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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 1 - Nr. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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geben als Ihnen?“ ſagte ſie.

ridelberger Fanilirublätter.

Belletriſliſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 3.

Samstag, den 9. Januar

1886.

Der Bauerndoktor.
Novelle von Helene Naumburg.
(Fortſetzung.)
„In der Erregung des Augenblicks ſprach ich aus, was

mein Herz beſtürmte: meinen Schmerz um ihr Leiden,

meine Wünſche in Bezug auf Elſa. War ich doch ſeit
Jahren gewohnt, mit der Gräfin alles zu beſprechen, was
mich beſchäftigte, und wenn ich nie ausdrücklich über meine
Liebe geredet, ſo war dies nicht geſchehen, um Elſas Mutter
etwas zu verheimlichen, ſondern vielmehr, weil ſie wiſſen

mußte, wie es in mir ausſah, welche äußere Bande mich

aber hinderten, mich zu erklären.
„Wem könnte ich mein Kind mit vollerem Vertrauen
„Aber Sie kennen am
beſten die Hinderniſſe, die ſich dem noch entgegenſtellen.
In ein paar Jahren ſind ſie vielleicht hinweggeräumt, und

darum hätte ich ſo gern bis dahin gelebt, denn ſo lange

ich lebe, wird mein Mann meine Wünſche in Bezug auf

Elſa reſpektiren, als Erſatz für manches Andere, das ich

entbehren muß. — Weiter geht meine Macht nicht. Sie
wiſſen, er hat ſie kaum geſehen ſeit ſie erwachſen iſt; denn

er iſt nun ſchon über ein Jahr in Petersburg, wo er mit
ſeinen Spekulationen mit Pferden endlich Glück zu haben
ſcheint.

O, wenn er ſie doch bei meiner Schweſter ließe!“
Der Gedanke, daß er ſie in die Geſellſchaft von Abenteurern
und Glücksrittern bringen könnte, mit denen er häufig ver-
kehrt, iſt mir bitterer als der Tod. Ach, Dietrich, helfen
Sie mir meine Faſſung bewahren. Gönnen wir beide dem
armen Kinde noch die unbefangene Heiterkeit, beunruhigen
auch Sie das junge Herz noch nicht durch Zukunftsbilder,
vielleicht gibt es noch einen Aufſchub für mich!“ ö
„Ach, es wurde ihr keine Friſt mehr gegönnt. Immer
ſchlechter und ſchlechter lauteten die Nachrichten aus dem
Stift, und wenige Tage nachdem du die Univerſitätsſtadt
verlaſſen hatteſt, lieber Freund, erhielt ich die Todes-
botſchaft.
„Am Sarge ihrer Mutter ſah ich Elſa wieder, völlig
betäubt von dem Schlage, der ſie getroffen; hatte der
jugendliche Sinn ſich doch immer an die Hoffnung geklam-
mert, die Mutter würde gerettet, würde ihr wenigſtens nicht
ſo bald entriſſen werden.
„Bei dem Begräbniß der theuren Frau ſah ich zum
erſtenmal den Grafen, eine jener Hünengeſtalten, an deren

unverwüſtlicher Kraft ſelbſt das wilde Leben, das er ſeit

ſo vielen Jahren führte, ſcheinbar ſpurlos abgeprallt war.
Seiner Schwägerin und der Tochter begegnete er mit

rritterlicher Zuvorkommenheit und willigte ſofort in die Bitte
der erſteren, Elſa noch im Stift zu laſſen. Auch mich be-

handelte er mit Auszeichnung, und an dem Tage, als ich
wieder abreiſen wollte, dankte er mir für die Freundſchaft,

die ich ſeiner verſtorbenen Frau bewieſen hätte, die er eine

Heilige nannte, viel zu gut für dieſe Welt. In einem für
ihn hinterlaſſenen Schreiben habe ſie meiner noch ausdrück-
lich erwähnt.

