Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI chapter:
Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0389

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
—..— ——.———

Belletriſtiche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 97.

Sanstal, den 4. December

1886.

Sub roſa.
Novellette von Zos von Reuß-
Fortſetzung.)

Das humoriſtiſche Motiv des erſten Bildes „Erſt repu-
tirlich“ war, der Tagesmode entſprechend, dem Mittelalter
entnommen. Ein fahrender Handwerker ſaß auf einer
alterthümlichen Steinbank, neben einem mit Mauerzacken

verzierten, zwingerartigen Feſtungsthurm, und flickte mit

Pfrieme und Pechdraht ſeine durch lange Wanderſchaft arg
zerfetzten Schuhe. Der Thorwart, ein alter, reichsſtädtiſcher
Stadtſoldat, ſchaute aus ſeinem gleichfalls zum Sitzen ein-
gerichteten Schilderhauſe behaglich zu, den Augenblick er-
wartend, woſelbſt er den wieder in „reputirlichen“ Zuſtand
geſetzten Ankömmling anſtandslos paſſiren laſſen könne.
Ein zweites größeres Bild hieß „Das luſtige Begräbniß“
und zeigte eine größere Kindergruppe, welche die Trauer-
ceremonie eines in der Ferne verſchwindenden Leichenzuges
im Spiel nachahmte. Voran ging als Leichenbitter ein

Knabe, der die dunkle Schürze ſeines Schweſterchens als

Trauermantel um den Hals gebunden hatte, dann folgten

in feierlicher Haltung zwei größere Knaben als Paſtor
und Küſter, ſpäter die kleine Leiche ſelbſt, in Geſtalt eines

blühenden, von vier Knaben getragenen Mädchens, das mit

blinzenden Augen und lachendem Munde in einem Kaſten

lag, und endlich die Leidtragenden, die ihre luſtigen Kinder-
geſichter hinter großen Taſchentüchern verbargen: das Ganze
ebenſo originell wie tiefergreifend!

Skizzen, die theilweiſe ſogar noch in den erſten Anfangs-
ſtadien ſtanden.
Fräulein von Bertrab ließ ſich alles zeigen und war
dabei bald mit Eberhard in ein anregendes Geſpräch ge-
kommen. Die junge, feingebildete Dame hatte viel geſehen,
und verſtand über alles intereſſant zu reden. Selbſt Dora

hörte ihr gern zu, wenn auch nicht ohne das Gefühl, daß

vieles von dem, was ſie ſagte, eben nur anempfunden ſei.
Echter Goldklang trifft das Ohr anders! mußte Dora un-
willkürlich denken .... Dafür mußte dem Gaſte die
höchſte gewinnende, geſellſchaftliche Liebenswürdigkeit zuer-
kannt werden, ſelbſt die junge Frau durfte ſich nicht über
Mangel an entgegenkommender Freundlichkeit beklagen.
Mit augenſcheinlicher Abſichtlichkeit ergriff Fräulein Tony
jetzt Doras Arm, um mit ihr im Garten zu luſtwandeln.
Der Abend war herrlich. Auf der Raſenfläche lagen
lange, goldgrüne Lichtſtreifen, die die ſinkende Sonne durch

das Baumgeäſt als Abſchiedsgruß in das Blumenparadies
hineinſäandte, dazu füllte würziger Wohlgeruch die Luft

und zeigte eun Damen den Weg zu den Roſenbeeten, die
in ſchönſter Blüthe ſtanden. Da gab es alle Arten von
Roſen, von der modernen, hochſtämmigen Edelroſe bis zur

gewöhnlichen Zentifolie und der anmuthigen Heckenroſe.

Die Wahl war nicht leicht,

denn jede lockte mit ihrem
eigenſten Reiz.

Ausbildung leite ich auch fernerhin.

Alles übrige an den
Wänden Aufgehangene ſtellte ſich dar als Entwürfe, Studien,

etwas ſpitz.

