Heidelberger
Belletriiſch
milien
Beilage zur Heidelberger Beitung.
lätter.
Ur. 82.
Mittwoch, den 13. October
1886.
Die Grafen von Hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
(Cortſetzung.)
III.
Die reichgeſchnitzte Thür des Klubhauſes in D. öffnete
ſich geräuſchlos und ließ zwei Männern in eleganter Sommer-
kleidung freien Durchgang. ö ö
„Wenn es Dir recht iſt, Hans, ſo gehen wir noch eine
kleine Weile nach den Anlagen, der Abend iſt ſo prächtig,“
ſagte der Kleinere von beiden, ein zierlicher Mann mit
blitzenden grauen Augen und einem kecken Schnurrbärtchen
zu ſeinem Begleiter, indem er ſeinen Arm in den des Freun-
des ſchob. ö
„Gewiß, ich bin einverſtanden,“ erwiderte der Angeredete,
Graf Hans von Hartenegg, „umſomehr, als Jahre ver-
gangen ſind, ſeit ich zuletzt ſo luſtwandeln konnte. Was
hat ſich nicht alles ereignet in dieſen letzten fünf Jahren!
Erzähle Du mir zuerſt, Hermann, was Du in dieſer Zeit
erlebt, denn, mein Freund, deine Antworten auf meine,
meiſt ſehr ausführlichen Berichte waren recht ſpärlicher
Natur,“ fügte er hinzu. ö ö
„Ich weiß, ich weiß,“ entgegnet dieſer lachend, „den
Vorwurf machen mir alle, und ich nehme ihn gerne an,
denn ich bin vollſtändig von meiner Schreibfaulheit über-
zeugt. Genügt Dir dies Bekenntniß, Hans 2“
„Ja, Du biſt unverbeſſerlich, Hermann,“ lachte nun
auch der Graf, obwohl ſein edel und männlich geſchnittenes
Geſicht einen ſo ernſten Charakter trug, als ob der Beſitzer
nur ſelten demſelben ein Lächeln abgewinnen könne. Die
ganze hohe, kraftvolle Geſtalt verrieth den Edelmann auf
den erſten Blick, ſein tiefgebräuntes Antlitz umgab ein ſorg-
fältig gepflegter, dunkelblonder Bart, der ſich in langen
Wellenlinien bis auf die breite Bruſt erſtreckte, ſeine großen,
rehbraunen Augen hatten etwas Müdes, Abgeſpanntes, was
mit den energiſchen Zügen und der kraftvollen Geſtalt kaum
in Einklang zu bringen war. „Alſo beginne jetzt, Hermann,
ſonſt möchte es für dieſen Abend leicht zu ſpät werden.“
Sie waren langſam nach den Anlagen geſchlendert und
befanden ſich eben an einem der großen Teiche, als der
Mond ſtrahlend hinter den verhüllenden Wolken hervortrat,
alles mit ſeinem ſilbernen Lichte übergoß und magiſch be-
leuchtete.
„Ah,“ entrang ſich den Lippen des Grafen, indem er
tief aufathmete, „wie wunderbar ſchön iſt dieſes Fleckchen
Erde, ſieh nur, Hermann, wie dunkel dort drüben ſich die
Föhren Wosben und wie wunderbar ſich das Geſträuch im
Waſſer diederſpiegelt. Und dieſe himmliſche Ruhe, welche
über das Ganze ausgebreitet iſt, wie wunderbar ergreifend
iſt doch die Natur!“ 2
„Ja, es iſt ſchön, Hans,“ erwiderte der andere kühl,
»aber für mich ſo alltäglich, daß ich mit dem beſten Willen
nicht ſo viele Worte darum machen könnte.“ ͤ
„Du warſt von jeher ein Realiſt, Hermann, die Schön-
heiten der Natur ließen Dich ſtets kalt, aber glaube mir,
daß ich auf allen meinen Reiſen — und ich habe viel
Schönes, Entzückendes, Großartigeres vielleicht geſehen, wie
dieſe Beleuchtung hier, — aber nirgends fand ich eine
Stelle, deren Zauber ſo zum Herzen ſpricht. Komm, wir
wollen uns auf jener Bank niederlaſſen, ich möchte dieſes
Zauberbild noch länger genießen können.“
Kopfſchüttelnd ſah ihm der Freund nach, während er
voraneilte, um den bezeichneten Platz zu erreichen.
