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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0093
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F„ +* er Hanilieublütter.

Baerehiiſhe Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 23.

Samstag, den 20. März

1886.

ö Eitik.
Novelle von Hertha von Polenz.
(Fortſetzung.)
Wehe dem Wanderer, den ſie im Nebel überraſchen.

Er muß mit ihnen zum Sumpf, zu Kröten und Nattern

auf Nimmerwiederſehen.
Und da iſt weiter die Holfnätsmagd,
Die ſitzt am Kreuzweg und ſingt und klagt.
Kann immer und immer nicht ſterben!
Sie hat ihr Kind erwürgt, der Mutter die Augen aus-
geſtochen und will ſich nun in's Waſſer ſtürzen ſeit vielen
tauſend Jahren.
iſt bis obenan mit Steinen und Klötzern gefüllt.
Da ſitzt ſie am Kreuzweg und ſingt und klagt, und wer
ſie ſingen hört, der wird nie wieder froh, weint ſich wohl
gar die Augen blind.
„O, das iſt traurig,“ flüſterte Lisbeth.
glänzten an den ſchwarzen Wimpern.
Doris aber meinte ſchelmiſch: „Vetter, Ihr hattet wohl
juſt die Holfnätsmagd gehört, als ihr neulich ſo trübſelig
zu uns kamt?““' W
Oder die Mädchen ſangen und Eirik ſchwieg.
Einmal zogen Schwärme wilder Enten ob ihrem Haupt
über Weiher und Berge gen Norden.
„Wohin ſo flüchtig?“ warf Doris hin.
„Nach meiner Heimath, meinem theuern Norge — zu
meiner Mutter!“ rief Eirik. „Grüßt mir beide viel
tauſendmal!“ — ö ö
Martha ſtrahlte vor glückſeliger Zufriedenheit, wenn
Eirik jetzt allmorgendlich den Hof mit Hund und Flinte
verließ und erſt um Mittag hochroth und erſchöpft reiche
Beute heimbrachte.
Sie nannte ihn Sohn und Liebling und klopfte ihm
ſchmeichelnd Schultern und Wangen.
Und wieder hatte Hanna geſchrieben kurz und freund-

Thränen

lich: Es ſei ihr lieb zu hören, daß es ihnen in Deutſch-

land alleſammt wohl erginge. Sie ſelber ſei nicht ganz
friſch, doch ſolle ſich Niemand ſorgen. Der Arzt habe ihr
ſtärkende Seeluft verordnet; in dieſen Tagen reiſe ſie an
den Bindal Fiord, von da aus werde ſie längere Nach-
richt geben.
Das Schreiben war Abends eingetroffen.
Diesmal hatte Eirik den Brief im Familienkreis ge-
leſen. Keine Thräne ſtieg ihm ins Auge, aber es beſchlich
ihn ein feltſam banges Gefühl, eine heimliche unbegreifliche
Angſt vor einem nahen, unabwendbaren Unheil. Fieber-
haft jagte das Blut durch alle Pulſe, als er ſein Stübchen
zur Nachtruhe aufſuchte.
Eirik warf ſich ſchweraufathmend in einen Lehnſtuhl.
Ringsum, ſo deuchte es ihn, herrſchte ein wunderlich Weſen
und Treiben. Bleich und unſicher flackerte das Licht, ge-
ſpenſtiſche Schatten huſchten die Wände entlang, im Kleider-
ſpind pickten die Holzwürmer, und überall ſprangen und
ſtiebten goldige Funken.

Aber ſie kann nicht aufſtehen, ihr Leib-

Tropfen perlten auf Eiriks Schläfen.
der Hand die brennenden Augen.
„Fort!“ flüſterte eine Stimme in ſeinem Innern, „fort,
was ſitzeſt du hier müßig im fernen Lande? — Zur Hei-
math zurück, dort rauben ſie dir dein Glück!“
„Glück 2“ rief er laut und ſprang empor. — „Sie iſt
meine Mutter, Thords Weib — weiche von mir, Ver—⸗
ſucher!! — —
Raſtlos ſchritt er im Zimmer auf und ab.
„Ewig verlorenes Paradies,“ fuhr er nach einer Weile
fort, — „Hanna, wenn du vor vielen tauſend Jahren ge-
ſtorben wärſt, todt und begraben, wir würden weniger ge-
trennt ſein! Ich dürfte dich doch lieben, von dir träumen,
unbekümmert um die Schranken des Todes und der Zeit.
Es gibt nur eines, das ewig trennt, und dies einzige liegt
zwiſchen dir und mir, — meine Geliebte, meine Mutter! —
„Und doch — — weh' mir,“ ſagte er plötzlich weich
und klagend, „Hanna, dein ſüßes Bild ſchwebt nicht mehr
klar und ungetrübt vor meiner ruheloſen Seele. — —
Täglich, ſtündlich gedenke ich dein, aber aus deinen bleichen-
abgehärmten Zügen lächelt mir verſtohlen ein friſcher
Kindermund — ſchwarzer Wimpern Schatten, wunderſam
vermiſcht entgegen. —
„Hanna, du biſt's — und biſt es nicht! — — —
Lisbeth?!“ —
„Fort, fort!“ ſchrie's wieder in ihm, „auf, noch in
dieſer Stunde!“ — Unerträgliche Hitze im Zimmer ver-
ſetzte ihm den Athem. Er ſtieß das Fenſter auf.
Draußen herrſchte dieſelbe Schwüle und dichtes undurch-
dringliches Dunkel; kaum daß die Kronen der unbeweglichen
Linden verſchwommene Schattenriſſe gegen den ſternenloſen
Himmel warfen. Kein Lüftchen regte ſich im Laube.
Eirik öffnete die Bruſt und rang nach Luft.
Drinnen im Stübchen erſtarb kniſternd das Licht. Blei-
ſchwere Finſterniß drinnen und draußen.
„Sie iſt krank — auch ſie ſehnt ſich nach mir,“ mur-
melte Eirik. „Ich werde gehen, morgen werde ich gehen.
Ich will zu Hanna, zu meiner Mutter!“
Wieder ſtiebten Funken vor ſeinen Augen, doch nur
ſekundenlang, dann ſtieg eine breite Feuergabe langſam und
rieſenhaft zum Himmel. An Stelle der Finſterniß trat
plötzliche Tageshelle.
War's ein Traum?
„Feuer! Feuer!“ ſchrie's im nachſten Augenblick aus
Eiriks gepreßter Bruſt. Wie eine nach ihrem Opfer
züngelnde Schlange lief ein blutig rother Streifen pfeil-
ſchnell an den ſtrohgedeckten Firſten der Scheunen entlang.
Faſt im ſelben Augenblick ging das ganze Hofgut in
Flammen auf. Rindergebrüll, Menſchengeſchrei, praſſelndes
Stürzen und Dröhnen erfüllte mit einemmal die bis dahin
lautloſe Nacht.
Eirik ſtand ſchon im Hofe, griff zu und ordnete. Die
einzige Spritze konnte nur dem Wohngebäude zu gute
kommen. Was vom Hofe brannte, war den Flammen ver-
fallen. Weinende Mägde trieben das Vieh zu Paaren.
Eirik ſprach Muth zu, drohte und bat, alles in einem
Athem, denn alles that noth. ö

Er deckte mit
 
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