Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI chapter:
Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0165

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
er ganilienbläkter.

ö Belletriſliſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 41.

Samstag, den 22. Mai

1886.

Zun Jindwurn.

Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.)

Heute trat er ſeinem Adjutanten mit keineswegs gnä-
diger Miene entgegen und, die Uhr in der Hand, ſagte er:
„Eine halbe Stunde zu ſpät, Herr Lieutenant!“
Es wäre nun wohl nicht mehr wie billig geweſen, dem
Vorgeſetzten gegenüber eine entſchuldigende Redensart vom
Stapel laufen zu laſſen, wie „Zeit verſchlafen“, oder „in
eine Lektüre vertieft geweſen“, oder dergleichen. Indeß
dem jungen Manne wurde dies erſpart, denn ehe er ſich
noch auf einen Vorwand beſinnen konnte, fuhr der Major
fort: „Ich muß überhaupt bemerken, daß ich in letzter Zeit
ſehr häufig Gelegenheit fand, Ihre Zerſtreutheit zu bewun-
dern. Das kommt aber davon, wenn man mit ſeinen Ge-
danken nicht bei der Sache bleibt, ſondern den Kopf voll
ſentimentaler Liebesideen hat, die erſchlaffend wirken und
die Schneidigkeit untergraben, die ich von meinen Offizieren
verlange. Wie es ſcheint, fehlt Ihnen die moraliſche Kraft,
das Verhältniß — hm — aufzugeben, und ich halte es
daher für das Beſte, Sie nach der Reſidenz zurückverſetzen
zu laſſen. Die Anweſenheit des Herrn Brigadecommandeurs
wird dazu die paſſende Gelegenheit bieten.“
Das war nun ein häßlicher Dämpfer für die noch eben
ſo freudige Stimmung, und der junge Mann konnte nicht
einmal leugnen, daß wirklich die Verſäumniß heute Morgen
in der gerügten Weiſe zu Stande gekommen ſei. Er be-
ſchränkte ſich alſo darauf, nach einer kurzen Verbeugung
ganz gehorſamſt zu bemerken, daß, wenn ſeine Dienſtleiſtung
als Adjutant dem Herrn Major nicht genüge — er ſelbſt
ſei keiner Vernachläſſigung ſich bewußt —, er um ſeine
Ablöſung bitte, zugleich aber auch darum, bei dem Bataillon
belaſſen zu werden, und zwar aus ökonomiſchen Gründen,
die dem Herrn Major nicht unbekannt ſein dürften.
„Sie waren doch früher ſtets ein denkender und brauch-
barer Offizier,“ begann der Commandeur auf's Neue, aber
etwas milderen Tones, „wie können Sie — und ich ge-
ſtehe, es thut mir wahrhaft leid — wie können Sie einem
Mädchen nachhängen, deren Hand Sie bei den Anſichten
des Vaters über unſern Stand im Allgemeinen und über
Sie im Beſondern nimmermehr erhalten werden? Der
alte Mann iſt ja geradezu unartig gegen das Offiziercorps;
ich möchte eigentlich den Beſuch des Lindwurms dienſtlich
verbieten..
„O, Herr Major,“ wagte Fliſſen einzuwenden, „er
ſchließt ja ohnehin in wenig Tagen die Weinſtube; ich
glaube zum erſten November.“ ö
„Nun ja, wenn auch,“ war die Erwiderung, „er ver-
dient immerhin eine Strafe für ſein ſchroffes Benehmen.“
„Er hat ſehr traurige Erfahrungen im Leben gemacht,“
begütigte der junge Mann, „und iſt dadurch der unzugäng-
liche Sonderling geworden. Was aber ſein wenig höfliches
Weſen gegen das Offiziercorps anlangt, ſo bin ich leider
ſchuld daran oder vielmehr der Name Fliſſen; Herr Major
werden wohl davon vernommen haben.

