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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 62 - Nr. 69 (4. August - 28. August)
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jeidelberger Familieublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitunh.

Ur. 67.

Samstag, den 21. Auguſt

1886.

Der Ring.
Novelle von E. Hartner.
Fortſetzung.)

„Nun, bei Gott, dieſe tolle Geſchichte wird immer toller!“

rief Wilhelm von Bohsdorf endlich. „Menſch, bedenke
doch, es handelt ſich um die Gräfin Erk, die Erbtochter
unſeres reichſten Grundbeſitzers!“
Viktor von Mannhardt ſtöhnte. „Das iſt's ja eben!“
Wilhelm ſah den ganz zerſchmetterten Freund mitleidig
an. „Faſſe Muth, alter Junge!“ ſagte er endlich. „Wer
weiß, ob die Gräfin dein tolles Liebesgeflüſter ſo tragiſch
genommen hat! Heuchle ein möglichſt unbefangenes Ge-
ſicht und ignorire die ganze Geſchichte!“ ö
Viktor ſchüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht!“
„Warum nicht?“
„Sie hat meinen Ring!“
„Welchen Ring?“
„Den Verlobungsring meiner Großmutter!“
„Sie hat ihn angenommen?“
„Ich habe ihn ihr aufgedrängt!“
Es trat eine Pauſe ein.

„Die Geſchichte wird ernſthaft!“ nahm Wilhelm in

gänzlich verändertem Ton das Wort. „Wäre es irgend
eine von den andern Damen, die wir beſſer kennen, ſo ge-
traute ich mir wohl, wieder alles in Ordnung zu bringen.
Aber gerade die Gräfin Erk! Wär's noch ihre niedliche
Couſine! Dem kleinen Krauskopf wollte ich deinen Ring
ſchon wieder abſchwindeln!
nicht gehen und du kannſt nicht den leiſeſten Schritt wagen,
ohne den fürchterlichſten Spektakel zu erregen.“
„So werde ich ſie heirathen!“ ſagte Viktor mit me-
lancholiſcher Reſignation.
„Höre, Freundchen, die meiſten Adamsſöhne würden
dich für einen ſehr beneidenswerthen Sterblichen halten!“
meinte Wilhelm ruhig.
„Vielleicht bin ich es auch!“ ſagte Viktor, ſein wirres
Haar zurückſtreichend. „Ich bin eben in einem Chaos! —
Urtheile ſelbſt! — Vor vier Jahren war ich ein paar Tage
in Schönheide! Comteſſe Paula war damals in jenem
Zuſtand, in dem die Schmetterlingsflügel der jungen Dame
ſchon hier und da die unſcheinbare Raupe durchbrechen.
Ein reizendes Zwitterding von kindlicher Zutraulichkeit,
mädchenhafter Scheu, jungfräulichem Stolz. Du weißt,
daß das Leben damals noch anders vor mir lag, als jetzt.
Was ſoll ich es leugnen? Ja, der Gedanke durchzuckte mich
zuweilen: wenn ſie erſt erwachſen iſt, dann — Schönheide
iſt nicht aus der Welt! — Dann kam meines Vaters Tod,
der gänzliche Umſchwung unſerer Lage, ich vergaß, daß eine
Gräfin Erk exiſtirt, die nun erwachſen ſein muß! — So
kam ich geſtern auf den Ball, ſie war da, ſie hatte mich
nicht vergeſſen, ich ſie auch nicht, wie ich nun wohl merkte.
Unſer Geſpräch, der Tanz, die Muſik, die Einflüſterungen
ihrer kleinen Hexe von Couſine, vielleicht auch der Wein,
— das alles berauſchte mich, entzückte mich, und als ich
ſie wartend an der Thür ſtehen ſah, — allein, — da

Aber zur Gräfin Erk kann ich

als Bräutigam loskommſt.

