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Heidelberger Zeitung — 1886 (Januar bis Juni)

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1886

Mittwoch, -en 7. April

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Für hies. Geschäfts
u. Privatanzeige«
bedeut, ermäßigt.
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Placat-Anzeiger.

Ueidklbcrger Zeitiitz
HagölaLt und Merkündiger für die Stadt Keidelöerg. >

Auf die „Heidelberger Zeitung" —Haupt-
lokal- und Kreisverkündigungsblatt
für den Kreis Heidelberg — werden für das
2. Quartal April, Mai, Juni
bei allen Postanftalren, den Briefträgern, bei den Trägern
in der Stadt, sowie bei der Expedition, Untere Neckar-
straße Nr. 21, Bestellungen angenommen.
* Politische Umschau.
Heidelberg, den 7. April.
Im Foyer des Reichstages gähnt eine Leere, als
ob Fürst Bismarck die Aufmerksamkeit der Abgeordneten
im Saale selbst festhalte, und im Saale ist es so leer, als
ob ein Dauerredner der Doppelwährungssreunde das Wort
habe. Mit dieser spöttischen Bemerkung kennzeichnet das
Blatt eines bekannten deutsch-freisinnigen Parlamentariers
diejenige unerträgliche Geschäftslage des Reichstages, die
jüngst den Senioren-Convent beschäftigt hat. Die Aussicht,
welche sich an die Berathungen des letztem knüpft, daß der
Reichstag am Samstag seine Sitzungen für die Tagung von
1885,86 abschließt, wird allseitig als wahre Erlösung em-
pfunden werden. Es ist sicher, daß auch die Regierung
den lebhaften Wunsch hegt, den Reichstag über Ostern
hinaus nicht festzuhalten. Für die Regelung der Brannt-
weinsteuer stehen auch die Aussichten im nächsten Herbste
wesentlich besser, wenn ein gründlich vorbereiteter
Gesetzentwurf vorgelegt werden kann, als jetzt, da doch nur
eine überhastig zu Stande gebrachte Vorlage zu erwarten
Wäre. Der Wunsch des Reichstags, davor behütet zu wer-
den und jetzt in die Ferien zu gehen, begegnet sich übrigens
Wit dem Wunsche, von dem der Kanzler selbst lebhaft er-
füllt sein dürfte, nachdem ihm in den letzten Tagen ge-
weidet worden, daß einer seiner pflichteifrigsten Mitarbeiter,
der Staatssecretär im Reichsschatzamte, Hr. v. Burchard,
erkrankt ist.
Bezüglich der Abstimmung über das Socialistew-
gesetz theilen wir nach dem stenographischen Berichte mit:
Gs stimmten von badischen Abgeordneten für das Gesetz:
Arnsperger, Klumpp, Noppcl, v. Hornstein, Krafft, Menzer;
Segen das Gesetz: v. Buol, Pflüger; beurlaubt: v.
Güler, Marbe; entschuldigt: Sander; ohne Ent-
jchuldigung fehlten: Köpfer, Roßhirt, Lender.
Eine Aeußernng des Abg. Liebknecht in der
Reichstagssitzung vom 2. April, dem letzten Tage der Be-
dachung des Socialistengesetzes, hat nicht diejenige Beach-
stwg gefunden, die eine so unerhörte Drohung als neuer
2ug in unseren parlamentarischen Verhandlungen verdient.
Der socialdemokratische Führer sagte nach dem stenogra-
phischen Bericht: „Ich stehe auf dem Standpunkte, daß für
wlche Vergehen, solche Thaten (nämlich die Bewilligung
des Socialistengesetzes) persönliche Verantwortlichkeit herrscht,
persönliche Haftbarkeit eintreten muß. Wer das Unrecht
Und Unheil angerichlet hat, der wird, sobald die Wagschalc
der Gewalthaber von heute emporschnellt, mit seiner Person
haftbar gemacht werden (aha! rechts) — ja, mit seiner
Person! Diesen Gedanken in die Massen zu bringen, halte
'ch geradezu für Pflicht. Denn — und hier bin ich sehr
offen — das Socialistengesetz werden wir nicht dadurch
ws werden, daß wir uns feig ducken, nein, das Socia-
"stengesetz muß Folgen tragen, die den Vätern und den

S) Verlorene Ehre.
Roman von W. Höffer.
(Fortsetzung.)

