Htidelberger Lanilirnblätter.
Velletriſliſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ur. 40.
Mittwoch, den 19. Mai
1886.
IZum Sindwurn.
Roman von B. Renz.
(Fortſetzung.)
„Mir erzählte ſie noch,“ bemerkte Lieutenant Fliſſen
nach einer Pauſe, „daß mein Onkel Max bei ihr gewohnt
habe. Sie ſchildert ihn als einen ſtattlichen Mann, der
die junge Frau Carſtens heimlich habe mitnehmen wollen
nach Amerika, aber Herr Carſtens wäre zu gerieben; ſie
wüßte hübſche Geſchichten von ihm.“
„Da haben Sie's wieder!“ rief der Juſtizrath. „Die
Sucht, Skandäler zu entdecken und daraus Kapital zu
machen, iſt bei dem Weibe völlig zur Manie geworden. —
Aber, ſie weiß alles, Sie mögen ſie fragen, wonach Sie
wollen, und ſie kennt möglicherweiſe auch den jetzigen
Aufenthalt Ihres Onkels Max.“
„Das wäre kein Fehler,“ meinte Olberg, „ein reicher
Onkel iſt immer angenehm, ſelbſt wenn er aus Amerika
verſchrieben werden muß.“
„Und in unſerm Falle doppelt erwünſcht,“ ſetzte der
alte Herr hinzu, „denn er war in der That befreundet mit
Carſtens, ſehr befreundet ſogar. Aber nun wollen wir
hinuntergehen und unſere Kramtsvögel verzehren und ein
Glas Moſel dazu trinken; das ſüße Zeug mundet doch
nicht auf die Dauer.“
In dieſem Augenblick trat eine Ordonnanz in den Pa-
villon mit einem Schreiben in der Hand, das er in ſtram-
mer dienſtlicher Haltung dem Lieutenant von Fliſſen über-
reichte: „Vom Herrn Major, zur ſchleunigen Kenntnißnahme.“
— Der Inhalt des Briefes wat ein ſehr kurzer und Fliſſen
las ihn vor: ö
„Das Brigadecommando benachrichtigt das Bataillon,
daß die Beſichtigung der Garniſonanſtalten in Reicha am
ſechzehnten October ſtattfinden wird. Quartier iſt zu
beſtellen für den Herrn General, den Adjutanten und
einen Intendanturrath.“ —
Mit Bleifeder ſtand darunter, geſchrieben von der Hand
des Bataillonscommandeurs: ö
„Lieber Fliſſen, morgen früh — obwohl Sonntag —
um neun Uhr bei mir zur mündlichen Verhandlung.“
„Der wird ſich freuen,“ lachte Olberg; „kaum einige
Wochen hier und ſchon Inſpizirung, ehe noch alles in ge-
hörigem Schick iſt. Das begreife, wer da kann. Und nun
die Eile von unſerm Chef!“
„Einfach deßhalb,“ erwiderte Fliſſen, „weil wir Montag
ſchon anfangen müſſen mit Vorarbeiten, um bis zum ge-
ſtellten Termine fertig zu ſein; es ſind ja kaum noch acht
Tage. Wir ſtehen zu Dienſten, Herr Juſtizrath.“
IX.
Als Lieutenant von Fliſſen ſich am anderen Morgen
zum Bataillonscommandeur begeben wollte und deßhalb
rechtzeitig ſeine Wohnung verließ, trat er zuerſt gewohnheits-
gemäß in den Stall, um nach dem Braunen zu ſehen und
ihm die tägliche Zuckerſpende zu bringen. Friedel, der
Burſche, ſtand gerade zum Ausgehen bereit mit einem
Korbe in der Hand neben der Futterkiſte, und auf dieſer
ſaß ein niedliches Mädchen von etwa ſieben Jahren, ſehr
einfach aber ſauber in dunklen Stoffen gekleidet, und hielt
ein weißes Kaninchen im Arm, deren einige, als Friedels
unbeſtrittenes Eigenthum, Mitbewohner des Stalles waren.
„Wohin, Friedel?“ fragte der Offizier.
„Wäſche holen, Herr Lieutenant,“ lautete die kurze
Antwort.
„Und Lischen will mitgehen,“ apoſtrophirte die Kleine,
und bemühte ſich, ohne das Kaninchen los zu laſſen, von
der Kiſte herabzukommen.
„Weſſen Kind iſt das?“ forſchte der junge Mann.
„Die Tochter der fremden Frau,“ erwiderte Friedel
halblaut, „die ſeit einigen Tagen hier im Hinterhauſe wohnt.“
„So?“ Damit war der Offizier zu ſeinem Pferde
getreten und hörte nur noch, wie der Burſche mit dem
Kinde kapitulirte, es dürfe das Kaninchen nicht mit auf
die Straße nehmen, weil es fortlaufen würde, „und dann
weint Lischen,“ ſchloß er die beredte Beweisführung.
