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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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rihelberger Kanilicublütter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 25.

Samstag, den 27. März

1886.

Eirik.
Novelle von Hertha von Polenz.
(Fortſetzung.)

Zwei Stunden waren verſtrichen.
Der Ohm ſtand im Hofe und fragte nach Eirik, Frau
Martha aber rief nach Lisbeth. Niemand wollte von bei-
den wiſſen. ö
Plötzlich trat Eirik in die Thür.
Martha prallte erſchrocken zurück. So hatte er aus-
geſehen in der entſetzlichen Brandnacht.
„Muhme,“ ſagte er tonlos und blickte ihr ſtarr in's
Geſicht. „Ich muß fort — habt tauſend Dank, lebt wohl!“
Martha faßte mit der Hand nach der Stirn. Des
Doktors Argwohn erwachte plötzlich auch bei ihr. Er iſt
von Sinnen, meinte ſie, ergriff ſeine Hand und wollte ihn
freundlich beruhigen. Aber die Hand war eiſigkalt und
feucht und ſchwer, wie ein vom Körper losgetrenntes Glied.
„Du biſt ſehr krank!“ rief ſie entſetzt.
„Krank?“ wiederholte er und brach in lautes grelles
Lachen aus — „ja, krank!“ — — Er zeigte auf Herz
und Hirn.
heilen.“
Mittlerweile war auch der Ohm herzugetreten.
„Laßt mich los!“ rief Eirik und befreite ſich mit einem
einzigen Ruck aus ihren Händen. Dann ſchwieg er einige
Minuten und ſchöpfte tief Athem. Seine große Geſtalt
ſank zuſammen, er ſtand da wie ein alter gebrochener Mann.

„Einſt habe ich Stiere gebändigt,“ ſagte er leiſe, „nun

aber hat mich der Schmerz übermannt — Laßt mich gehen,
laßt mich fort!“ bat er in Todesangſt.
Frau Martha und der Ohm ſahen ſich rathlos an.
Eirik ſtand ſchon auf der Schwelle — da flog eine weiße
Geſtalt die Stiege herab, zwiſchen Vater und Mutter hin-
durch an Eiriks Bruſt.
Der ſtarrte ſie lange zerſtreut und verwundert an wie
etwas Fremdes, Ungekanntes. ö ö
WWeinſt du auch, kleines Mädchen?“ ſagte er endlich.
Er ſtrich ihr die blonden Haare aus dem thränenfeuchten
Geſicht und küßte ſie langſam auf die ſchneeweiße Stirn.
„Weine nicht,“ ſagte er weich, „es iſt nur Einer, der
zu weinen braucht, und der hat keine Thränen mehr.“
„O Eirik“ — ſtammelte ſie, „ich — liebe dich doch!“
„Eirik?“ fragte er und ſchüttelte das Haupt. „Ge-
ſtorben iſt er und längſt begraben.“ — Behutſam löſte er
ihre Arme von ſeiner keuchenden Bruſt.
„Du darfſt mich nicht länger halten,“ flüſterte er.
„Ich muß gehen und den Räuber ſuchen und das Herz
aus ſeinem Leibe reißen! — — wehe! — Hanna liebt
ihn, ach, ſie liebt ihn — ich darf ihm kein Leides thun!
— — Aber laß mich gehen! Sie ſoll mir Roſen geben,
Eiriks Grab zu ſchmücken. ö ͤ
„Und du ſollſt auch gehen, Mädchen. Weine nicht! —
aber ſinge drüben an der Roſenhecke, dort iſt Eiriks Grab.
Da ſaß er vor vielen tauſend Jahren bei' einem blonden

„Hier ſitzt der Riß — das kann nie wieder

ſchönen Kinde, die glich dir, wie ſich Roſen gleichen, und
mit den Roſen iſt ſie auch verwelkt.
„Nun iſt ſein Grab ſo einſam. Niemand will dort
ſingen — ich glaube, die Nachtigallen ſind auch geſtorben
— — warum lebe ich noch? —
Schmerzen hab' ich, ach Todespein! —
Liebchen, die will ich dir geben!“! — —
Dann wandte er ſich ab und ſchritt langſam zum Thore
hinaus.
Lisbeth ſank bei ihrer Mutter Füßen nieder, die trug
ihr leichenblaſſes Kind ſchweigend hinauf in die Kammer.
Droben aus offenem Giebelfenſter wehte der Wind ein
weißes Blatt über den Hof — Hannas Brief.
Sie ſchrieb:
„Mein lieber Eirik! ö
Aus Deinem langen Schweigen darf ich ſchließen, daß
es Dir in Deutſchland noch immer wohl ergeht und gefällt.
Ich ſelber habe dir auch nicht ſchreiben wollen, Du ſollteſt
erſt dann von mir erfahren, wenn alles beſtimmt und ge-
ordnet wäre. Das iſt ſeit geſtern der Fall und ich bin
Kapitän William Roberts! angetrautes Weib. Er iſt ein
ſtiller freundlicher Mann in vorgerückten Jahren. Morgen
reiſen wir nach Hull in meine neue Heimath. —
Nun wollte ich Dich noch um eines bitten, mein lieber
Eirik. Nicht länger als Mutter, aber als Freundin wende

ich mich an Dich: Kehre jetzt nicht nach Norge zurück.

Die Güter ſind gut beſtellt und verwaltet. Bard verwahrt
das Haus. Deine Anweſenheit iſt alſo nicht von Nöthen.
Bleibe den Winter über im warmen traulichen Deutſchland,
laß Dich pflegen, arbeite und lerne. Ohne Mutter und
Genoſſin möchte Dir der Norden recht einſam erſcheinen.
Im Frühling aber, ſo Gott will, kehre heim und bringe
Dir ein ſanftes blondes Weib mit — Grüße Lisbeth und
Doris und beſprich alles mit Martha.
Deine Hanna.“
Nachſchrift: „Kapitän Roberts trägt mir herzliche Grüße
an Dich, Martha und den Schwager auf.“
Was Mutter und Kind oben im einſamen Kämmerlein
geweint und geflüſtert haben, weiß ich nicht. Eines aber
iſt gewiß, wenn's auch keine Kirche war — die Seufzer,
die dort laut wurden, wanderten nicht nach dem Ataberge,
ſondern ſtiegen empor durch die blaue Luft in Großvaters
Schooß. — — ö ö
* &
*
Der Winter brach herein, ein harter ſtrenger Winter,
wie man ſich deſſen im Nordland ſeit Menſchengedenken
nicht erinnern konnte.
Ganze Bygden erfroren mit Mann und Maus. Hoch-
gelegene ſind ſogar Hungers geſtorben, denn Niemand wagte
ſich bei dem ewig andauernden Schneeſturm nur einen
Schritt vor's Haus.
Da haben Manche zur Nacht den Nörringsreiter ge-
ſehen, wie er ſonder Kopf und Beinen vorüberjagte, und
der blauweiße Pferdeſchweif den rieſelnden Schnee häuſer-
hoch emporpeitſchte. Viele ſind um Leben, um Haus und
Hof gekommen. ö
 
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