„Mir ſcheint, Hans, Du kehrſt noch eben ſo ſchwärmeriſch
zurück, wie Du gegangen. Ich hatte gehofft, daß das harte
Leben da draußen, die mannigfaltigen Strapazen und Ge-
fahren, denen Du ausgeſetzt warſt, Dich etwas von Deinem
großen Idealismus heilen würden, aber es ſcheint dem
nicht ſo zu ſein.“
„Nein, Hermann, ich habe meine Natur nicht ändern
können, wo ich auch weilte, ob ich in Hinterindien herum-
kroch, oder die Pyramiden beſtieg, ob mich die heiße Sonne
der Sahara ſchwarz brannte oder die Wellen des ſtillen
Ozeans meine Füße umſpülten, überall fand ich Nahrung
für meine idealen Anſichten, mögen ſie Dir auch noch ſo
lächerlich erſcheinen. — Sage nichts, Hermann, ich weiß
ja, wie Du darüber denkſt, und wäre es eben nicht Du,
dem als Jünger der Medizin das Leben in ſeiner voll-
kommenen und unvollkommenen, in ſeiner wirklichen Geſtalt
ſtets entgegentritt, dem jeder auch noch ſo geringſte Hauch
der Poeſie entſchwunden, ſo könnte ich mich wohl, veranlaßt
durch die Gegenſätze unſerer beiderſeitigen Anſchauungen,
verletzt zurückziehen, aber ich weiß, daß Du nicht verſuchen
wirſt, mich zu bekehren — es würde Dir auch nichts
nützen.“
Dr. Hermann Ranke drückte dem Freunde ſchweigend
die Hand, antworten mochte er jetzt nicht, um nicht ſchroff
aufzutreten, aber er billigte des Grafen Anſchauungen
durchaus nicht. ö
Stillſchweigend ſetzten ſie ſich auf die Bank, an welcher
ſie mittlerweile angekommen waren, und ſchauten in das
flimmernde Mondlicht — beide mit ſo ſehr verſchiedenen
Gedanken. ö
„Hermann,“ begann nach langer Pauſe wieder der
junge Graf, „erzähle mir nun von Deinem Leben, wir ſind
unterbrochen worden.. ö ö
„Was ſoll ich Dir viel erzählen, Hans, mein Leben
fließt ſo einförmig dahin, daß es nur wenig zu berichten
gibt. Als wir uns damals trennten, hatte ich eben mein
Examen vollendet und wartete nun auf eine Praxis.
„Was das heißt, thatenlos zu Hauſe zu ſitzen, den
letzten Pfennig in der Taſche zu haben; wenn geklingelt
wird, freudig in die Höhe zu fahren, um ebenſo raſch und
bitter enttäuſcht ſich wieder ſinken zu laſſen, das weiß nur
der zu beurtheilen, der es ſelbſt durchgemacht hat. Ich
bin kein Peſſimiſt, Hans, aber bei Gott, damals war ich
nahe daran, einer zu werden.“ ö
Der junge Arzt hatte ſich in Feuer geredet, er ſprang
auf und ging mit erregten Schritten vor dem Freunde auf
und nieder. Die Erinnerung an jene troſtloſen Tage
konnte ihn immer wieder tüchtig packen und erregen.
„Na, es kamen auch beſſere Zeiten,“ fuhr er fort und
ſetzte ſich wieder neben den Freund. „Eines Tages klingelte
Belletriiſch
milien
Beilage zur Heidelberger Beitung.
lätter.
Ur. 82.
Mittwoch, den 13. October
1886.
Die Grafen von Hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
(Cortſetzung.)
III.
Die reichgeſchnitzte Thür des Klubhauſes in D. öffnete
ſich geräuſchlos und ließ zwei Männern in eleganter Sommer-
kleidung freien Durchgang. ö ö
„Wenn es Dir recht iſt, Hans, ſo gehen wir noch eine
kleine Weile nach den Anlagen, der Abend iſt ſo prächtig,“
ſagte der Kleinere von beiden, ein zierlicher Mann mit
blitzenden grauen Augen und einem kecken Schnurrbärtchen
zu ſeinem Begleiter, indem er ſeinen Arm in den des Freun-
des ſchob. ö
„Gewiß, ich bin einverſtanden,“ erwiderte der Angeredete,
Graf Hans von Hartenegg, „umſomehr, als Jahre ver-
gangen ſind, ſeit ich zuletzt ſo luſtwandeln konnte. Was
hat ſich nicht alles ereignet in dieſen letzten fünf Jahren!