Ich bitte daher

nochmals um Schonung des alten Mannes; — ich hoffe,
daß er mit der Zeit ſeine Anſichten ändern wird.“
„Möchten Sie Ihre Anſichten ändern, Herr Lieutenant,
das wäre beſſer für Sie. Ich kenne allerdings den ganzen
Zuſammenhang durch den Bürgermeiſter Kleinmichel,“ fügte
der Major hinzu, „halte die Sache, wie geſagt, für hoff-
nungslos, und wünſche Sie von dem Alp zu befreien. Die
Verſetzung wäre ſomit eine Wohlthat für Sie.“
Der Offizier verneigte ſich ſtumm. Sollte er ſeine Bitte
wiederholen? Soweit er den Vorgeſetzten kannte, wäre
dies der direkte Weg geweſen, das Befürchtete zur That-
ſache zu erheben. „Er mag ſich die Sache erſt nochmal
überlegen,“ dachte Fliſſen, „kommt Zeit, kommt Rath.“
Es wurde nun das Geſchäftliche beſprochen, die laufende
Korreſpondenz erledigt und die Quartierangelegenheit für
den Herrn General und ſeine Begleitung geregelt. „Gehen
Sie nachher in den goldenen Hirſch,“ ſagte der Major,
„und laſſen Sie ſich die Stuben zeigen und belegen ſie
für den fünfzehnten October. Morgen früh neun Uhr will
ich die Garniſonanſtalten beſichtigen, zunächſt die Kammern;
und Nachmittags drei Uhr erwarte ich die Herren Capitäns,
den Bataillonsarzt und den Zahlmeiſter hier in meiner
Wohnung, — bequemer Anzug. Wann wird der Speiſe-
ſaal für das Offtziercorps fertig ſein?“ ö
„Gegen Ende October, Herr Major,“ erwiderte der
Herr Adjutant. „Vielleicht könnte der Wirth vom goldenen
Hirſch die Sache etwas beſchleunigen, damit der Herr General
den Saal einweiht; an der gemeinſchaftlichen Tafel iſt es
doch bei ſolchen Gelegenheiten nicht recht gemüthlich.“
„Ja, ja,“ erwiderte der Commandeur, „das wäre ſehr
angenehm. Apropos! Da fällt mir ein, der Wein im
Hirſch iſt ganz miſerabel, und ich habe dem Herrn Zänker
bereits eröffnet, daß wir unſern eigenen Weinkeller zu be-
ſitzen wünſchen, wie in der Reſidenz der Fall war. Der
Wirth ſchien nicht beſonders davon erbaut zu ſein, als ich

ihm aber ein mäßiges Korkgeld in Ausſicht ſtellte, gab er

ſich zufrieden, und wird uns ein paar gute Keller über-
laſſen; nun höre ich aber, daß der Lindwurm demnächſt
ſeine Weinſtube ſchließen und das Lager verkaufen wird,

und von dort könnten wir vielleicht die erſten Vorräthe be-

ziehen, — das heißt, wenn die Preiſe angemeſſen ſind.
Der Moſel, namentlich der kleine Moſel, iſt ganz vorzüglich.
Was ſagen Sie dazu 2“
„Je nun,“ meinte der Adjutant, dem bei dieſem Vor-
ſchlag allerlei unheimliche Ahnungen durch den Kopf ſchwirr-
ten, „es käme ja auf eine Frage an.“
„Ja wohl,“ entgegnete der Vorgeſetzte; „haben Sie
alſo die Güte, Herrn Carſtens vorläufig nach dem Preiſe
und den ſonſtigen Bedingungen zu fragen, ſowie nach der
Quantität, die er uns von einzelnen beliebten Sorten über-
laſſen kann. Und ſollte die Sache eine Ausſicht gewähren,
ſo würde ich den Hauptmann Mattern beauftragen, gemein-
ſchaftlich mit Ihnen und dem Zahlmeiſter das Arrangement
zu übernehmen.“ ö
Der junge Offizier wurde blaß und roth. Wie durfte
er es wagen, jenem Manne gegenüberzutreten, ohne den
Verdacht abſichtlicher Annäherung auf ſich zu ziehen und
 
Annotationen