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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 88 - Nr. 95 (3. November - 27. November)
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ridelber

er Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 88.

Miittwoch, den 3. November

1886.

Die Grafen von Hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
Cortſetzung.)

„Sie ſind bitter beſtraft, Pauline, für den Treubruch,
den Sie an mir begangen.“
„Ich that es nicht, Harding; um mich zu rechtfertigen,
müßte ich die eigene Mutter anklagen, erlaſſen Sie es mir,
da es nun doch zu ſpät iſt, aber bewahren Sie mir die
Freundſchaft, ich bitte darum.“
Zögernd legte Harding ſeine Hand in die ausgeſtreckte
Hand Frau von Mervings. „Noch eins, wo blieb das —“
„Todt, ſo ſagt man mir,“ fiel ſie ihm ins Wort.
„Sie glauben es nicht?“
„Nein, aber alle meine Nachforſchungen blieben er-
folglos.“

„Nun, ſo werde ich —,“ er brach ab, da Ranke in

das Zimmer trat. ö
„Gnädige Frau,“ rief er aus, „Sie müſſen verzeihen,
daß ich etwas ſpät eine Nachricht ausrichte, welche mir
Graf Hartenegg aufgetragen.““

„Wer, ſagten Sie, Ranke ?“ frug Harding athemlos.

„Graf Hans von Hartenegg, er iſt mein beſter Freund
und der alleinige Träger des berühmten Namens.“ ö
Während Harding ſich abwendete, fuhr Doktor Ranke
fort: „Gnädige Frau, mein Freund läßt ſein aufrichtigſtes
Bedauern ausſprechen, es ſei ihm aber unmöglich, heute
zu kommen. Er hoffe aber, Sie und Herrn Harding,
deſſen Bekanntſchaft er leider heute nicht machen könne, in
den nächſten Tagen bei ſich zu ſehen.“
„Es iſt ſchade, daß Graf Hans nicht kommen kann,

mein Kreis ſchmilzt immer mehr zuſammen, auch Ihr Vetter,

Herr Fahrbach, hat mir abgeſchrieben.“

„Nun, wie wäre es, gnädige Frau, wenn wir, falls

morgen ſchönes Wetter, eine Fahrt nach Hartenegg machten?
Wir nehmen zwei bequeme Wagen und können bis Abend
leicht wieder zurück ſein, Herrn Harding wird es gewiß
intereſſiren, eine unſerer ſchönſten alten Burgen in Augen-
ſchein nehmen zu können; mein Freund Hans wird ſich ein
Vergnügen daraus machen, Sie herumzuführen.“ ö
„Es wird mir große Freude machen, das ſchöne alte
Schloß auch im Innern bewundern zu können,“ erwiderte
Harding gepreßt, „aber werden wir Ihrem Freunde auch
gelegen kommen 2“

„Das glaube ich verſichern zu können; und ſollte er

auch nicht gleich anweſend ſein, ſo bin ich doch ſelbſt dort
ſo vertraut, daß ich mit gutem Gewiſſen ſo lange die Hon-
neurs machen kann.“

„Was meinen Sie, Herr Harding,“ ſagte die Haus-
frau, „wenn der Doktor die Verantwortung übernimmt,
können wir es am Ende wagen; ich war auch noch nicht

auf Schloß Hartenegg, obgleich es mir ſo vielfach ſchon
geſchildert wurde. Alſo wir halten es abgeſprochen, wir
erwarten dann nur noch Beſcheid, um welche Stunde wir
uns bereit halten ſollen.. ö

wie auf einen Erlöſer wartete.

„Mama,“ rief Fanny eintretend, „iſt es nicht Zeit,
jetzt zu Tiſche zu gehen?“ ö ö
Man erhob ſich und verfügte ſich in den reich ausge-
ſtatteten Speiſeſaal. Ganz ſo fröhlich und ungezwungen
wie ſonſt verlief das Souper an jenem Abend nicht; die
Hausfrau that zwar ihr Möglichſtes, um das Geſpräch
nicht in's Stocken gerathen zu laſſen, aber ſie konnte es
nicht hindern, daß auf allen ein mehr oder wenig ſtarker
Druck lag; infolge deſſen wohl brachen auch Hardings ziem-
lich früh auf. ö ö
„Herr Doktor, bleiben Sie nicht noch ein wenig, es iſt
ja noch ſo früh?“ fragte Fanny, als die Fremden ſich ver-
abſchiedeten.
„Ich bedaure, Fräulein Fanny, ich muß zuerſt nach

Hauſe, nachſehen, ob Niemand nach mir geſchickt, und dann

habe ich draußen in der Vorſtadt einen Schwerkranken, den
ich unbedingt noch beſuchen muß.“ Er erröthete, obgleich
er nur die Wahrheit geſprochen, aber er ſah an des jungen
Mädchens ſpöttiſchem Geſichte, daß ſie ihm nicht glaubte.
„Nun wohl, Herr Doktor, ich will Sie nicht zurück-
halten; wir haben ſchon lange verlernt, zu glauben, daß
Sie uns in Freundſchaft zugethan waren!“
„Gab ich Ihnen Urſache, daran zu zweifeln, gnädiges
Fräulein?“ frug Ranke ſehr ernſt, während er ihr ſchmerz-
lich in das erregte Geſichtchen blickte. ö
„Ja und nein, wie Sie wollen, aber ich ſetze Ihnen
dies ein anderes Mal auseinander, wenn Sie uns gelegent-
lich mal wieder die Ehre ſchenken.“ Sie machte ihm eine
halb ſpöttiſche Verbeugung und wendete ſich raſch in das
Zimmer zurück. — Die Thür fiel hinter ihm in's Schloß.
Fianny ſchluchzte laut auf und vergrub das Geſicht in
ihren kleinen Händen.
ö X. ö
Und der Menſch hat ſeine Grenzen,
Grenzen, über die hinaus
Sich ſein Muth im Staube windet,
Seiner Klugheit Aug' erblindet,
Seine Kraft wie Binſen bricht
Und ſein Inn'res zagend ſpricht:
— Bis hierher und weiter nicht!
ö Grillparzer.
Doktor Ranke begleitete die Fremden nach ihrer Woh-
nung, damit ſie den Weg nicht verfehlen ſollten, dann erſt
eilte er nach ſeiner eigenen, beſcheidenen Häuslichkeit. Dort
fand er denn auch außer ſonſtigen angemeldeten Patienten
die Nachricht vor, daß er ſchleunigſt ſich zu dem Kranken
in der Vorſtadt, von dem er bei Mervings geſprochen,
kommen möge, da derſelbe ſein Ende herannahen fühle und
er dem jungen Manne noch einige wichtige Mittheilungen
zu machen habe. Durch die Ausübung ſeines Berufes voll-
ſtändig in Anſpruch genommen, hatte Ranke nicht genügend
Zeit, um ſeinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Vergeſſen
waren für Augenblicke ſowohl die Geliebte, wie auch Fanny,
welche ſich ihm heute ſo feindlich gegenüber geſtellt. Jetzt
beſchäftigte er ſich nur mit dem alten Manne, der auf ihn,
Schon ſeit Wochen ging
er täglich zweimal in jene entlegene Skraße der Vorſtadt.

Es war ein unſcheinbares Häuschen, hinter deſſen Thüre
 
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