starr in's Leere. Es war ihr, als höre sie das
Plätschern und Murmeln der schwarzen Wasserrinnen, als
müsse sie in diesem Moment wieder den leblosen Körper
nehmen und auf das höhere Ufer tragen — der eigenen
schweren Versuchung einen Damm zu ziehen. Alle Bilder

werden, und den schwankenden Angaben über die Gefolg-
schaft Chamberlain's, die zwischen 12 und 55 Stimmen
variircn, ein fester Schluß auf den Ausgang der Debatten,
welche morgen wiederum beginnen, absolut unmöglich ist.
Die Thronrede, mit welcher der spanische Ministerprä-
sident Sagasta am 10. ds. die Cortes eröffnete, betont
zunächst, daß die Regierung sich fortdauernd mit der Frage
des Wohles der Arbeiterbevölkerung, mit sozialen, ökono-
mischen, commerziellcn und Colonisationsfragen beschäftigt
und gedenkt sodann der Theilnahme aller Mächte beim Ab-
leben des Königs; besonders gab, so wird gesagt, die
väterliche Fürsorge des Papstes der Königin den Muth,
ihre Pflichten als Königin-Mutter zu erfüllen. Weiter
heißt es: England und die anderen Mächte anerkannten
die Rechte Spaniens auf die Karolinen. Die Regierung
werde die Verlängerung der bestehenden Handelsverträge
und den Abschluß eines solchen mit England beantragen.
Nachdem die Thronrede noch auf Vorlagen hingewiesen,
die Veränderungen in der Armee und eine Neugestaltung
der Marine bezwecken, schließt dieselbe wie folgt: Da der
Nation alle Freiheiten und Rechte verbürgt seien, könne
jede Partei die Verwirklichung ihres politischen Ideals
friedlich anstreben. Es sei zu hoffen, daß alle Spanier
den Weg des Fortschrittes gehen und ihre Freiheitsltebe
mit den bestehenden Einrichtungen verbinden würden.
In den Beziehungen zwischen Rußland und Bul-
garien scheint wieder eine jener plötzlichen Wendungen
eingetreten zu sein, welche nachgerade anfangen, der russi-
schen Politik von heutzutage ihr eigenartiges Gepräge zu
geben. Vom 7. d. Ms. wird aus Philippopel gemeldet:
Gestern am Spätnachmittage begab sich Jgelström — wie
verlautet, in Folge besonderer Verhaltungsmaßregeln aus
Rußland — in voller Uniform mit seinem Sekretär nach
dem Palast, um dem Fürsten Alexander einen amtlichen
Besuch abzustatteu. Man glaubt, daß während der kurzen
aber freundlichen Unterredung nur gleichgültige Dinge be-
rührt wurden. Diese unerwartete Höflichkeit von Seiten
des russischen Agenten, der noch bis gestern früh eine Hal-
tung unnachgiebiger Feindseligkeit behauptete, hat großes
Aufsehen und unter der Opposition geradezu Bestürzung
gemacht, denn wenn sich Rußland von ihr zurückzieht, würde
ihre Sache in der That hoffnungslos werden.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 11. Mai. (Amtlich.) Se. König!. Hoh.
der Großherzog haben den Steuercommissär Johann
Georg Gaßmann in Freiburg zum Obersteuercommissär
ernannt.
Karlsruhe, II. Mai. Das Gesetzes-und Verordnungs-
blatt für das Großherzogthum Baden Nr. 25 vom 11. Mai
veröffentlicht das Gesetz, die Abänderung des Jagdgesetzes
betr., vom 29. April d. I.
Berlin, 11. Mai. Der Universität Jena ist ein
Capital von 300000 seitens eines Herrn Paul v.
Ritter in Basel letztwillig vermacht worden, das zur För-
derung des Studiums der Entwicklungslehre nach
Darwin bestimmt ist und von dem jedesmaligen Professor
der Zoologie an der Hochschule, zur Zeit von Professor
Häckel, verwaltet werden soll. Prof. Häckel beabsichtigt,
mit einem Theil der Zinsen eine neue außerordentliche Pro-
fessur für Zoologie zu begründen, den Rest aber für
jener Schreckensstunde entrollten sich schauerlich klar ihren
Blicken.
„Elisabeth Georgie Anna," las behaglich der Doctor,
„eheliche Tochter des Farmers Ernst Robert Herbst von
Stonehill und seiner Frau Lizzy Emma, geborene Scott!
— Da hätten wir also den Taufschein. Und dies hier
ich sehe schon, eS ist die Stcrbeurkunde."
Er nahm ein anderes Papier, wobei ein leichteres Blätt-
chen zu Boden fiel, jenes Netz, unter dem die getrockneten
Blumen lagen.
„Von Mama's Grab" las er halblaut. „Pardon, Liebe!
Ich konnte nicht ahnen, was da verborgen zwischen dem
Ucbrigen steckte. Du bist früh und schwer geprüft worden,
armes Herz!"
Er küßte zärtlich ihre nassen Augen.
„Weine nicht, Schatz! Das Leben soll, soweit es m
eines ehrlichen Mannes Kräften steht, für Dich jetzt schön
und glücklich werden."
Elisabeth suchte seinen Blick, um ihre feinen Lippen
zuckte es kaum merklich.
„ES ist mir, so oft Du von unserer Hochzeit sprichst,
als müsse ich Dich jetzt noch zurückhalten, Julius," sagte
sie ernst. „Wird man nicht immer mit Recht sagen
können, daß ich frühere Verhältnisse ausbeutete, um, selbst
arm und verlassen, einen wohlhabenden Mann zu gewinnen
und dadurch die Hoffnungen Anderer, auch der Tante zn
zerstören?"
Der Doctor lachte.
(Forts, folgt.)
 
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