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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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heidelberger Janilien

lätter.

Benetriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

ur. 98.

Mittwoch, den 8. December

1886.

Sub roſa.

Novellette von Zos von Reuß.
Gortſetzung.)

„Fräulein von Bertrab hat mir geſchrieben, ſie ladet
uns ſehr herzlich ein, ſie morgen auf dem Landgute ihres
Vaters zu beſuchen,“ ſagte Eberhard eines Tages, mit
einem Briefe in Doras Stube tretend. „Ich ſagte Dir
wohl noch gar nicht, daß ſie ſeit vierzehn Tagen nicht
mehr in der Stadt iſt?“
„Nein!“ ſagte Dora verwundert. Alſo darum hatte
Eberhard jetzt jede Lehrthätigkeit eingeſtellt und ging bei-
nahe gar nicht mehr aus. Sie hatte ſich ſchon den Kopf
zerbrochen, warum er niemals von der ſchönen Tony ſprach.
Der Gatte ſchien durch die angeſtrengte Arbeit im Atelier
jetzt ſo angegriffen, daß ſie es beinahe wünſchte, daß ihm
irgend etwas Veranlaſſung gab, dieſelbe zu unterbrechen.
„Es iſt Dir doch recht, daß ich die Einladung an-
genommen habe, Kleine?“
„Sehr recht, Eberhard! Wann fahren wir?“
„Gegen Abend, der Tag wird vermuthlich wieder heiß
werden. Bitte, ziehe doch das roſa Sommerkleidchen wie-
der an, das Du trugſt, als Tony bei uns war, und als —
die erſten Roſen blühten!! Weißt Du ?“ ö
„Nein, Eberhard, es war ein ganz niedliches Haus-
kleid, aber für einen Beſuch iſt es doch nicht gut genug!“
„Unſinn, es kommt nur darauf an, daß Du hübſch biſt.“
„Unmöglich! So etwas verſteht ihr Männer nicht!“
„Beſſer als Du denkſt. Wenn Du aber nun mal nicht
willſt — meinetwegen!“
Dora war ſo klug und liebenswürdig, die eigene,beſſere“
Anſicht zum Opfer zu bringen, und die heitere Freude des
Gatten, als er ſie nach ſeinem Wunſche geſchmückt ſah, war
ihr beſter Lohn. Er war ſehr luſtig und geſprächig im
Wagen und einmal paſſirte ſeinem Uebermuthe ſogar das
Malheur, daß er ihr hinter dem Rücken des Kutſchers
nolens volens einen ſchallenden Kuß gab. Auch dort
blieb ſeine Laune die allerbeſte. Der Empfang war aber
auch der liebenswürdigſte von der Welt, Dora konnte un-
möglich anders als Tony diesmal ſehr angenehm finden.
Daß Dora befriedigt ſchien, erhöhte natürlich noch die
gute Stimmung des Gatten. Wenn auch an Fräulein von
Bertrab nicht alles, und allein, der unmittelbarſte Ausdruck
innerſter Natur war, wie in Doras eignem, ſpröderen

Weſen, ſo war dennoch auch keine Falſchheit oder Unlauter-

keit zu bemerken. Sie war wie die Gewohnheit des Welt-
lebens das von Haus aus gut angelegte Weib gewöhnlich
zu machen pflegt: die gewonnene Geiſtesbildung unterſtützt

die Bildung des Herzens und läßt geyn alle Rückſichten

nehmen, die ſich mit dem Egoismus vertragen.
ö Das Landgut ſelbſt war eigentlich nur eine Villa, die
ſich der alternde Präſident von Bertrab, Tony's Vater,

vem das Reiſen und Hotelleben allmälig ziemlich zuwider

eworden war, als eigene angenehme Sommerfriſche ein-

gerichtet hatte. Die Tochter hatte dabei Gelegenheit gefun-
den, den ermorbenen feinen Geſchmack frei walten zu laſſen;

alles war hübſch und diſtinguirt.

nehm und taktvoll zurückgetreten war.

