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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 28. April)
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kidelberger Fanilienblätter.

Velletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 30.

Wittwoch, den 14. April

1886.

Zum Lindpurn.
Roman von B. Renz·
(Fortſetzung.)

„Sehr unrecht von euch,“ unterbrach der alte Herr,
und nahm ganz gewohnheitswidrig eine ernſte Miene an,
„ſehr unrecht und unüberlegt; ich kann ſo etwas durchaus
nicht billigen und geſtehe offen, es thut mir leid, das hören
zu müſſen. Der Ruf des Mädchens ſowohl wie des In-
ſtitutes ſcheint euch gleichgültig zu ſein, und letzteres ſteht
noch dazu unter dem ſpeziellen Schutz der Frau Fürſtin.
Was können euch daraus für Unannehmlichkeiten erwachſen!
— Und Herr Lieutenant Olberg iſt natürlich der Anſtifter
und Rathgeber geweſen?“
„Nein, Herr Kommerzienrath,“ widerſprach Fliſſen, „im
Gegentheil, er wollte mich durchaus hindern, den dummen
Streich zu begehen, und ich — — nun Sie haben recht,
es war ſehr unüberlegt. Aber wie es ſo geht, wenn man
vernarrt iſt — —“
„Und Leute habt ihr auch beſtochen, die natürlich nun
Amt und Brod verlieren werden!“ Er war wirklich jetzt
ſehr ärgerlich, der joviale Mann.
„Die Sache wird nicht ſo ſchlimm, Papa,“ tröſtete
Lieutenant Olberg und legte ſeine Hand auf den Arm des
Vaters, „beruhige dich. Die beiden Liebenden haben ſich
fünf Minuten lang angeſchmachtet — denn Fliſſens an-
geborne Schüchternheit war mir Garantie, ſonſt hätte ich

das Rendezvous nicht zugegeben; er iſt ja der reine

Toggenburger. Natürlich übernahm ich die diplomatiſchen
Abmachungen mit Fräulein Clemence.“
ö „So!“ ſprach der alte Herr gedehnt. „Und was haſt
du mit der reſpektablen Dame verhandelt 2“
„Nun,“ geſtand der junge Offizier zögernd, „ich ſagte
ihr als Entſchuldigungsgrund, daß Fliſſen die Dame liebe
und ſie nur gebeten habe, in nächſter Zeit um ihre Hand
werben zu dürfen; ich hätte ihn begleitet honoris causa.
Ich gab auch die Verſicherung, ich würde nie geſtatten,
daß mein Freund wieder den Garten betrete, was ihr übri-
gens gar nicht zu imponiren ſchien.“ ö
„So!“ Das Geſicht des Herrn Kommerzienraths wurde
immer länger und verwunderter. „Weiter!“
„Sie zeterte wirklich ein wenig und drohte mit Anzeige
an Se. Durchlaucht. Na — da bat ich ſie denn im eignen
Intereſſe etwas leiſer zu reden und machte ſie in höflichſter
Weiſe darauf aufmerkſam, daß das Bekanntwerden dieſes

kleinen pikanten Ereigniſſes ihr mehr ſchaden dürfte, als
uns, und daß, wenn Durchlaucht uns im ſchlimmſten Falle

eine Arreſtſtrafe ertheile, wie allerdings anzunehmen, die
Sache unfehlbar ins Publikum gelangen würde, ebenſo,
wenn ſie ihre Leute verabſchieden ſollte. Wir beide, Fliſſen
und ich, wären diskret. Und ich wiederholte, wir würden
es nicht wieder unternehmen, in ihren Garten zu dringen,
weil mein Freund die wichtigen Mittheilungen, die ihm auf

dem Herzen gelegen, dem gnädigen Fräulein bereits gemacht

habe. Dann gingen wir und glaube nur, Papa, die Dame
ſpricht nicht über die Sache und beklagt ſich auch nicht.“

