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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 27. Febraur)
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Heidelberger Familien

lätter.

Belktrifiche Beilage zur Heidelherger Zeilung

Ar. 10.

Mittwoch, den 3. Februar

1886.

——— —'''x' ⅛— —

Die Träulein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
Nachdruck verboten. Geſetz v. 11. Juni 1870.

O Herr, wie viele Ranken und blühende Reben um-
ſchlangen liebevoll das Haus am Strande! Sie erdrückten
es faſt, nichts ſah man von den holzbetäfelten Mauern,
keine Spur mehr von den blauen Schiefern des Daches,
über und über bedeckt von dem friſcheſten Grün, dazwiſchen
Büſchel weißblühender Roſen und gelblichen Geißblattes.
Ach und wie beſcheiden war das Häuschen! In der Mitte
ein kleiner Flur, zu beiden Seiten zwei Stübchen — ja
Stübchen waren es nur, im Anbau eine Küche, einige
Kämmerchen und oben, da wo ſich eben die ſinkende Abend-
ſonne im Fenſter zu Gaſte geladen, ein Giebelzimmer.
Es war das größte im Hauſe und auch das freundlichſte,
es ſoll darin nicht ein Tadel für die andern liegen, denn
freundlich waren ſie alle, aber man genoß von da den
freieſten Blick über den blauen Arm, den die Oſtſee bis
tief in das Land hineinſtreckte, ſah die Kähne der Fiſcher
und ihr Getriebe, und konnte die großen Schiffe bewun-
dern, wenn ſie geblähten Segels auszogen in die Welt,
die weite, die weite, oder wenn ſie freudig begrüßt heim-
kehrten zu den Ihren. Welch ein reges Leben entfaltete
ſich doch auf der Bucht, die, lieblich umkränzt von grünen-
den Hügeln, von dunkeln, ernſten Buchenwäldern, dalag
wie ein glänzender metallener Schild. Ja gerade ſo wie
blinkender Stahl, ſo glatt, ſo regungslos, die liebe Sonne
huſchte eben darüber hin und ſtreute ihre flammenden
Lichter. So ruhig, ſo friedliebend war ſie faſt immer,
aber ſie konnte auch ihre Stirn in grauſige Falten ziehen
und brüllend ihre Stimme erheben, dann ſah ſie anders
aus, ach, ganz anders! — Drüben jenſeits des Waſſers
lag ein kleines ſchleswig⸗holſteiniſches Städtchen, eigentlich
mehr ein großes Fiſcherdorf, aber die Bewohner würden
es ſehr übel vermerkt haben, hätte man ihre ſtädtiſchen
Rechte nicht voll anerkannt. Die Fiſcher des Oertchens
ſetzten nun einmal eine Ehre darin, Bürger zu ſein, und
zwar recht gute, brave ſchleswig⸗holſteiniſche — nicht dä-
niſche — Bürger. Am Ende der Bucht reichten ſich die
letzten Häuſer der Stadt und des gegenüberliegenden Dorfes,
in dem jenes rebenumrankte Häuschen lag, freundſchaftlich
die Hände, eine hölzerne Brücke, oft ſchon im Laufe der.
„Jahre erneuert, verband ſie. Meiſt benutzten ſie jedoch
nur die Fuhrleute mit ihren Wagen, gemeiniglich bildete
der Kahn, den jeder Bewohner von Jugend auf wohl zu
führen verſtand, das hauptſächlichſte Verbindungsmittel.
Rudern und ſegeln konnte hier ein Jeder, in allen ſteckte
etwas Fiſcherblut, in den Männern ſowohl wie in den
Frauen und Mädchen. O, es war auch eine Luſt, ſo auf
der blinkenden Waſſerfläche dahinzufahren, ringsum von
den reizenden Ufern umgeben und nur nach Oſten zu offen;
von daher ſandte die freie See ihre feuchten, luftigen Grüße,
man ſah, wie ganz in der Ferne ſich Himmel und Waſſer
wie in einem langen, nie enden wollenden Kuß vereinten.
ö Das kleine Haus lag höher als die übrigen Gebäude,
durch ein Vorgärtchen, von Blumen ſtrotzend, betrat man

lehnigen Sopha und den niedrigen Polſterſtühlen!