.. Hartmann ging ihm nach und legte ihm die Hand auf
seine Schulter.
„Walter," sagte er, „bist Du hergekommen, um mich
öu bitten?"
Der Postbeamte nickte.
»Ich konnte nicht anders, Julius, ich — bin ver-
zweifelt. O bedenke eS, bedenke es — sie werden mich
°Wen Dieb nennen!"
Er warf ungestüm beide Arme um den Nacken des
Bundes.

. »Julius, rette mich! — Ich habe als halberwachsener,
Mger Mensch Schulden gemacht, ich war leichtsinnig —
rächt sich die Vergangenheit an meinem Leben selbst
ich kann dem schmählichen Verdacht nicht entrinnen; ich
?u ein Dieb, weil es Leute gibt, die von mir Gelder zu
'wdern haben! Vielleicht glaubst Du selbst —"
»Unsinn, Walter, Unsinn! Du weißt, daß ich das
schlimme erst glaube, wenn es vollständig bewiesen ist.
(wer bleiben wir bei der Sache! Läßt sich annehmen, daß
betreffende Geldmann im Nothfalle prolongiren würde?"
Der Baron lächelte.
»Diese Sorte prolongirt bis in die Ewigkeit hinein,
. bald nur die Zinsen regelmäßig bezahlt werden," ver-
.hte er. „Hast Du denn nie mit ihren Vertretern unter-
adelt, Julius?"
Ein schönes Roth überflog das Gesicht des jungen Me-

