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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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Hridelberger Kanilirn

lätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 38.

Mittwoch, den 12. Mai

1886.

Zum Lindwurm.

Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.)

„Hören Sie mich nur zu Ende, Herr Juſtizrath,“ ver-
ſetzte Frau Grieben ſchnippiſch im Bewußtſein ihrer Ueber-
legenheit. „Alſo die Chriſtel kommt zerlumpt und mit
einem ebenſo zerlumpten Kinde geſtern Abend hier an; ſie
iſt dort jenſeits der Grenze ausgewieſen worden, angeblich
weil ihr Mann geſtorben iſt, — und da hat Herr Stadt-
rath Carſtens ſie gleich wieder beim Wickel und ſchenkt ihr
vier Louisd'or, und nun wird ſie wohl gar zu ihm ziehen
müſſen. Ja, die Chriſtel iſt trotz ihrer ſechsunddreißig
Jahre noch immer ein ſehr hübſches Weib. Was ſagen
Sie nun 2“ ö
„Ich mache Ihnen mein Kompliment, Frau Grieben,
will Ihnen aber einen Rath geben und noch dazu gratis:
Halten Sie Ihr gottloſes Maul! Erfährt mein Freund,
Herr Stadtrath Carſtens, dieſe Ihre Verſion einer ein-
fachen und jedenfalls ganz unſchuldigen Sache, ſo kommen
Sie hinter Schloß und Riegel, und ich werde mir ein be-
ſonderes Vergnügen daraus machen, dazu das Meinige bei-
zutragen. — Aber wo iſt die Frau Schmidt?“ ö
„Sie werden doch nicht indiskret ſein, Herr Juſtizrath?“
verſetzte die Dame eingeſchüchtert. „Wir ſind ſo alte gute
Freunde? Uebrigens, was den Herrn Carſtens anlangt,
ſo bin ich gar nicht ängſtlich, von dem könnte ich Ihnen
eine Geſchichte erzählen, die ihm gleich den Mund ſtopft.
99 ſtille Waſſer ſind tief, — aber ich will nichts geſagt
aben.“
„Findet ſich ſpäter alles,“ erwiderte der Juſtizrath.
„Wo iſt die Schmidten?“ ö
„Na ja! — In meinem Hinterhauſe wohnt doch der
taube Weber Brinkmann, — er bezahlt ſchon lange keine
Miethe nicht, aber Sie wiſſen, Herr Juſtizrath, ich bin
immer zu gutmüthig, und ſo laſſe ich ihn denn wohnen.
Da kam denn nun die Chriſtel geſtern Abend an, und
heute hat ſie ſchon Kleider und Schuhe und wer weiß was
noch ſonſt gekauft und ſitzt dort und näht, was das Zeug
halten will. Ja, geſchickt war ſie immer, ſehr geſchickt.“
„Om!“ machte der alte Herr. „Sind Ihre beiden
Offiziere zu Hauſe?“ fragte er dann und als dies ver-
neint wurde, fügte er hinzu: „Sagen Sie ihnen, ich wäre
hier geweſen, um Sie zu bitten, heute Abend ein Glas
Wein bei mir zu trinken und Kramtsvögel zu eſſen.
Werden Sie das ausrichten können?“
„Aber Herr Juſtizrath,“ erwiderte Dame Grieben ſehr
pikirt, „halten Sie mich für eine ungebildete Perſon, die
nicht mit vornehmen Leuten umzugehen weiß, oder vergißt,
was ſie ihren Miethern ſchuldig iſt?“ ö
„Vergeſſen ? Nein!“ lachte der alte Herr. „Ihr Ge-
dächtniß iſt gut, oft zu gut, das habe ich eben wieder be-
merkt, denn es behält Dinge, an die kein vernünftiger
Menſch je gedacht hat. Und was Bildung anlangt, ſo
ſchließt dieſe ja im Allgemeinen den Klatſch nicht aus.
Alſo, ich darf mich darauf verlaſſen, daß Sie es richtig