dem andern.

den Flur; kaum konnte man ſich darin umdrehen, vollge-
pfropft war er bis an die Decke, von der in der Mitte
ein zierlich gearbeitetes, aufgetakeltes Schiff im vollen
Schmucke der Segel herabhing. Uralte Schränke ſtanden
umher und durch die blanken Glasſcheiben ſah man wun-
derliches Geräthe, alte Porzellane, hundert, vielleicht auch
zweihundert Jahre mochten die Kannen und Kännchen, die
Schüſſeln und Teller, die Terrinen und Figuren zählen.
Ab und zu fehlte wohl einer weitbauchigen Kaffeekanne die
Naſe, einer Taſſe der Henkel, das ließ ſich nicht ändern,
aber Staub würde man vergeblich daran geſucht haben,
kein Stäubchen, nicht das geringſte! In dem Stübchen
ſah es ebenſo aus, man mußte ſich wundern, daß über-
haupt noch Menſchen darin wohnen konnten. Tiſchchen,
Kommoden, Schränke neben und beinahe übereinander, alle
in einer Form, mit Schnitzereien, Einlagen und Beſchlägen,
wie man ſie jetzt gar nicht mehr kennt, darauf Nippes und
Spielereien der wunderlichſten Art. Alles war hier im
Laufe der Jahre geſammelt und aufgeſpeichert, was einmal
hineingekommen in das Haus, das war ſicher nicht wieder
hinausgekommen. Ach, und die Stickereien über dem ſteif-
Ver-
blichene, phantaſtiſche Blumen, fabelhafte Thiere und Vögel,
Türken und Chineſen in den ſeltſamſten Stellungen. Kein
Menſch ſtickt heutzutage noch ſolche Kiſſen und Decken.
An alten Bildern fehlte es natürlich nicht, alle vier Wände
waren damit bedeckt. Der Theekeſſel war entzückend. Von
Meſſing war er, groß, ſo groß, daß beinahe für zwanzig

Seeleute der Grog darin gebraut werden konnte, und das

will doch ſchon etwas ſagen. Dann ſtand er wirklich recht
ſtolz und ſelbſtbewußt in einem verſchnörkelten, geſchnitzten
Geſtell auf der Erde, und in dieſem befand ſich eine Pfanne
für die Kohlen. Wenn der ſummte, man mußte es durch
das ganze Häuschen hören, bis oben hinauf in das Stüb-
chen im Giebel. Wenn er es doch einmal thäte! „S —
ſ[ſ—ſ—ſ—ſ“ Wahrhaftig er thut es, doch nicht von ſelbſt,‚
der alte Burſche will gut zugeredet ſein. Nun, daran fehlt
es nicht, denn eben erhebt ſich eine weibliche Geſtalt vom
blumenumſtellten Platze am Fenſter — der ſchneeweiße Vor-
hang hatte ſie bis jetzt ein wenig verhüllt — ergreift einen
Blaſebalg altmodiſcher Art und treibt ſo viel Luft unter
die glimmenden Kohlen, daß ihnen gar nichts weiter übrig

bleibt, als zu glühen, und da kann es der Keſſel nicht

laſſen, er macht „S — ſ — ſ—ſ— ſ—ſ—“ und ſtößt ſchon

feinen, kräuſelnden Dampf aus ſeinem Munde. Ein zweites

weibliches Weſen ſitzt noch regungslos auf dem andern
Fenſterplatze. Sie hat die Hände müßig in den Schooß
gelegt, achtet nicht des Geſanges des Keſſels und ſtarrt
ruhig und unverwandt hinaus auf die See. Sie gleicht
der andern um ein Haar, daſſelbe feingeſchnittene, gerad-
linige Profil, umrahmt von ſchneeweißen, peinlich glatt ge-
ſtrichenen Scheiteln, dieſelbe aufrechte Haltung des Kopfes
trotz des hohen Alters. Auch ihre Größe ſtimmt mit der
der andern, es iſt kein Zweifel, beide ſind Schweſtern,
man kann ſogar mit Beſtimmtheit annehmen, daß es-
Zwillingsſchweſtern ſind, ſie gleichen ſich ja wie ein Ei
 
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