In dieſem Augenblick rief man draußen: „Lischen!“
und gleich darauf trat eine Frau von fünf⸗ bis ſechsund-
dreißig Jahren mit ſehr hübſchen Zügen aber blaſſem Ge-
ſichte in den Stall, ebenfalls ſauber in ſchwarzen Stoff
gekleidet. „Lischen incommodirt Sie gewiß, Herr Friedel?“
fragte ſie mit angenehmem Tonfall; „komm, Lischen, Herr
Friedel hat zu thun, du mußt wieder ſtricken.“
„O Frau Schmidt,“ antwortete der Burſche mit etwas
gedämpfter Stimme, „laſſen Sie das Kind nur mitgehen,
es hat den ganzen Morgen darum gebettelt und in einer
halben Stunde ſind wir wieder da. — Haben Herr
Lieutenant noch was zu befehlen?“ wandte er ſich in
lauterem Tone nach der Richtung, wo der Offizier bei
ſeinem Pferde ſtand. ö
Dieſem war inzwiſchen aus der geſtrigen Unterhaltung
mit dem Juſtizrath unzweifelhaft klar geworden, daß die
Fremde diejenige ſein müſſe, welche als Dienerin im Carſtens-
ſchen Hauſe angenommen werden ſollte, und ein wunder-
bares Gewebe von Kombinationen ſtieg plötzlich in den
prächtigſten Farben vor ihm auf. Er trat daher raſch vor,
widmete der Frau einen höflicheren Gruß, als er unter
andern Umſtänden vielleicht gethan haben würde und bat,
die Kleine doch mit in die Stadt gehen zu laſſen; er bürge
für ſeinen Burſchen, der Kinder ſehr lieb babe. Worauf
Friedel ſchmunzelnd mit der kleinen Begleiterin verſchwand.
Auch die Frau wollte ſich jetzt entfernen, aber der junge
Mann, der ſich übrigens in reſpektvoller Entfernung hielt,
ließ ſie nicht dazu kommen, ſondern fragte ſofort:
„Sind Sie nicht Frau Schmidt, und eine Bekannte des
Herrn Juſtizrath Neſemann?“
Die Gefragte lächelte. „Herr Juſtizrath hat mir auch
von Ihnen erzählt, Herr Lieutenant; wenigſtens nehme ich
an, daß Sie Herr von Fliſſen ſind und hier im Hauſe
wohnen ?“ ö
„Warum nehmen Sie das an, Frau Schmidt?“
„Nun, weil Sie ein Pferd haben und der Herr Adjutant
ſind, die anderen Herren Lieutenants haben doch keine
Pferde, und — —“ ö
Velletriſliſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ur. 40.
Mittwoch, den 19. Mai
1886.
IZum Sindwurn.
Roman von B. Renz.
(Fortſetzung.)
„Mir erzählte ſie noch,“ bemerkte Lieutenant Fliſſen
nach einer Pauſe, „daß mein Onkel Max bei ihr gewohnt
habe. Sie ſchildert ihn als einen ſtattlichen Mann, der
die junge Frau Carſtens heimlich habe mitnehmen wollen
nach Amerika, aber Herr Carſtens wäre zu gerieben; ſie
wüßte hübſche Geſchichten von ihm.“
„Da haben Sie's wieder!“ rief der Juſtizrath. „Die
Sucht, Skandäler zu entdecken und daraus Kapital zu
machen, iſt bei dem Weibe völlig zur Manie geworden. —
Aber, ſie weiß alles, Sie mögen ſie fragen, wonach Sie
wollen, und ſie kennt möglicherweiſe auch den jetzigen
Aufenthalt Ihres Onkels Max.“
„Das wäre kein Fehler,“ meinte Olberg, „ein reicher
Onkel iſt immer angenehm, ſelbſt wenn er aus Amerika
verſchrieben werden muß.“
„Und in unſerm Falle doppelt erwünſcht,“ ſetzte der
alte Herr hinzu, „denn er war in der That befreundet mit
Carſtens, ſehr befreundet ſogar. Aber nun wollen wir
hinuntergehen und unſere Kramtsvögel verzehren und ein
Glas Moſel dazu trinken; das ſüße Zeug mundet doch
nicht auf die Dauer.“
In dieſem Augenblick trat eine Ordonnanz in den Pa-
villon mit einem Schreiben in der Hand, das er in ſtram-
mer dienſtlicher Haltung dem Lieutenant von Fliſſen über-
reichte: „Vom Herrn Major, zur ſchleunigen Kenntnißnahme.“
— Der Inhalt des Briefes wat ein ſehr kurzer und Fliſſen
las ihn vor: ö
„Das Brigadecommando benachrichtigt das Bataillon,
daß die Beſichtigung der Garniſonanſtalten in Reicha am
ſechzehnten October ſtattfinden wird. Quartier iſt zu
beſtellen für den Herrn General, den Adjutanten und
einen Intendanturrath.“ —
Mit Bleifeder ſtand darunter, geſchrieben von der Hand
des Bataillonscommandeurs: ö
„Lieber Fliſſen, morgen früh — obwohl Sonntag —
um neun Uhr bei mir zur mündlichen Verhandlung.“
„Der wird ſich freuen,“ lachte Olberg; „kaum einige
Wochen hier und ſchon Inſpizirung, ehe noch alles in ge-
hörigem Schick iſt. Das begreife, wer da kann. Und nun
die Eile von unſerm Chef!“
„Einfach deßhalb,“ erwiderte Fliſſen, „weil wir Montag
ſchon anfangen müſſen mit Vorarbeiten, um bis zum ge-
ſtellten Termine fertig zu ſein; es ſind ja kaum noch acht
Tage. Wir ſtehen zu Dienſten, Herr Juſtizrath.“
IX.
