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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0094

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Nun erſchien auch der Ohm, bleich und gefaßt, Martha
und alle Kinder, nothdürftig bekleidet. Die Jüngſten
wimmerten leiſe, und Doris rang die Hände, nur Lisbeth
ſchwieg. ö
Sie ſah nichts von Brand und Schaden, ihre Blicke
hingen allein an Eiriks Geſtalt. Das Roth des Feuers
und der Erregung brannte auf ſeinen Wangen, goldig
ſtrahlten die dunklen Locken.
Wahrlich, niemals ſtand Baldur, der glänzende, herr-
licher da im Saale der Aſen!
Er war hier und dort, überall griff er ein und rief
zagende Menge mit gewaltiger Stimme zu dem
Sogar der Ohm ſtaunte und ließ ihn

die
Rettungswerk auf.
gewähren.
„Meine Bullen, die beiden Zuchtochſen!“ kreiſchte da
plötzlich ein alter Knecht und brach vor Verzweiflung in
die Kniee, denn eben ſchlugen die Flammen über dem ver-
geſſenen Stalle zuſammen.
Eirik riß ihn empor. „Führe mich!“ herrſchte er
ihn an.
Der alte Mann ſank kraftlos zurück. „Dort, dort!“
jammerte er.
Eirik wandte ſich nach der angegebenen Richtung und
war im nächſten Augenblick zwiſchen den ſtürzenden Balken
verſchwunden. ö
Ein einziger greller Schrei tönte in allen Ohren,
Lisbeth hatte ihn ausgeſtoßen. Auch Doris faltete die
Hände und flehte um Gottes Schutz, der Vater aber rief
halb unwillig, halb bewundernd: „Haltet den Unbeſon-
nenen auf!“
Doch zu ſpät. ö
Eine entſetzlich bange Minute. Kein Sterbenswörtchen
wurde laut. Schon brannte der Thürſtock und die Seiten-
pfoſten.
Da ertönte ein dumpfes Stampfen und Brüllen. Eirik
erſchien in der Thür. Mit übermenſchlicher Anſtrengung
riß er die Ochſen hinter ſich her. Seine Locken waren
verſengt, die blauen Adern auf Stirn und Schläfen hoch
geſchwellt. Blut ſtrömte von ſeinen Lippen, von Bruſt
und Armen.
Nicht allein mit den Flammen, auch mit den vor
Schmerz und Wuth raſenden Stieren hatte er einen Kampf
auf Tod und Leben beſtanden. Immer noch ſtrebten dieſe
ins Feuer zurück.
Eirik aber hatte die eiſernen Ketten, mit denen ſie ge-
feſſelt waren, um Leib und Arme gewunden, wo ſie tief
und blutig ins Fleiſch einſchnitten. Schon ſtand er auf
der Schwelle. ů
Da ſanken Thür, Mauer und Dachſtuhl dröhnend in-
einander, ein wüſter Trümmerhaufen. Auch Eirik brach
zuſammen. ö
Knechte führten die Bullen fort, andere trugen den Be-
ſinnungsloſen langſam in's Haus, in Frau Marthas
Zimmer. Dort wurde er bis zu des Doktors Ankunft ge-
waſchen und verbunden. Heißes lebenswarmes Blut ſtrömte
aus unzähligen Wunden. ö
Martha weinte, und der Ohm ſchüttelte den Kopf.
Lisbeth aber reichte mit zitternden Händen feuchte Binden
und hielt das blaſſe Haupt in ihrem Schooß.
Mittlerweile graute der Morgen. Fahl und troſtlos
blickte er in die Zerſtörung und Verwüſtung der Nacht.
Der Doktor kam und ſah nach Eirik, der immer noch
ohne Beſinnung lag. Er ſtaunte über den Rieſenleib und
die feinen blaſſen Züge, gab aber wenig Hoffnung. „Wenn
Blutvergiftung eintritt, iſt das Schlimmſte zu befürchten.“
Dann ſchnitt er alle Locken ab und ließ Oel auf die Kopf-
wunden ſtreichen.
Darauf wurden die Mädchen hinausgeſchickt und der
ganze Körper entkleidet, voll blutiger Spuren über und
über und dennoch ſchön. — ö

ohne ſich zu rühren.

