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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 44 - Nr. 52 (2. Juni - 30. Juni)
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hridelberger Anilienblätter.

Bellekriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 47.

Samstag, den 12. Juni

1886.

Zum Jindwurn.
Roman von B. Renz.

Fortſetzung.)

„Ihre Handſchrift allerdings, Frau Grieben,“ ver-
ſicherte der alte Herr beſtimmt und ruhig, „etwas verſtellt
zwar, aber nicht geſchickt genug, um die Entdeckung zu
vermeiden. Woher wiſſen Sie aber, daß es nicht Ihre
Handſchrift? Sie haben ja noch nicht einen Blick auf die
Schrift geworfen, ich halte Ihnen abſichtlich den Brief ver-
kehrt hin, die Schriftſeite nach unten?“ — Als die Frau,
gleichſam überrumpelt und total unfähig eine Erwiderung
zu finden, ſchweigend verharrte, ſetzte er hinzu: „Das iſt
die Frucht des böſen Gewiſſens, Frau Grieben; nun geben
Sie das Leugnen nur auf und ſagen Sie mir, aus welchem
Grunde begingen Sie dieſe Dummheit2“
Die Dame, die ihre Faſſung noch nie verloren hatte,
fühlte ſich beſiegt, zum erſtenmal in ihrem Leben. „Sehen
Sie, Herr Juſtizrath,“ begann ſie nach einer Weile, und
das Taſchentuch fuhr an die Augen, „er hatte ihr doch zu
ſtark die Kur gemacht und — —“
„Er? — Wer?“
„Nun, der alte Sünder, der Carſt— —
„Frau Grieben,“ nahm der Juſtizrath ſchr ernſt das

Wort, „wenn Sie vom Herrn Stadtrath Carſtens ſprechen,

ſo bitte ich mir aus, daß Sie ihm das Prädikat „Herr“
beilegen und andere Bezeichnungen fortlaſſen. Ich nenne
Sie ebenfalls Frau Grieben, und überdies — ich ſtehe
Ihnen heute als Anwalt jenes Mannes gegenüber und
Rm deſpektirlichen Aeußerungen über denſelben.
n

„Ich wollte ſagen, Herr Juſtizrath, er — Herr Carſtens“,

verbeſſerte Sie ſich, „habe ihr doch zu ſehr die Kur gemacht, ö

ich meine der — der Antonie Wenzel in der Blumenſtraße;
die alte Frau ſagte immer, ſie wären heimlich verlobt, und
es iſt doch ſchändlich von ihm geweſen, ſo Knall und Fall
abzureiſen und eine andere zu heirathen; er hatte ja für
keine andere mehr Augen als für die Toni.“
„Und für Sie wohl gar nicht?“ fiel der alte Verr ihr
in die Rede.
„O, Herr Juſtzrath!“ ö
„Ueberhaupt, was ging Sie das an?“ fuhr dieſer
ſtrenge fort. „Wenn die Sache jetzt vor den Richter kommt,
möchte Ihnen die Beweisführung doch ſchwer werden.“
„Aber mir thut der junge Menſch leid, o ſo leid!“
vertheidigte ſich die Dame, „und da glaubte ich, wenn ich
ihn — den Herrn Stadtrath wollte ich ſagen, ein bischen
kneifen thäte —“
„Wenn er Sie nur nicht kneift, meine liebe Frau
Grieben; indeß davon ſpäter. Warum aber wollten Sie
ihn denn gerade an dieſem Tage „kneifen“, es war ja gar
keine Veranlaſſung dazu?“
„Er ſollte doch zum Herrn Carſtens gehen, Herr Juſtiz-
rath, mein Lieutenant nämlich,“ verſetzte die Dame, „und —“
Sie ſtockte.