packte mich das Gefühl: wer weiß, ob du ſie wieder ſiehſt,
wer wagt, gewinnt! Und ſo iſt es gekommen!“ ſchloß er
ſeufzend. ö ö
„In alledem kann ich nicht einſehen, was dich heute ſo
niedergeſchlagen macht?“ meinte der Freund.
„Aber ich bitte dich, Wilhelm, ich kann doch die Gräfin
Erk nicht heirathen!“ rief Viktor aufſpringend, „das paßt
ja nirgends! Der Graf wirft mich ja rücklings die Treppe
hinunter! Und meine alte Mutter, die mit ihren 200
Thalern Wittwenpenſion ſich kümmerlich durchſchlägt, und
meine Schweſter, die ſich als Lehrerin abquält, — das
paßt und ſchickt und trifft ſich nirgends, ich käme ja aus
der Angſt und dem moraliſchen Druck gar nicht heraus und
ſpränge ſicher in den Schloßteich von Schönheide, um dem
unhaltbaren Zuſtande ein Ende zu machen.“
„Das klingt alles ſehr vernünftig, würde aber wie
Seifenblaſen zerplatzen, wenn nur ein kleiner Umſtand an-
ders wäre,“ ſagte Wilhelm gelaſſen. „Wenn du die Gräfin
liebteſt, würde dich das alles wenig beunruhigen! Du
haſt eben geſtern einen Rauſch für ächtes Gefühl gehalten
und unüberlegt gehandelt. Die Frage iſt: was kann nun
geſchehen? Mit der Tochter des Grafen Erk ſpielt man
nicht Kopf und Schrift.“ ö
Viktor von Mannhardt ſah dem Gelaſſenen verzweifelt
ins Geſicht. „Du meinſt alſo ernſtlich, daß ich die Gräfin
heirathen muß?“ ö
„Aber, lieber Junge, du kannſt doch nicht ſagen: Ver-
zeihung, gnädigſte Gräfin, ich habe mir die Sache überlegt
und finde bei ruhigem Blut, daß ich Sie doch nicht hei-
rathen will?“ verſetzte Wilhelm achſelzuckend. „Es iſt faſt

zwölf, — wer weiß, ob nicht ſchon das Haus feſtlich ge-

ſchmückt iſt, den Bräutigam zu empfangen —“
„Sie wohnen im Hotel,“ warf Viktor ein.
„Ich will dir etwas ſagen,“ nahm Wilhelm nach längerm
Schweigen wieder das Wort. „Du dauerſt mich und ich
will dir gern helfen, wenn ich kann. Alſo: die Gräfin
hat entweder geſprochen oder geſchwiegen. Hat ſie ge-
ſprochen, ſo wird dich der Graf entweder als Schwieger-
ſohn willkommen heißen oder dir einen wunderſchönen Korb
ertheilen. Geſchieht letzteres, ſo nimmſt du ihn mit dank-
erfülltem Herzen an und verſchwindeſt für immer von der
Bildfläche, geſchieht erſteres, ſo mußt du zuſehen, wie du
Gelingt dir das nicht, ſo mußt
du eben ſtille halten, man muß ja zu größerem Unglück
ſtill halten! Die andere beſſere Alternative iſt, daß Gräfin
Paula ihr Geheimniß für ſich behalten hat. Sie iſt ſtolz
und empfindlich, bemerkt ſie auch nur ein leiſes Schwanken
deinerſeits, ſo biſt du frei, das kannſt du ſicher ſein.“
„Ganz ſchön; doch wie ſollen wir das in Erfahrung
bringen?“ ö
Wilhelm von Bohsdorf ſah nach der Uhr. „Dreiviertel
auf zwölf, Viſitenſtunde! Du haſt deinen Beſuch zu heute
in Ausſicht geſtellt, es hindert mich nichts, der Gräfin auch
meine Aufwartung zu machen. Wir gehen zuſammen und
ſehen, was das Schickſal über dich beſchloſſen hat!“
„Du haſt keine Ahnung davon, wie feige, erbärmlich
und nichtswürdig ich mir vorkomme!“ ſagte Viktor mit
 
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