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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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tauchen zu dürfen!

kidelberger Aanilirnblütter.

Bäauetriliſhe Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 24.

Wittwoch, den 24. März

1886.

Eirih.
Novelle von Hertha von Polenz.
(Fortſetzung.)

Eines Nachmittags, gegen Octoberſchluß, verſank Eirik
endlich in feſten Schlaf. ö
Lisbeth ſaß bei ihm und lauſchte den Athemzügen, die
immer leichter und regelmäßiger wurden. Durch's offene
Fenſter trieb welkes Laub zu ihren Füßen, und in den
Linden zwitſcherten die Spatzen.
Plötzlich ſchlug Eirik die Augen auf und ſchaute ver-
wundert um ſich. Sein erſter Blick traf die Geſtalt am
Fenſter. ö
„Wo ſind wir, Mutter?“ rief er mit matter Stimme.
Zum Tode erſchreckt fuhr Lisbeth auf.
„Du — Lisbeth?“ — — ſagte er langſam und legte
die Hand an die Stirn. Nach einer kleinen Weile lächelte

er ſchwach.
„Ach, ich verſtehe es nicht — ich bin zu müde zum
Denken — ſehr — — ſehr müde“ — und langſam ſenkten

ſich die ſchweren Lider über die Augen.
An dieſem Tage gewahrte Marthas Mutterauge, was
ſie ſeit jener Brandnacht nur geahnt: daß Lisbeth, ihre
blonde ſtille Lisbeth, den großen Eirik liebte. ö
Und Eirik? ö
Es iſt gar ſüß geliebt zu werden, das müde Haupt in
weichen Kiſſen zurückgelehnt, mit dem halbumflorten Auge

ſchweigend auf ſchönen Zügen weilen, dann wieder ſchlum-
mern und im Traum die holde Nähe, den ſanften Strahl

der blauen Augen fühlen, und wieder erwachen, um den
erſten Blick in's zarte Roth der lieblichſten Verwirrung
Es iſt ſüß, geliebt zu werden, auch
wo man ſelbſt nicht liebt.

Ein ſchwediſcher Dichter ſagt an einer Stelle: Der

ſtärkſte Mann hat Augenblicke, wo er ſo ſchwach, ſo matt
und hilflos iſt, daß er ſich nur noch lieben laſſen kann.
Eirik ließ ſich lieben mit jener wunderbaren erſten
thaufriſchen Liebe, die bloß gibt und niemals empfängt,
deren vielleicht nur deutſche Frauenherzen fähig ſind; Frauen
und Töchter eines Landes, deſſen Urſprache: Liebe, Leib,
Leben in einem Wort „lip“ unzertrennlich zuſammen-
fließen läßt. — ö
* *
*
Gelbe Blätter deckten Kieswege und Raſenplatz, als
Etrik, auf Marthas Arm geſtützt, zum erſten Mal in's
Freie trat.

Hager und blaß, bleicher noch als er gekommen, ſaß

er unter den Linden, aber voll Friedens in Blick und Ge-
müth. Mit dem Verband auf Bruſt und Armen ſchien
ſich ein anderer um die heimliche Wunde im tiefſten Herzen
geſchmiegt zu haben. ö

„Lisbeth,“ ſagte er und drückte ſeinen Mund auf ihre

Hand, „wie ſoll ich dir, wie kann ich euch allen jemals
vvergelten, was ihr an mir gethan?“ ö

Lisbeth ſchwieg. Dunkle Roſenfarbe ſtieg in ihre lichten
Wangen. Die Mutter aber lächelte und ſagte: „Werde
nur hübſch geſund und behalte uns lieb.“ —
Nun ſaßen ſie Tag für Tag im kleinen Kreis unter
den Linden, laſen, ſpielten und ſangen. Eirik war noch
immer ſchwach, aber mittheilſam und heiter. ö
Auch hier zogen Sommerfäden, brachten ihm alte Nord-
landslieder und Sagen in den Sinn. —
Einmal erzählte er den Baſen das Märchen vom Ata-
berge. Als ſie ihn aber fragten, warum denn die Elfin
ſo raſtlos ſpinnen müßten, und hinzuſetzten, wie er in

ſeinen Fieberreden ſie und die ferne Mutter gar ſeltſam

vermiſcht, wurde er ſtill und ſehr nachdenklich.
„Hanna, meine bleiche fromme Mutter,“ ſagte er end-
lich langſam vor ſich hin, „und die Elfin am Ataberge?
— — Nein, nein! Die Elfin hat ihrem Sohn, dem gold-

gelockten Rieſenknaben Olaf namenloſes Leid gethan —

Hanna aber that mir nur Gutes und Liebes!“ —
Auch ein Liedchen lehrte er ihnen, das ſeine Amme ſang,
wenn ſie zuſammen über die Heide gingen:
Die weiße Taube hat ſich verflogen,
Die weiße Taube hat ſich verirrt!
Es war die meine, die vielgeliebte,
Die vielgeliebte weiße Taube.
Der graue Falke, der kühne Falke,
Der hat ſie in ſeinen Horſt gelockt.
Der hat mir die weiße Taube geraubt,
Die vielgeliebte weiße Taube.
O grauer Falke, o weiße Taube,
Wie habt ihr mir das Herz zerriſſen!
O ſchöner, kühner, grauer Falke!
Du arme, liebe, weiße Taube!
Und noch eines, das ſie zur Winterszeit bei Sturm und
Kälte anzuſtimmen pflegte:
Der Vogel fliegt nach dem Süden,
Nach den heißen ſüdlichen Landen.
Und ich, ich bleibe im Norden,
In den eiſigen nordiſchen Landen.
Ich ſitze am Herde und weine
Und wärme die frierenden Hände.
Es röthet die blaſſe Wange
Die wild aufpraſſelnde Flamme.
Der Vogel fliegt nach dem Süden,
Und ich, ich bleibe im Norden. —
Ich ſitze am Herde und weine
Und bin verlaſſen und einſam! —
Endlich das Lied von den Roſen und Nelken. —
So gingen wieder drei Wochen ins Land.
Eirik kränkelte noch immer, wollte es aber nicht Wort
haben. Er ſtand dem Ohm jetzt fleißig zur Seite beim
Neubau des Hofes und in der Ernte. Er legte ſelber mit
Hand an und bewies biel praktiſchen Sinn. Wenn er aber
heimkam, fühlte er Stiche in Kopf und Bruſt und litt an

einem böſen trocknen Huſten.

Frau Marthas milder Thee blieb diesmal wirkungslos
und Lisbeth, die in letzter Zeit ſehr leiſe ſchlief, hörte, wie
mancher Krampfanfall die halbe Nacht lang währte.
Einmal kam Eirik vor der Zeit vom Felde zurück.
Lisbeth ſaß in der verwilderten Roſenlaube und ſtickte.
Eirik trat zu ihr.
 
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