Ueber eine große Stein-
veranda hinweg ſchritt man in ein kühles, ſäulengetragenes
Veſtibül, das an heißen Sommertagen einen angenehmen
Aufenthalt bildete. Daran ſchloſſen ſich hübſche luftige

Zimmer, bei deren Einrichtung das Beſtreben des Luxus

vor den Annehmlichkeiten eines behaglichen Komforts vor-
Ueberall zeigte ſich
Verſtändniß und feiner Geſchmack. *
Beim Kaffeetrinken auf der Veranda war die Unter-
haltung belebt und allgemein. Der Präſident war ein alter
jovialer Herr, deſſen Buͤreaukratismus noch nicht ſo ſehr
in Fleiſch und Blut übergegangen war, als daß er ihn in
Geſellſchaft, und beſonders Damen gegenüber, nicht hätte
ablegen können, und Tony verſtand es in liebenswürdigſter
Weiſe, die Wirthin zu machen. Sie leitete die Unterhal-
tung mit vollkommener Sicherheit, und verſtand es vor-
trefflich, Jedermann in den Geſprächskreis zu ziehen, dann
freilich pflegte ſie ſich zuweilen mit Eberhard durch ein
eigenes Geſprächsthema zu iſoliren, welches gewöhnlich der
Kunſt oder einem andern ihrer mannigfachen Berührungs-
punkte entſprang. *
Auch jetzt gab ſie ihm den Arm und ließ ſich von ihm
in den Garten führen. Der Präſident folgte mit Dora
und der Geſellſchafterin.
Auch der Garten war ſchön angelegt, die Kunſt hatte
nur zu vollenden geſucht, was die Natur andeutete. Ueberall
ſah man das Beſtreben, den natürlichen Charakter des ſchön
und reizvoll gelegenen Ganzen zu erhalten und zum Ideal
zu erheben. Neben der eleganteſten Flora behaupteten ſich
mit Glück allerlei Geſchwiſterkinder aus Wieſe und Wald:
junge kräftige Eichen und ſchlanke Birken, über deren weiß-
atlaſ''ne Stämme zierliche grüne Schleier herabrieſelten,
hochgewachſene Maisſtauden, Tabak, ſelbſt die buntgeſpru-
delten zackigen Diſtelpflanzen ſchimmerten blitzernd aus
dunklem Strauchwerk hervor und zeigten dem Kenner ihre
Verwandtſchaft mit verſchiedenen Palmenarten. Alles ſtand
an ſeiner richtigen Stelle, und ſelbſt die Eindringlinge
zeigten ſich von ſo vollendeter weltmänniſcher Tournüre,
daß ihr Anblick, anſtatt zu ſtören, nur erfreute, weil er zu
dem Grundzug unſerer heutigen Gartenbaukunſt, eine voll-
kommene und ideale Natur darzuſtellen, vollkommen paßte.
Jetzt blieb man miteinander bei ein paarx beſonders
kunſtvoll angelegter Teppichbeete ſtehen. Dora allein ſchien
die Bewunderung nicht ganz zu theilen, ſie blickte fragend
zu Eberhard herüber und ſagte: „Verzeih, aber mir ſcheint
unſer modernes, ſalatſchüſſelähnliches Teppichbeet, dieſe
neueſte „grüne Mode“ würde beſſer in die altfranzöſiſchen

Gärten mit ihren ſteifgeſchnittenen Buchenhecken und grad-

linigen Wegen paſſen, als in unſere Parks mit ihren ma-
leriſchen Effekten — habe ich recht, Eberhard?“ ö
Der Gatte lachte und ſchien ſich über die Bemerkung
zu freuen, denn er nickte ihr zuſtimmend zu, dann ſchritt
er mit Tony weiter.
Später wurde muſizirt. Dora ſpielte ihre Beethoven-
ſche Sonate gerade ſo, wie ſie dieſelbe daheim zu eigenem
Genuß zu ſpielen pflegte, und hatte die Genugthuung, daß
Tony nach Beendigung derſelben zu ihr trat und ihr ſagte:
 
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