„Und Sdie haben alſo ein wenig gehorcht, als ich bei

Ihrem Miether war,“ unterbrach ſie der alte Herr mit

einer gewiſſen Schadenfreude. „Nun, ich brauche Ihnen
das nicht zu wiederholen. Sehen Sie, ſo kommen alle
Ihre Schandthaten an das Tageslicht; es wird wirklich
Zeit, daß der junge Mann ſich eine andere Wohnung ſucht.“
„Um Himmels willen! Sie werden doch nicht, Herr
Juſtizrath!“ fuhr die Frau empor. „Der Herr Lieutenant
iſt meine ganze Freude, er iſt ſo nobel und traurig dabei,
und ich ſorge für ihn, wo und wie ich nur kann, als ob
er mein Sohn wäre. Er thut mir gar zu leid, und ich
ſinne immer zu, wie ich ihm helfen kann, und da wollen
Sie ihn mir nehmen? Nein, Herr Juſtizrath, ich will auch
mein Lebtag nicht wieder ſo ſchreiben oder mich um Herrn
Stadtrath Carſtens bekümmern, laſſen Sie nur den Herrn
Lieutenant bei mir wohnen!“
„Hm!“ machte der alte Herr ſcheinbar gleichgültig.
„Und ich tröſte ihn immer,“ fuhr die wortreiche Dame
fort, „denn er ſpricht gar zu gern von ſeinem Schatz, und
da habe ich erſt neulich zu ihm geſagt, Herr Baron — ich
nenne ihn immer Herr Baron — wenn Sie nur einen
Verwandten hätten, ſo einen recht reichen, und Haare auf
den Zähnen müßte er auch haben, und der ginge zu dem
alten — zum Herrn Stadtrath Carſtens wollte ich ſagen —
und wiſchte ihm mal ordentlich die Augen aus, das wäre
noch was.“
„Und da haben Sie ihm wohl auch erzählt, was der
Stadtrath für ein gefährlicher Don Juan iſt?“ Der alte
Herr konnte ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken.
„O nein, Herr Juſtizrath, die Geſchichte habe ich ihm
noch nicht erzählt,“ verſicherte die Frau, „und ich werde
es auch nicht thun. Aber ich habe ihm von ſeinem Onkel
erzählt; Sie wiſſen, Herr Juſtizrath, der damals drei
Wochen bei uns wohnte und ein ſo forſcher netter Herr
war und ſpäter nach Amerika ging. Wenn der hier wäre!“
„Frau Grieben,“ ſagte der Juſtizrath, „der Gedanke
iſt ſo übel nicht, wenn wir den Mann nur auffinden
könnten. Richtig, er wohnte ja bei Ihnen.“
„Ja wohl, drei Wochen lang,“ beſtätigte die Dame,
die ſich nun in ihrem Elemente befand. „Er hatte ſich
auch von meinem Manne einen feinen Koffer bauen laſſen,
und als es an die Abreiſe ging, kam er zu mir und d ſagte: ö
„Frau Grieben, Sie ſind eine intelligente Frau“, „in-
telligent“ ſagte er, Herr Juſtizrath, — „Sie werden mich
nicht zutrauen, daß ich Ihnen durchgehe, aber ich kann Sie
jetzt nicht bezahlen, ich brauche all mein Geld nothwendig
zur Reiſe. Geben Sie mir Credit, ich ſchicke Ihnen alles
bei Heller und Pfennig.“ Und als mein Mann nicht
darauf eingehen wollte, ſagte ich: „Dummes Zeug! Er
iſt ein feiner Herr, er ſchickt es, verlaß dich darauf, ich
erkenne einen Menſchen auf den erſten Blick!“ — Und ſo
reiſte er ab.
„Und, ſehen Sie, Herr Juſtizrath, er hat es geſchickt,
zwar erſt nach zwei Jahren, aber viel mehr als wir zu
fordern hatten, und er ſchrieb dabei: Das wäre für die
große Gefälligkeit und das Vertrauen, das wir ihm ge-

ſchenkt hätten, und ich ſollte ihm nur mal ſchreiben wie es

in Reicha ausſähe; und das habe ich gethan.“
 
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