„Kann ich nicht billigen,“ wiederholte der Kommerzien-
rath, „Herr von Fliſſen, kann ich nicht billigen!“
„Herr Kommerzienrath,“ bat der junge Mann ſchüchtern,
„die Geſchichte iſt ja vorlänfig vorbei; das Fräulein wurde
bereits am folgenden Tage nach Hauſe geſe ickt zu ihrem
Vater. Seien Sie mir nicht böſe, ich habe ohnehin einen
Katzenjammer davon —“
„Alſo die Tochter von L. Carſtens Söhne? — Gargçon,
noch eine Flaſche! — Reelles Haus, aber ein verbiſſener
alter Knabe geworden; war früher weit liebenswürdiger.
Mein Freund, der Juſtizrath Roſemann in Reicha erzählte
mir unlängſt von ihm. Lieber Fliſſen, die Sache iſt aus-

ſichtslos, laſſen Sie ſie ſchließen, wenn ich rathen darf.“

Der alte Herr war plötzlich wie umgewechſelt und lachte ſo
merkwürdig vor ſich hin. ö
„Ich gebe die Hoffnung dennoch nicht auf,“ erwiderte
Fliſſen ruhig und ſicher, wie ſeine Weiſe war, „ich liebe
das Mädchen und ſie liebt mich, wir haben uns das Wort
gegeben und — wir warten.“
„Natürlich!“ beſtätigte der Kamerad und goß die Gläſer
voll. „Wir warten, Papa.“
„Worauf denn, Kinder?“ Der Herr Kommerzienrath
gab ſich alle Mühe ernſt auszuſehen, aber es gelang ihm
nicht; aus den Augen guckte ihm zu deutlich der Schelm
heraus und er rieb ſich die Hände, wie immer wenn er
einen fidelen Koup ausführen wollte.
„Papa, was iſt's? Du haſt etwas auf dem Rohre.“

„Kinder, hört zu; aber Diskretion, das ſage ich euch!
Heute Vormittag alſo war ich zu dem regierenden Herrn

befohlen worden, ihr wißt ja, ich verwalte das fürſtliche
Allodialvermögen. Na, als wir fertig waren, da ſagte
Sereniſſimus: „Olberg, Sie müſſen mir gewiß ſehr zürnen,
daß Sie Ihren Sohn, den Lieutenant, verlieren — 2“
„Was, Durchlaucht?“ rief ich aus. — „Ja, geſtern Abend“,
ſagte er, „iſt es von Uns beſchloſſen worden, das Schützen-
bataillon zu verlegen. Wir haben lange geſchwankt zwiſchen
dieſem und einem Bataillon Garde, nun wurde aber end-
lich der Beſchluß gefaßt, und zum erſten October marſchiren
die Schützen ab.“ — „Ah, Durchlaucht,“ rief ich, „an-
genehme Nachricht, „zumal wenn das Bataillon in eine
recht kleine billige Garniſon kommt, wo die Herren Offiziere
nicht ſo viel depenſiren — —.“ ö
„Hm!“ machte Lieutenant Olberg. ö
„„Aber, Durchlaucht,“ fuhr ich fort, „iſt es unbeſchei-
den zu fragen, wohin? Als Vater — —“
„Da lachte Seine Durchlaucht hell auf und meinte:
„Diskretion, Olberg!“ Und als ich die Hand auf's Herz
legte und dazu eine tiefe Verbeugung machte, ſagte er mir
halb in's Ohr: „Wir haben unſere Stadt Reicha an der
wilden Elze auserſehen, es darf es aber noch Niemand
erfahren, denn ich laſſe durch eine Commiſſion vorerſt die
Garniſonverhältniſſe nochmal genau prüfen!“ — Da habt
Ihr's, aber haltet reinen Mund!“ ö
Der Eindruck, den dieſer Bericht auf die beiden jungen
Leute machte, war ein ſehr verſchiedener. Lieutenant Ol-
berg ſah enttäuſcht aus, ärgerlich ſtampfte er ſeine Cigarre
auf den Aſchenteller, als ſei ſie ſchuld an dem Unglück.“
 
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