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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 1 - Nr. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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kidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

br. 7. Samstag den

23. Januar 1886.

Der Bauerndoktor.

Novelle von Helene Naumburg.

(Fortſetzung.)

„Nur das Schloß blieb mir unnahbar, obwohl ich über
das Thun und Treiben ſeiner Bewohner ganz genau unter-
richtet war; denn im Erzählen kargten meine Patienten
nicht, ſobald ich ſie in die mir gewünſchte Richtung gebracht
hatte. So erfuhr ich denn, daß Elſa am Tage nach un-
ſerem Zuſammentreffen mit ihrem Manne nach der nächſten
größeren Stadt gereiſt ſei, wo er vermuthlich recht unan-
genehme Geldgeſchäfte zu ordnen hatte. Ein früherer Ver-
walter hatte ihm große Summen veruntreut, die Renn-
pferde, die er auf ſeinem Gut in Ungarn gehalten, hatten
enorme Summen gekoſtet, die Verhältniſſe ſchienen nach
allem, was ich hörte, arg verwickelt. Früher hatte der

Graf ſeiner Frau wohl nicht einen klaren Einblick in die

Lage gegönnt — aber jetzt, ſeit er oft ſo wirr im Kopfe
war, mochte er ſie nicht mehr von ſich laſſen, und nichts
geſchah ohne ihren Rath oder ihre Mitwirkung.
„Sie hatte meine Nähe geflohen. Statt die günſtige
Gelegenheit zu benutzen, in ſeiner Abweſenheit mit mir zu
verkehren, war ſie mit dem Verhaßten gereiſt. Die Kinder,
ein Knabe und ein Mädchen, waren oben im Schloß ge-
blieben, ich ſah ſie, die blaſſen kleinen Dinger, auf meinen
Spaziergängen mit halb aus Neugier halb aus Widerwillen
gemiſchten Gefühlen.“
„In der Nacht, ehe die Eltern zurückkehrten, klopfte es
haſtig an meine Thür; der Diener oben vom Schloß wäre
da, rief mir die Wirthin zu, der Herr Doktor möchte doch
aus Barmherzigkeit einmal heraufkommen; der kleine Graf
wäre ſehr krank, und die Kinderfrau wiſſe ſich nicht zu
helfen, bis der Doktor aus N. käme, könnte es zu ſpät
ſein. Das Kind verdrehe ſchon die Augen, es röchle, als
ob es ſterben wollte.
„Und wenn es ſtirbt, ſo iſt ein Haupthinderniß meines
Glücks fortgeräumt!“ jubelte es in mir; ich wollte ſchon
den Mann mit dem Beſcheid abfertigen, er ſolle den Haus-
arzt der Familie holen, ich könne ohne Wiſſen der Eltern
nicht ungerufen meine Hilfe aufdrängen. Aber ich ſchämte
mich ſchon des elenden Vorwandes und eilte ohne Verzug
zu dem kleinen Kranken. Es war ein ſchlimmer Fall von
Bräune, und das Kind wäre ohne mein Hinzukommen
wahrſcheinlich daraufgegangen. Die Dienſtboten hatten
völlig den Kopf verloren, denn die Gräfin hatte ſie zum
erſtenmal allein mit den Kindern gelaſſen. Ich blieb die
ganze Nacht im Schloß, auch noch den Vormittag, obwohl
die Gefahr nahezu vorbei war, und ſtand gerade wieder
an dem Bett des Kleinen, als die Eltern eintraten, ohne
daß ich ihr Kommen gehört hatte. Man hatte ihnen be-
reits, wie es bei ſolchen Anläſſen zu geſchehen pflegt, noch
215 ſtarken Uebertreibungen, das Vorgefallene ge-
ert. ‚
„„Der Graf dankte mir mit großer Wärme für meine
fe, während Elſa mir ſchweigend die Hand reichte, aber
ihr Mann eine förmliche Vorſtellung begann, ihm