„Hatte ich vorher geſchwankt, ob ich gegen ihn meine
Hoffnungen auf Elſa ſchon jetzt ausſprechen ſolle oder nicht,
ſo entſchied ich mich jetzt dafür, und gerade das hatte er
gewollt, da er von vornherein entſchloſſen war, den roman-
tiſchen Unſinn abzuſtellen, wie er den Wunſch ſeiner Frau
nannte. Trotz ſeiner ungeſtümen Leidenſchaften beſaß er
eine ungewöhnliche Doſis zäher Schlauheit, an der meine
jugendliche Unerfahrenheit jämmerlich Schiffbruch litt.
„Er ließ mich ruhig ausreden und ſagte dann, dies
ſei nicht der Augenblick, Elſa vor eine Entſcheidung zu
ſtellen, dazu wäre ſie auch überhaupt noch zu jung, auch
wäre ich, wie ich ſelbſt einräume, vor der Hand noch gar
nicht in der Lage, an Heirathen zu denken, wenn ſchon
meine Ausſichten auf eine Profeſſur die beſten ſchienen.
Unter dieſen Umſtänden müſſe ich einſehen, daß es unrecht
wäre, eine junge Dame durch ein wenn auch nur vor-
läufiges Verſprechen binden zu wollen; ich müſſe ihm viel-
mehr auf Ehrenwort verſprechen, daß ich es nicht thäte,
bevor ich in der Lage wäre, Elſa eine wenn auch beſcheidene
Verſorgung zu bieten. Ich ſah ein, daß er damit nichts
Unbilliges forderte, lag doch anderſeits darin die Zuſage,
daß, wenn ich jene Bedingung erfüllte, er nichts gegen
mich einzuwenden habe; auch begriff ich, daß er eine
Korreſpondenz mit ſeiner Tochter bis dahin nicht geſtatten
mochte. Die Unmöglichkeit bei einem Briefwechſel mit Elſa
jede Andeutung auf meine Hoffnungen zu vermeiden, war
ſo einleuchtend, daß ich mich, wenngleich widerſtrebend, auch
in dieſe Bedingung fügte.
„So lange Elſa im Stift blieb, hatte ich ja doch noch
indirekte Mittel, durch meine Mutter und ihre Tante von

ihr zu hören, ſie bei meinen Ferienbeſuchen zu ſehen.

„Auch dieſer Troſt ſollte mir bald genommen werden,
denn meine Mutter ſtarb plötzlich, als kaum das Trauer-
jahr um die Gräfin abgelaufen war. Während ich nach
dem Stift reiſte, um ſie zu ihrer letzten Ruheſtätte auf
dem kleinen Kloſterkirchhof zu geleiten und ihr klaglos ge-
tragenes Dulderleben an meiner Erinnerung vorüberziehen
ließ, machte ich mir die bitterſten Vorwürfe, daß ich trotz
der Trauer um die Mutter das Gefühl der Freude über
das Wiederſehen mit Elſa nicht unterdrücken konnte.
„Einer wiſſenſchaftlichen Arbeit und der warmen Em-
pfehlung meines Lehrers verdankte ich es, daß ſchon jetzt
Unterhandlungen wegen einer Profeſſur mit mir angeknüpft
worden waren, und wenn der Graf wirklich keine höheren
Anſprüche für Elſa machte, ſtand meinem Glück bald kein
weſentliches Hinderniß mehr im Wege.
„Vor dem marmorbleichen Antlitz meiner Mutter ver-
ſchwanden alle ſelbſtſüchtigen Regungen; ich war ganz Sohn,
und erſt als das Grab zugeſchüttet wurde und ich den
Kloſterdamen für ihre Theilnahme dankte, ſah ich mich
vergebens in dem Kreiſe nach Elſa um.
„Sie war nicht mehr im Stift, erfuhr ich jetzt. We-
nige Stunden nach dem Tode meiner Mutter war ihr Vater
unangemeldet gekommen, hatte erklärt, daß er ſie zu ſich
zu nehmen wünſche, da das Trauerjahr um die Gräfin
vorüber und kein Grund mehr vorhanden ſei, daß ſie ſich
ganz von der Welt zurückziehe. Er beabſichtige eine Weile
 
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