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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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ridelberger Janilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Yr. 43.

Samstag, den 29. Mai

1886.

Zum Lindpurn.
Roman von B. Renz.
(Fortſetzung.)

Bald waren mit Hilfe der Handwerker die Vorhänge
und Teppiche entfernt und auf den Hof getragen, um ſie

dort vom Staube zu befreien, die Polſtermöbel folgten und

dann traten Beſen und Handfeger ihre Arbeit an, wobei
Billa mit allem Eifer half. Die Oeffnung des Schreib-
tiſches verſchob ſie trotz ihrer brennenden Neugier auf eine
ruhigere Zeit.
„Haſt du denn die Schlafſtube deiner Mutter ſchon ge-
ſehen?“ fragte Tante Roſe, „wo du geboren biſt? Komm!
Chriſtel, öffne das Fenſter drinnen.“
Auch dieſe Stube war mit entſprechendem Luxus ein-
gerichtet, maſſibe Möbel von Mahagoniholz ſchmückten den
Raum, und über dem Bette hing das Bruſtbild eines Offi-
ziers in preußiſcher Küraſſieruniform.
„Das iſt dein Großvater,“ ſagte Tante Roſe, indem
ſie auf das Paſtellbild in prächtigem Goldrahmen wies,
„Und dies iſt ächtes Meißener Porzellan,“ auf die Waſch-
utenſilien deutend, „und in dieſem Bette iſt deine Mutter
geſtorben.“
Das Mädchen hatte ſich auf die kleine Chaiſelongue
geworfen und ſchluchzte laut.
„Kind, laß dich nicht ſo gehen,“ bat Tante Roſe und
umfaßte ſie zärtlich. Sie beſaß nun einmal nicht das Ver-
ſtändniß für zartere Gefühle, aber ſie war gut, herzensgut,
und ſuchte auch ſofort nach Troſtgründen. „Freue dich,“
ſagte ſie, „daß es dir vergönnt iſt, in ſo unmittelbarem
Verkehr mit alle dem zu treten, was deine Mutter einſt
umgab, was ſie liebte und werth hielt; nicht jedem Kinde
wird es ſo gut. Und wenn nun erſt Ordnung geſchaffen
und alles gereinigt iſt, dann kannſt du dieſem ſchönen Ge-
fühle dich noch mehr hingeben und haſt Zeit und Ruhe,
den Inhalt der Schränke kennen zu lernen und wirſt viel
Schönes dort finden.“
„O Tante, wenn ſie noch lebte,“ meinte Billa, „dann

wäre alles beſſer! — Was ſoll nur aus mir werden, wenn

ich ihn nicht vergeſſen kann!“
„Sieh dir das Bild deiner Mutter an,“ ermahnte die
alte Dame, „bedenke, was ſie ihr gethan haben, und dann
frage dich, ob dein Vater anders handeln kann!“ Sie
ſtand bei dieſen Worten auf und trat in die Wohnſtube zu-
rück, wo eben die Weiber mit Eimer und Beſen erſchienen.
„Ach, was kann der Sohn für das Vergehen der El-
tern,“ ſtöhnte das Mädchen. „Er muß ja doppelt un-
glücklich ſein, wenn er den ganzen Zuſammenhang dieſer
entſetzlichen Geſchichte erfährt! O mein Gott, wenn er
denken könnte, ich habe ihn auch aufgegeben!“
„Das denkt er nicht!“ tönte eine leiſe Stimme in ihr
Ohr, und als die verweinten Augen aufſchauten, blickten

ſie in Chriſtels beſorgtes Geſicht, die aber ſofort den Finger:

auf den W.

legte zum Zeichen des Schweigens. „Kom-
men Sie

hinaus, gnädiges Fräulein,“ ſagte ſie dann

wird.

glücklich aus.

laut, „wir müſſen die Vorhänge und Teppiche von hier
ebenfalls hinunterſchaffen; gehen Sie ein wenig in den
Garten, hier können Sie doch nicht helfen; und ich paſſe
ſchon auf, daß an den hübſchen Sächelchen nicht gerührt
Draußen iſt es ſo warm und ſonnig, und die Berge
ſehen ſo tiefblau herüber.“
„Liebe Billa“, rief jetzt auch die Tante aus der Neben-
ſtube, „geh lieber hinunter bis wir den Staub von den
Wänden gefegt haben; deine Augen ſind ohnehin gereizt.
Sieh dich einmal auf dem Hofe nach den Gardinen um,
ob ſie noch brauchbar ſind?“
Das junge Mädchen ſchritt den Korridor entlang und
warf, ehe ſie hinabging, einen Blick in die andern Stuben,
deren Thüren ſämmtlich geöffnet waren. Der nächſte Raum,
zu welchem die Tapetenthür ihres Zimmers führte, ſchien
die gemeinſchaftliche Wohnſtube geweſen zu ſein; dann
folgte das Zimmer ihres Vaters, ſein Schlafzimmer und
im Nebenflügel der Speiſeſaal, ſämmtlich reich möblirt;
namentlich der letztere enthielt eine prachtvolle Garnitur

eichener Möbel und eine Kollektion ſchöner antiker Humpen

und Gläſer auf dem Büffet. Wie manche frohe Stunde
mochten die Eltern hier verlebt, wie manches frohe Feſt
hier gefeiert haben! Ob es je wieder ſo kommen würde 2
Wenn der Vater nur nicht gar ſo verſtimmt, ſo unzugäng-
lich wäre — ja dann —
Chriſtel hatte recht, es war köſtlich draußen; noch ſaßen
hie und da ſpäte Aepfel an den Bäumen und prachtvolle
Trauben an den Spalieren, und Georginen und Aſtern
blühten auf den Rabatten. Wie ſchön konnte es ſich hier
leben, wie wunderſchön! — Von dem Wirthſchaftshofe her
ertönte das taktmäßige Geräuſch des Ausklopfens der Möbel
und eben wollte Billa, dieſem zu entgehen, den Weg nach
dem Luginsland einſchlagen, als die Stimme des Tapeziers
ſie feſthielt.
„Sehen Sie nur, gnädiges Fräulein,“ rief er, „wie
alles die Farben conſervirt hat! Freilich, es war ja im-
mer dunkel in den Stuben; aber auch nicht ein Bruch iſt
in der Seide, und von Motten keine Spur. Es iſt alles
wie neu, nur die weißen Untergardinen werden wir erſetzen,
dann können Sie einziehen.“ Der alte Mann ſah ganz

„Prächtig, Herr Weitz! Und bis übermorgen werden
Sie fertig mit meinen Zimmern?“
„Gewiß, gnädiges Fräulein,“ verſicherte der Mann,
„Und ſchön ſoll es werden. Ich habe die Stuben ja ſchon
einmal hergerichtet für Ihre Frau Mutter. O, die habe
ich gut gekannt! Sie ſuchte die Stoffe und Farben ſelbſt
aus und man muß ſagen, Geſchmack hatte ſie, wie keine;
ſehen Sie nur den Seidenrips, ſo etwas wird gar nicht
mehr gemacht.“
„Vortrefflich, Herr Weitz! Und wenn Sie alles wieder
hinausgeſchafft haben, laſſen Sie mich es wiſſen, ich gehe
nach dem alten Thurme zu. Bitte, ſagen Sie es auch ö
meiner Tante, falls ſie nach mir fragt.“
Es war ein köſtliches Plätzchen dort oben. Links im
Thale die Stadt mit der altersgrauen Ringmauer und dem
mächtigen Dome, deſſen gothiſcher Thurm ſo hoch empor-
 
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