Dennoch brach Fräulein Tony nach kurzem
Beſinnen eine vornehme graziöſe Theeroſe, während ihre

Geſellſchafterin ſich mit inſtinktivem Vertänduiß eine gelbe

Edelroſe in das prächtige dunkle Haar ſteckte. Dora wählte
eine einfache Zentifolie und heftete ſie an ihre Bruſt.
In dieſem Augenblicke trat Eberhard durch die Glas-
thüre des Ateliers in den Garten. Die anmuthige Damen-
gruppe erblickend, ſtand er einen Augenblick ſtill, wie be-
troffen!. Faſt als ob er der Gegenwart entrückt ſei,
wanderte fein Auge leuchtend über das Kleeblatt, dann
ruhte es ebenſo kritiſch als feſt auf Dora, ſo daß ſie unter
ſeinem Blick bräutlich erglühte. Endlich die Roſe bemer-
kend, mit der ſie ſich geſchmückt hatte, nickte er ihr herzlich
und beifällig zu. Einen Augenblick ſpäter trat er dann,
geſammelt und wieder zur Gegenwart zurückgekehrt, auf
Fräulein von Bertrab zu, um ſie zu der Veranda zu
führen, wo der Abendtiſch gedeckt ſtand.

„Ich werde meine Lehrthätigkeit wahrſcheinlich doch ein-
ſtellen müſſen, um ordentlich arbeiten zu können,“ ſagte
Eberhard nach Verlauf von einer Woche zu Dora.
„Haſt Du einen neuen künſtleriſchen Gedanken — einen
guten? ö
„Ja, vielleicht wenigſtens!“ ö
„Ich fürchte, Fräulein Tony wird Dich nur ungern
miſſen!“
„Von Fräulein von Bertrab iſt auch keine Rede, ihre
Der Verkehr mit ihr
wirkt einmal eher befruchtend als ſtörend auf mich ein.
Sie hat viel geſehen und weiß über alles gut zu reden.“
„Ja zu reden!“ dachte Dora unwillkürlich laut.
„Sie ſpricht Dich nun einmal nicht an und da ſeid
ihr Frauen jedesmal ungerecht. Des Weibes Urtheil iſt
ſeine Liebe — auch in weiterm Sinne,“ meinte Eberhard
etwas verdrießlich.
„Findeſt Du uicht, daß viel, zuviel Kunſt in ihr iſt?“
„Möglich! Aber das iſt nicht einmal immer ein Fehler,
und geht meiſt ganz natürlich zu. Sobald die wachſende
Einſicht das Unzureichende der eigenen Natur erkennt, wird
ſie immer beſtrebt ſein, dieſe abzuſtreifen und das als beſſer
Erkannte anzunehmen. Und gerade Tony iſt ebenſo kritiſch
als empfänglich. Du glaubſt nicht, wie ſie ihren italieni-
ſchen Aufenthalt nach allen Seiten ausgenutzt hat. Ich
laſſe mir viel erzählen, am liebſten ginge ich dieſen Winter
ſelbſt dorthin!“
„Deine Reiſeluſt iſt Datums,“ ſagte Dora
„Zur Zeit unſerer Verheirathung dachteſt Du
anders und lehnteſt ſogar die Hochzeitsreiſe ab. Nun iſt
die Sehnſucht doch gekommen!“ ö —
„Biſt Du darüber verwundert? Sonderbar? Was
das Alterthum uns an Kunſtſchätzen hinterließ, gehört ein-

mal der ganzen gebildeten Welt und bleibt der Leitſtern

des Künſtlers zum Ideal!
ſetzte er bitter hinzu.
„O, könnte ich Deinen Wunſch erfüllen! ſagte Dora
innig.
„Beunruhige Dich nicht darum, Kleine!“ tröſtete er
wieder. „Sieh, wenn ich erſt ordentlich an meiner neuen

Aber — fromme Wünſche,“
 
Annotationen