Man brachte Eirik zu Bett.
Frau Marthas Zimmer bleiben.

* *
*

Er ſollte einſtweilen in

Wochenlang lag Eirik in dumpfer Bewußtloſigkeit, faſt
Kaum daß es möglich war, ihmDie
nöthigſte Nahrung einzuflößen. ö ö
Martha und die Baſen zeigten ſich unermüdlich im
Wachen und Pflegen. Lisbeth im beſondern mußte oft mit
Gewalt aus der Krankenſtube entfernt werden.
In einſam verſchwiegener Nacht, wenn Mutter und
Schweſter ſchliefen, und nur die bleichen Mondesſtrahlen
verſtohlen durch die Scheiben huſchten, ſchlich ſie ſich leiſe
an das Krankenlager und drückte ihre weichen Lippen leiſe
auf den ſtummen Mund.
Eirik hatte niemals davon erfahren.
zuckte er und wandte lächelnd das Haupt. —
Dann kamen Wochen, wo die bleichen Lippen ſich wie-
der regten, doch nur, um wüſten räthſelhaften Fieber-
phantaſien Ausgang zu geſtatten.
Ammenmärlein und Sagen aus früheſter Kindheit,
Träume, Lieb und Leid, Heimath und Fremde wirrten ſich
im wilden Kreiſe unaufhörlich in einander.
Oft weinte er und ſagte: Der, den ſie Eirik geheißen,
der ſei ſchon lange geſtorben vor unvordenklichen Jahren
in einem fremden Lande. Niemand habe um ihn geweint
und getrauert, einſam hab' er gelebt, hilflos ſei er verdorben.
Er wollte den goldenen Stern aus dem blauen Himmel
ſchneiden. Der fiel auf den Ataberg und zerſprang in
hundert Scherben — nein! Er fiel auf ſein Herz — —
und das iſt auch zerſprungen. Aber die Elfin hat es wie-
der zuſammengeſponnen und ſeiner Mutter gebracht. Die
iſt eine blaſſe kranke Frau. Aber ſein Herz war ſo ſchwer,
ach, ſo ſehr ſchwer von vielen entſetzlichen Qualen; da
mußte ſie's fallen laſſen. Es fiel und rollte — und rollte
wohl tauſend Jahre lang — nun aber liegt's in einem
tiefen ſchwarzen See. Das ſind Hannas Thränen.
Und über dem Fallen und Rollen iſt Eirik geſtorben,
der arme große Eirik! — Und alle Roſen ſind verwelkt.
— — Die Mutter aber ſitzt am Kreuzweg, lacht und
ſingt: „Sei glücklich, Söhnchen — glücklich!“
So rief der Fiebernde.
Die Frauen hörten's voll unſäglichem Mitleid und
Schrecken, der Arzt aber fürchtete für Eiriks Verſtand.
Martha hatte an Hanna ſchreiben wollen, nur wußte
ſie nicht wohin. Ihr letzter Brief ſprach von einem Aufent-
halt am Bindal Fiord, ohne weitere Angaben. Die nähere
Auskunft aber, die ſie in Ausſicht geſtellt, war bis dahin
ausgeblieben.

Einmal aber

* *

Gortſetzung folgt.)

Paris während der Belagerung.

Einer Londoner Correſpondenz der Köln. Ztg. ent-
nehmen wir folgende intereſſante Schilderung: John

Auguſtus O' Shea gehört zu jener luſtigen Schaaͤr litera-

riſcher Landsknechte aus Irland, welche ihre ſtreitbaren
Federn dem Dienſte des Angelſachſen verpfändet haben und
als Spezialberichterſtatter engliſcher Blätter überall dort
anzutreffen ſind, wo Gefahr im Anzuge iſt. Und ſo be-
fand ſich denn O'Shea mit ſeinem Freunde O Donovan
ſudaniſchen Angedenkens gerade in Paris, als die Deutſchen
heranzogen und die Stadt einſchloſſen. Was er während
der fünfmonatlichen Belagerung erlebte, hungerte, durſtete,
in ſein Tagebuch und an den Standard ſchrieb, veröffent-
licht er jetzt in zwei Bänden bei Ward and Downey unter

dem Titel „An iron-bound city or Five months of
 
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