beſtellen, ſchöne Frau? —

Wie gefallen Ihnen Ihre
Herren?“ ö
„Ach, Herr Juſtizrath, das ſind prächtige junge Leute,
ſo fein und ſo hübſch, und ſie ſprechen auch mit mir ſo
ungenirt, als ob wir längſt bekannt mit einander wären;
zumal der Herr Lieutenant von Olberg läßt ſich immer viel
von mir erzählen.“
„Dann thut er mir leid,“ ſchaltete der alte Herr lächelnd
ein, „Gott ſteh ihm bei! Und der andere?“?
„O, der andere Herr Lieutenant iſt ſehr ſtill, aber im-
mer freundlich; er geht auch Abends faſt nie aus, ich
glaube, er iſt etwas melancholiſch.“
„Alſo, Grieben,“ ſagte der Juſtizrath, „auf heute Abend,
vergeſſen Sie's nicht. Und nun Adieu!“
„Adieu, Herr Juſtizrath, nichts für ungut. — Ah,
Sie wollen in's Hinterhaus? Kommen Sie nur gleich
über meinen Flur, das iſt für Ihnen der nächſte Weg;
die aus dem Hinterhauſe müſſen über den Hof gehen. So,
Adien Herr Juſtizrath.“
„Kennen Sie mich noch, Chriſtel?“ fragte der alte
Herr freundlich, als er in die dürftige Stube trat, wo die
Geſuchte an einem Tiſche ſaß und nähte; vor ihr lagen
eine Menge einfacher dunkler Kleiderſtoffe und das Kind
ſaß mit einem Strickzeug beſchäftigt zu ihren Füßen auf
einer kleinen Bank.
„O, wie könnte ich Sie vergeſſen, Herr Juſtizrath,“
ſagte die Frau ſich erhebend und die Näherei bei Seite
legend. „Sie haben doch ſo viel für meine alten Eltern
gethan und meinem Manne auch damals die Stelle in B.
verſchafft.“
„Schon recht, Chriſtel.
gegangen, wie ich höre?
loren?“ ö
Die Frau ſchlug ihre Schürze vor das Geſicht, um die
hervorſtürzenden Thränen zu verbergen; aber nur einen
Augenblick. Sie nahm ſich gewaltſam zuſammen und ſetzte
dem Beſuchenden einen Stuhl hin, den ſie vorher ſäuber-
lich abwiſchte. „Ja, Herr Juſtizrath, meinen Mann und
zwei Kinder an der Ruhr, und da ich keine Subſiſtenz-
mittel nachweiſen konnte, mußte ich hierher zurückkehren.“
„Und was wollen Sie denn nun anfangen, Chriſtel?“
„Ich weiß es noch nicht, Herr Juſtizrath,“ berichtete
die Frau, „ich ſoll in einigen Tagen zu Herrn Stadtrath
Carſtens kommen, er will etwas für mich ausfindig machen
und hat mir auch Geld geſchenkt und iſt ſo gut geweſen,
wie noch nie.“
„Das iſt brav von ihm,“ bemerkte der alte Herr, „wo
hat er Sie denn geſehen?“ ö
„Ja, Herr, als ich geſtern Abend ſo matt und ver⸗—
zweifelnd hier ankam und dort am Gertraudenhof vorbei-
ging, wo ich ſoviel gute Stunden erlebt habe, und wo die
Frau geſtorben iſt, da brachen mir faſt die Kniee und ich
mußte mich hinſetzen; es war mir alles wie ein ſchrecklicher
Traum. Und da kam Herr Stadtrath Carſtens dazu.“
„Nun?“ forſchte der Juſtizrath, „hat er mit Ihnen
über die Begebenheit geſprochen, oder — hm — 2“
„Ach, Herr, er ſagte, mein Unglück wäre die Strafe

Und es iſt Ihnen nicht gut
Sie haben Ihren Mann ver-
 
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