Als Lieutenant von Fliſſen ſich am anderen Morgen
zum Bataillonscommandeur begeben wollte und deßhalb
rechtzeitig ſeine Wohnung verließ, trat er zuerſt gewohnheits-
gemäß in den Stall, um nach dem Braunen zu ſehen und
ihm die tägliche Zuckerſpende zu bringen. Friedel, der
Burſche, ſtand gerade zum Ausgehen bereit mit einem
Korbe in der Hand neben der Futterkiſte, und auf dieſer
ſaß ein niedliches Mädchen von etwa ſieben Jahren, ſehr
einfach aber ſauber in dunklen Stoffen gekleidet, und hielt
ein weißes Kaninchen im Arm, deren einige, als Friedels
unbeſtrittenes Eigenthum, Mitbewohner des Stalles waren.
„Wohin, Friedel?“ fragte der Offizier.
„Wäſche holen, Herr Lieutenant,“ lautete die kurze
Antwort.
„Und Lischen will mitgehen,“ apoſtrophirte die Kleine,
und bemühte ſich, ohne das Kaninchen los zu laſſen, von
der Kiſte herabzukommen.
„Weſſen Kind iſt das?“ forſchte der junge Mann.
„Die Tochter der fremden Frau,“ erwiderte Friedel
halblaut, „die ſeit einigen Tagen hier im Hinterhauſe wohnt.“
„So?“ Damit war der Offizier zu ſeinem Pferde
getreten und hörte nur noch, wie der Burſche mit dem
Kinde kapitulirte, es dürfe das Kaninchen nicht mit auf
die Straße nehmen, weil es fortlaufen würde, „und dann
weint Lischen,“ ſchloß er die beredte Beweisführung.
In dieſem Augenblick rief man draußen: „Lischen!“
und gleich darauf trat eine Frau von fünf⸗ bis ſechsund-
dreißig Jahren mit ſehr hübſchen Zügen aber blaſſem Ge-
ſichte in den Stall, ebenfalls ſauber in ſchwarzen Stoff
gekleidet. „Lischen incommodirt Sie gewiß, Herr Friedel?“
fragte ſie mit angenehmem Tonfall; „komm, Lischen, Herr
Friedel hat zu thun, du mußt wieder ſtricken.“
„O Frau Schmidt,“ antwortete der Burſche mit etwas
gedämpfter Stimme, „laſſen Sie das Kind nur mitgehen,
es hat den ganzen Morgen darum gebettelt und in einer
halben Stunde ſind wir wieder da. — Haben Herr
Lieutenant noch was zu befehlen?“ wandte er ſich in
lauterem Tone nach der Richtung, wo der Offizier bei
ſeinem Pferde ſtand. ö
Dieſem war inzwiſchen aus der geſtrigen Unterhaltung
mit dem Juſtizrath unzweifelhaft klar geworden, daß die
Fremde diejenige ſein müſſe, welche als Dienerin im Carſtens-
ſchen Hauſe angenommen werden ſollte, und ein wunder-
bares Gewebe von Kombinationen ſtieg plötzlich in den
prächtigſten Farben vor ihm auf. Er trat daher raſch vor,
widmete der Frau einen höflicheren Gruß, als er unter
andern Umſtänden vielleicht gethan haben würde und bat,
die Kleine doch mit in die Stadt gehen zu laſſen; er bürge
für ſeinen Burſchen, der Kinder ſehr lieb babe. Worauf
Friedel ſchmunzelnd mit der kleinen Begleiterin verſchwand.
Auch die Frau wollte ſich jetzt entfernen, aber der junge
Mann, der ſich übrigens in reſpektvoller Entfernung hielt,
ließ ſie nicht dazu kommen, ſondern fragte ſofort:
„Sind Sie nicht Frau Schmidt, und eine Bekannte des
Herrn Juſtizrath Neſemann?“
Die Gefragte lächelte. „Herr Juſtizrath hat mir auch
von Ihnen erzählt, Herr Lieutenant; wenigſtens nehme ich
an, daß Sie Herr von Fliſſen ſind und hier im Hauſe
wohnen ?“ ö
„Warum nehmen Sie das an, Frau Schmidt?“
„Nun, weil Sie ein Pferd haben und der Herr Adjutant
ſind, die anderen Herren Lieutenants haben doch keine
Pferde, und — —“ ö