Geburtshelfern desselben unangenehm sind. Erst dann wer-
den wir es los. Sie müssen merken, daß es auch Ihnen
bittere Früchte trägt." Das läßt an Deutlichkeit und Bru-
talität nichts znwünschen übrig.
Was wohl unsere Reichsnörgler nur zu einer der letz-
ten Sitzungen des englischen Unterhauses sagen wer-
den! Sie war eine Verherrlichung Deutschlands,
des deutschen Handels und ganz besonders des Fürsten
Bismarck. Da erzählten Leute, die es wissen müssen —
wie Charles Mark Palmer, einer der größten Schiffsbauer
Englands, der im Regierungs-Ausschuß zur Untersuchung
der Handelsflauheit sitzt —, folgendes: „Deutschlands
Landwirthschaft leidet unzweifelhaft, aber in anderen Be-
ziehungen ist Deutschland von Leiden weit entfernt. Deutsch-
land ist eines der wohlhabendsten Länder Europas und
wetteifert mit England in Industrie und Handel so wirk-
sam, daß ich fürchte, wir werden im Wettlaufe Zurückblei-
ben, wenn wir nicht von Deutschland lernen." Herr
M'Laren berichtete, daß des Fürsten Bismarck Einfluß und
Thatkraft selbst England in den Bereich seiner Ausbreitung
gezogen habe. Im Norden Europas, in Dänemark, Schwe-
den und Norwegen hätten die Deutschen den Engländern
schon den Rang abgelaufen. Jede Woche langten dort
deutsche Schiffe mit allen möglichen Maaren an, welche
früher England zu liefern pflegte. M'Laren kam dann auf
die in Deutschland für China gebauten Dampfer zurück,
ferner auf das deutsche Syndikat zum Bau der chinesischen
Eisenbahnen, dessen Scheitern nur dem Eingreifen Lord
Rosebery's zu danken sei. Herr Bryce, der Unterstaats-
sekretär des Aenßern, sang darauf das Lob des deutschen
Kaufmannes, welcher den britischen deshalb überflügele,
weil er mäßig lebe, billiger arbeite, fleißiger sei und vor
allem eine bessere kaufmännische und sprachliche Bildung
genossen habe. Kurzum, die Deutschen kamen aus dieser
Unterhaussitzung als eines der wohlhabendsten, zukunfts-
sichersten und bestgeleiteten Völker heraus. Den Anlaß dazu
gab übrigens ein Antrag M'Larens, die Regierung
möge in Anbetracht der glücklichen Erfolge der deutschen
und anderer Regierungen in der Förderung ihres Handels
ebenfalls passende diplomatische Agenten im Auslande zur
Förderung der englischen Handelsausdehnung anstellen.
Nach den bis jetzt vorliegenden Nachrichten über den
Ausfall der Wahlen in Spanien läßt sich annehmen,
daß die Berechnungen der jetzigen Regierung im Großen
und Ganzen bestätigt worden sind; die Zahl der gewählten
Ministeriellen wird vielleicht etwas unter der angenommenen
Ziffer von 325 bleiben. Der Verlauf der Wahlen war
ein durchaus ruhiger; die Ordnung wurde nirgends ge-
stört. Von den Oppositionellen beklagen sich natürlich die
Republikaner am meisten über Beeinflussung der Wahlen
durch die Regierung, welche in verschiedenen Fällen zu
Gunsten der dynastischen Linken eingetreten sein soll.
Die ostrumelische Angelegenheit ist formell
zum Abschluß gekommen — aber nur formell. Durch Gut-
heißung und Unterzeichnung des von den Mächten fcstge-
stellten türkisch-bulgarischen Abkommens ist Fürst Alexander
freilich auf 5 Jahre zum Generalgouverneur von Ost-
rumelien ernannt worden, aber es wird sich jetzt fragen,
wie das Protokoll in die Wirklichkeit übersetzt werden soll.
Wird der Bulgarenfürst angesichts der papiernen Willens-
diciners; er hob die Hand, als wolle er diesen Gedanken
zurückweisen.
„Nie, Walter!" sagte er.
„Auch nicht als Student? — Ich meine, daß Dir Fräu-
lein Haberlan, Leine schätzbare Tante, doch sicherlich Deinen
Monatswechsel nicht allzu reichlich bemessen haben wird?"
Hartmann lächelte.
„Es ging an," versetzte er ausweichend, „und überdies
gab ich Stunden aller Art, aber —"
„Ja, ja, das gräßliche Aber! — Ich weiß es. Natür-
lich könnte ich selbst, und wenn es bis zum Hungern käme,
die Prolongationsgebühren bezahlen, so viel habe ich ja —
nur Dein Name —"
Hartmann unterdrückte das Widerstreben, welches ihn
innerlich beherrschte; seine Herzensgüte verbot ihm, in diesem
kritischen Fall zuerst an sich selbst zu denken.
„Gieb her!" sagte er freundlich. „Ich will den Wechsel
unterschreiben."
Walter wurde bald roth, bald blaß.
„Du guter Junge!" stammelte er. „Mein bester, einziger
Freund! — O, ich will Dir ewig danken!"
Er mußte das Resultat seines heutigen Besuches mit
ziemlicher Sicherheit vorausgesehen haben, denn das Blan-
quct lag bereits ausgefertigt im Portefeuille, wenige Se-
kunden später war es unterschrieben und nun aus dem Nichts
ein Etwas geworden — ein Etwas sogar, daS unter Um-
ständen Leben und Tod beherrscht, daS Ehre und Existenz
im Zeitraum von Stunden auf immer vernichtet.
Hartmann konnte sich beim Anblick seines Namens auf
diesem Papier doch einer leisen Beklemmung nicht erwehren-