ſchnell in das Wort fiel und erklärte, mich von früher her
zu kennen, ich ſei auch mit ihren Eltern bekannt geweſen.
„Die dadurch hervorgerufene Erinnerung an ſeinen
Schwiegervater mochte dem Grafen wenig ſympathiſch ſein,
denn er ging nicht weiter auf jene Beziehungen ein, ſon-
dern pries nur den glücklichen Zufall, der mich in dieſe
Gegend geführt habe, und bat mich mit ächt öſterreichiſcher
Gaſtlichkeit, mein bisheriges Quartier mit dem Schloſſe zu
vertauſchen, ein Anerbieten, das ich ſelbſtverſtändlich dankend
ablehnte. Es war auch keine Lüge, wenngleich nicht die
Wahrheit, wenn ich angab, daß ich in dies abgelegene
Thal gekommen ſei, weil ich mich nach einem ſehr an-
ſtrengenden Winter erholungsbedürftig fühle. Ich glaube,
mein Ausſehen widerſprach damals jener Angabe nicht.
„Der Graf war ein mittelgroßer Mann mit gedunſenem
Geſicht und matten, wäſſerigen Augen. War es das Ge-
fühl zunehmender Schwäche und die Anerkennung der ſitt-
lichen und geiſtigen Ueberlegenheit ſeiner Frau, er behandelte
ſie mit einer gewiſſen ſcheuen Rückſicht. Im Uebrigen
machte er den Eindruck eines ziemlich rohen Lebemannes,
der ſich mehr in Männer⸗, als in Frauengeſellſchaft be-
wegt hat. ö
„Elſa hatte ſich nach einigen Worten des Dankes zu
dem Kinde gewendet, das mit verklärtem Lächeln zu ihr.
emporſah — für mich war jetzt nichts mehr zu thun, und
ich ſchickte mich zum Gehen an.
„Es war der Graf, der mich dringend bat, die Behand-
lung des kleinen Patienten fortzuſetzen, und ich willigte
mit einer ſtillſchweigenden Verbeugung ein. Eine beſſere
Gelegenheit, Elſa zu ſehen, konnte mir nicht werden.
„Der Graf ſuchte mich am Nachmittag auf, um mir
noch einmal zu danken, denn er wiſſe nicht, ob er es ge-
nügend gethan habe bei der Beſtürzung über die Krankheit
ſeines Jungen. Ich flöße ihm ungemeines Zutrauen ein,
er möchte daher gern einmal über ſeinen eigenen Geſund-
heitszuſtand mit mir reden, über den er ſich ernſtliche Sorge
mache, die Kopfſchmerzen, an denen er leide, erzeugten
manchmal eine förmliche Gedächtnißſchwäche, er könne ſeine
Gedanken oft kaum zuſammen halten, obwohl er, wie er
ſeufzend hinzuſetzte, dringend nöthig habe, den Kopf klar
zu behalten.
„Da ich ihm nicht ſagen mochte, was ich nur zu deut-
lich als ſein Schickſal voraus ſah, wendete ich ein, daß ich
mich nicht eingehend mit Nervenleiden beſchäftigt hätte, er
möge ſich Rath bei einem Spezialiſten holen; eine mäßige,
ſehr geregelte Lebensweiſe ſei aber unter allen Umſtänden
nothwendig. ö
„Der Beweis, wie ſchnell er vergaß, was ſich ihm nicht
durch unabläſſige Wiederholung immer wieder von Neuem
einprägte, ließ nicht lange auf ſich warten. Schon bei
meinem folgenden Beſuch merkte ich, daß er Elſas Erklä-
rung, mich von früher zu kennen, wieder vergeſſen hatte,
und dieſes Mal ſagte ſie nichts. Sie war überhaupt,
wenn ſie mit mir zuſammen ſein mußte, ſehr wortkarg, am
liebſten vermied ſie mich ganz. Ihrem Gatten ſchien das
nicht aufzufallen; er mochte gewohnt ſein, daß ſie vielen
ſeiner Bekannten mit kühler Zurückhaltung begegnete. Er
 
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