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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 27. Febraur)
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heidelberger Familien

lläler.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

Ir. 13.

Samstag, den 13. Februar

1886.

Die Fräulein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.)

Sie hielt das Hündchen in der Hand und betrachtete
es von allen Seiten, die blauen Augen ruhten verlangend
darauf, ſie ſah dabei gar nicht ſo freundlich aus wie ſonſt.
5»„Schenke es mir — bitte — bitte — bitte!“ rief ſie
endlich. Marlitta ſchwieg. ö
„Du willſt nicht, das iſt garſtig!“ ö
Das hübſche Geſichtchen konnte einen recht unangenehmen
Ausdruck bekommen, ſie ſtellte das Hündchen aufrecht auf
den Tiſch und wandte der Schweſter den Rücken.
„Nimm es nur,“ entgegnete Marlitta. Marlene jubelte,
ſie umarmte ihr Zwillingsſchweſterchen und küßte ſie ſtürmiſch.
„Liebe, gute, einzige Marli.“ ö ö
Frau von Paalen kam, rief die Kinder zum Abend-
eſſen, und die ganze Angelegenheit war vergeſſen. Am
nächſten Morgen, als Karl Janſens ſich nach der Schule
einſtellte, ſchlug er ein Spiel vor, bei welchem das haupt-
ſächlichſte Vergnügen darin beſtand, auf einen alten Holz-
birnbaum zu klettern. Marlitta ſpielte nicht mit, aber
gerade ſolch ein Spiel war nach Marlenens Geſchmack.
Hinauf gings in die oberſten Aeſte, während die andere ſich
mit einem Buche abſeits ſetzte. O weh, Marlenens Kleid
und Karl Janſens Jacke nahmen dabei argen Schaden, in
höchſter Verlegenheit kamen ſie rathlos zu Marlitta. Sie
verſuchte es, die Schäden auszubeſſern, natürlich ohne jeden
Erfolg, denn im Grunde genommen verſtanden ihre kleinen
Händchen ebenſowenig die Nadel zu führen, als die der
Schweſter oder Karl Janſens. Marlene erhielt Schelte,
der Knabe eine fühlbarere Strafe und am nächſten Tage
geſtand er Marlitta ein, daß es doch beſſer geweſen wäre,
wenn er mit ihr geleſen und Bilder beſehen hätte, als auf
den Baum zu ſteigen. ö
„Ich will deinem Rathe immer folgen,“ ſagte er und

in ihren dunkeln Augen leuchtete es auf, halb in kindlichem

Stolze, halb in innerſter Herzensfreude.
*

Der Nordoſt hatte ſchön lange auf der Bucht gelegen
und ungeheure Waſſermaſſen hineingetrieben, nicht ohne

eine gewiſſe Beſorgniß betrachteten die Bewohner der Küſte

die zunehmende Höhe des Waſſerſtandes.
„Wenn's nur nicht ſchlimmer kommt!“ meinte Herr
von Paalen, als er eines Tages in den Kahn ſtieg, um
ſich von ſeinem Landſitze hinüber in das Geſchäftslokal zu
begeben. ö ö ö
„Davor möge uns der liebe Gott behüten,“ entgegnete
ſeine Gattin und ging in das Haus zurück. Der Himmel
ſah heiter aus, jeder Laie hätte darauf geſchworen „daß
das ſchönſte Wetter heute den ganzen Tag über anhalten
würde, die Seeleute aber und die Küſtenbewohner waren

darüber anderer Anſicht.
„Dort hinten ſtehen kleine, verdächtige Wölkchen,“ ſagte
der Fiſcher Marquart, der eben das Boot rüſtete, um

hinaus auf den Flunderfang zu fahren.

„Es kann etwas geben,“ antwortete Fiſcher Janſens,
der Vater von Karl Janſens, indem er die Netze in den
Kahn legte. Marquart und Janſens betrieben die Fiſcherei
zuſammen. ö
„Wollen wir noch warten?“ fragte der erſte wieder.
„Meinſt du das?“
„Hm — hm — ja ich meine.“
„J wo, ſo ſchnell wird es nicht kommen.“
„Mir ſoll es recht ſein.“ ö
Damit beruhigte ſich Janſens endlich. Während dieſer
Unterhaltung, welche bedächtig mit langen Pauſen geführt
wurde — die ſchleswig-holſteiniſchen Fiſcher denken und
ſprechen langſam, dafür arbeiten ſie aber deſto ſchneller —
war das Boot ſegelfertig, bald ſchwankte es über die be-
reits bewegte Waſſerfläche. Im Städtchen ſteckten die Leute
die Köpfe zuſammen, ſtiegen hinauf auf den Boden, gingen
zum Strande, einige ruderten ein Stückchen hinaus und
hielten Umſchau.
„Es läßt ſich an wie damals — —“ flüſterte zahn-
loſen Mundes Mutter Dörthe, die älteſte Frau im Orte —
ſie zählte wohl achtzig Jahre und mehr.
„Gerade wie damals — —“
Sie war zu betagt, um noch die Jahreszahl zu wiſſen,
das „damals“ genügte, die Leute verſtanden wohl, daß
ſie damit die große Sturmfluth meinte, welche die Hütte
ihres Vaters vom Erdboden verſchwinden ließ. Es war
beinahe die einzige Erinnerung, welche ihr aus der Jugend
geblieben.
„Mutter Dörthe kann recht haben,“ hörte man den
Seilermeiſter Nielſen ſagen — er nickte ſeiner Gewohnheit
nach dabei ſehr weiſe mit dem Kopfe, als hätte er eben
die Quadratur des Zirkels gelöſt, dann fuhr er fort:
„Verdächtig ſcheint's mir. Jürgens, ſpann ab, räume die
Bude, man kann's nicht wiſſen, man kann's nicht wiſſen.
S' ſteckt Niemand drin in dem Waſſer, und oben in der
Luft weiß Niemand Beſcheid, trotz Luftballon und Flug-⸗
maſchine.“
Er nickte wieder äußerſt bedächtig, der Seilerlehrling
that wie ihm geheißen, er war es wohl zufrieden, das
ewige Drehen wurde doch einmal unterbrochen. ö
Ein Diener der Polizei erſchien — Meerwaſſer allein
hatte ſeine Naſe nicht ſo roth gefärbt. ö
„Das liegt am Klima — “, pflegte er zu ſagen, wenn
man ihn nach den Urſachen dieſer eigenthümlichen Regen-
bogenfärbung fragte. Im Oertchen nannte man ihn daher
den Polizeiſergeanten Eibſen mit der klimatiſchen Naſe.
Die Mütze ſaß ihm im Genick, ſein Geſicht — ausgenom-
men beſagter blaurother Theil — war ein ſtruppiger
Borſtenwald, ein ſchwanenhalſiger, altmodiſcher Säbel hing
lebensmüde und augenſcheinlich durchaus nicht kriegeriſch
geſinnt, an ſeiner Seite. Die geſammte Jugend folgte ihm
und lauſchte der Weisheit, die ſeinem Munde entfließen
ſollte, nun ſchwang er die gewaltige Klingel, und nachdem
er ſich ſo der ungetheilten Aufmerkſamkeit ſeiner Zuhörer
verſichert hatte, ſchnarrte er los: „Ein hochweiſer Magiſtrat
haben anzuordnen geruht, daß, da bei ſteigender Waſſer-
höhe, im Falle daß — wenn — heißt das inſofern alſo —
 
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