kundgebung seinen Widerspruch gegen die fünfjährige Er-
nennung, den er im wohlverstandenen Interesse seiner und
seines Landes Selbsterhaltung erhoben hatte, ausgehend
Es ist das kaum anzunehmen und damit wäre die Aera
der Aktionen gekommen, falls die Mächte geneigt sein soll-
ten, ihrem Beschlüsse unter allen Umständen Geltung zu
verschaffen. Der russische Bär wetzt schon lange die
Krallen und lechzt nach einem europäischen Mandat, seine
Pranken in den Nacken des Fürsten Alexander zu schlagen.
Allerdings ist nicht anzunehmen, daß Rußland je ein Voll-
streckungs-Mandat erhalten könnte. Es würde dadurch zu-
gleich seiner schmählichen Jntriguenpolitik eine Unterstützung
zu Theil werden, die in keiner Weise zu verantworten wäre.
Rußland würde vor nichts zurückschrecken. Sein Aerger
über die verdienten Niederlagen, die es in der Balkan-
politik erlitten, könnte sich leicht soweit steigern, daß es den
Versuch machte, alles, was es durch seine Unklugheit im
Orient verloren, durch einen Gewaltstreich wiederzuerlangen.
Nun, eS hat aber gute Wege, ehe die Mächte den Czareu
zum Vollstrecker ihres Willens ernennen. Das sagt sich
auch Alexander und wird das Resultat der Botschafter-
Conferenz mit ziemlichem Gleichmuth ausgenommen haben.
Uebrigeus dürfte auch immerhin die Möglichkeit nicht aus-
geschlossen sein, daß der Fürst nach weiterer Erwägung
sich unter Protest dem Beschlüsse der Konferenz fügt. Er
würde dies aber gewiß erst thun, nachdem er die Ueber-
zeugung gewonnen, daß durch einen solchen Schritt seine
Macht nnd sein Ansehen bei den Rumelioten nicht geschädigt
wird, um für alle Fälle in der Lage zu sein, dem buhlen-
den russischen Einfluß die Thüre zu weisen.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 6. April. (Amtlich.) Seine Königl. Hoh.
der Großherzog haben zugestimmt, daß der zur Zeit im
Pensionsstand befindliche Revisor Johann Hilzinger als
solcher beim Katholischen Oberstiftungsrath reaktivirt
und den Professor Hermann Sevin am Gymnasium zu
Konstanz ans sein Ansuchen bis zur Wiederherstellung seiner
Gesundheit in den Ruhestaud versetzt werde.
Karlsruhe, 6. April. Die Herzogin von Nassau
ist heute früh gegen 7 Uhr von hier nach Wien abgereist.
Der Großherzog geleitete dieselbe zum Bahnhof. — Ge-
heimerath Dr. Kußmaul, welcher gestern hier eingetroffen
war, begab sich heute Abend nach Straßburg zurück.
Karlsruhe, 6. April. Das Gesetzes- und Verord-
nungsblatt für das Großherzogthum Baden Nr. 11 von
heute enthält:
Das Gesetz, das Budget der Badaiistalten in Baden für
1886/87 betr., vom 1. d. Bits., eine Bekanntmachung des Mini-
steriums des Innern bezüglich der Leitung des Auswanderungs-
wesens und eine Verordnung desselben Ministeriums wegen der
Bewirtschaftung der Gemeinde- und Körperschaftswaldungen,
insbesondere der Forsteinrichtung.
Karlsruhe, 6. April. 19. öffentliche Sitzung der
Ersten Kammer unter dem Vorsitz des Präsidenten Frei-
herrn v. Rüdt-Collenberg. Von Seiten des Präsi-
diums der Hohen Zweiten Kammer sind Mitteilungen ein-
gegangen: a) über die nach den Beschlüssen der Ersten
Kammer angenommenen Gesetzentwürfe, die Bestellung von
Vergleichsbehörden in streitigen Rechtsangelcgenheiten und
die Aenderung einiger das Verfahren vor den Gemeiude-

Hatte er ganz recht gehandelt?
Aber doch, ja, ganz recht, indem er zunächst Mensch
war und als Freund den Freund aus gefahrdrohender
Situation befreite.
„Nun hole Dir das Geld!" sagte er herzlich. „Du
und ich, wir tragen die Sache gemeinschaftlich und
— legen vielleicht schon von heute an Groschen in ein
besonderes Fach, um so die Tausend Thaler zusammen-
zubringen."
Walter's Hände zitterten.
„Ich sollte diesen Wechsel zerreißen und mich, anstatt
Dir Verpflichtungen aufzubürden, bei der Postdirection selbst
denunciren," murmelte er. „Ich habe das unverschlossene
Dienstzimmer während der Geschäftsstunden verlassen und
so dem Diebstahl Vorschub geleistet — mein Gott, wie mich
die Reue quält!"
Hartmann tröstete lächelnd den Erregten und schob ihn,
als er immer wieder in seine bitteren Selbstanklageu zurück-
fiel, endlich fast mit Gewalt zur Thür hinaus.
Walter drückte ihm wohl zwanzig Mal die Hand.
„Finde ich den Dieb sagte er im Fortgehen, „wahr-
haftig! er soll seinen Schurkenstreich bereuen!"
Der Doctor hob lächelnd den Finger.
„Keine Uebereilung, Walter! Erst müßte der Verdacht
durch mehr als bloße, zufällige Anwesenheit be-
stätigt sein."
Der Postbeamte schüttelte den Kops.
(Forts, folgt.)-
 
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