Erzähle Du mir zuerſt, Hermann, was Du in dieſer Zeit
erlebt, denn, mein Freund, deine Antworten auf meine,
meiſt ſehr ausführlichen Berichte waren recht ſpärlicher
Natur,“ fügte er hinzu. ö ö
„Ich weiß, ich weiß,“ entgegnet dieſer lachend, „den
Vorwurf machen mir alle, und ich nehme ihn gerne an,
denn ich bin vollſtändig von meiner Schreibfaulheit über-
zeugt. Genügt Dir dies Bekenntniß, Hans 2“
„Ja, Du biſt unverbeſſerlich, Hermann,“ lachte nun
auch der Graf, obwohl ſein edel und männlich geſchnittenes
Geſicht einen ſo ernſten Charakter trug, als ob der Beſitzer
nur ſelten demſelben ein Lächeln abgewinnen könne. Die
ganze hohe, kraftvolle Geſtalt verrieth den Edelmann auf
den erſten Blick, ſein tiefgebräuntes Antlitz umgab ein ſorg-
fältig gepflegter, dunkelblonder Bart, der ſich in langen
Wellenlinien bis auf die breite Bruſt erſtreckte, ſeine großen,
rehbraunen Augen hatten etwas Müdes, Abgeſpanntes, was
mit den energiſchen Zügen und der kraftvollen Geſtalt kaum
in Einklang zu bringen war. „Alſo beginne jetzt, Hermann,
ſonſt möchte es für dieſen Abend leicht zu ſpät werden.“
Sie waren langſam nach den Anlagen geſchlendert und
befanden ſich eben an einem der großen Teiche, als der
Mond ſtrahlend hinter den verhüllenden Wolken hervortrat,
alles mit ſeinem ſilbernen Lichte übergoß und magiſch be-
leuchtete.
„Ah,“ entrang ſich den Lippen des Grafen, indem er
tief aufathmete, „wie wunderbar ſchön iſt dieſes Fleckchen
Erde, ſieh nur, Hermann, wie dunkel dort drüben ſich die
Föhren Wosben und wie wunderbar ſich das Geſträuch im
Waſſer diederſpiegelt. Und dieſe himmliſche Ruhe, welche
über das Ganze ausgebreitet iſt, wie wunderbar ergreifend
iſt doch die Natur!“ 2
„Ja, es iſt ſchön, Hans,“ erwiderte der andere kühl,
»aber für mich ſo alltäglich, daß ich mit dem beſten Willen
nicht ſo viele Worte darum machen könnte.“ ͤ
„Du warſt von jeher ein Realiſt, Hermann, die Schön-
heiten der Natur ließen Dich ſtets kalt, aber glaube mir,
daß ich auf allen meinen Reiſen — und ich habe viel
Schönes, Entzückendes, Großartigeres vielleicht geſehen, wie
dieſe Beleuchtung hier, — aber nirgends fand ich eine
Stelle, deren Zauber ſo zum Herzen ſpricht. Komm, wir
wollen uns auf jener Bank niederlaſſen, ich möchte dieſes
Zauberbild noch länger genießen können.“
Kopfſchüttelnd ſah ihm der Freund nach, während er
voraneilte, um den bezeichneten Platz zu erreichen.
„Mir ſcheint, Hans, Du kehrſt noch eben ſo ſchwärmeriſch
zurück, wie Du gegangen. Ich hatte gehofft, daß das harte
Leben da draußen, die mannigfaltigen Strapazen und Ge-
fahren, denen Du ausgeſetzt warſt, Dich etwas von Deinem
großen Idealismus heilen würden, aber es ſcheint dem
nicht ſo zu ſein.“
„Nein, Hermann, ich habe meine Natur nicht ändern
können, wo ich auch weilte, ob ich in Hinterindien herum-
kroch, oder die Pyramiden beſtieg, ob mich die heiße Sonne
der Sahara ſchwarz brannte oder die Wellen des ſtillen
Ozeans meine Füße umſpülten, überall fand ich Nahrung
für meine idealen Anſichten, mögen ſie Dir auch noch ſo
lächerlich erſcheinen. — Sage nichts, Hermann, ich weiß
ja, wie Du darüber denkſt, und wäre es eben nicht Du,
dem als Jünger der Medizin das Leben in ſeiner voll-
kommenen und unvollkommenen, in ſeiner wirklichen Geſtalt
ſtets entgegentritt, dem jeder auch noch ſo geringſte Hauch
der Poeſie entſchwunden, ſo könnte ich mich wohl, veranlaßt
durch die Gegenſätze unſerer beiderſeitigen Anſchauungen,
verletzt zurückziehen, aber ich weiß, daß Du nicht verſuchen
wirſt, mich zu bekehren — es würde Dir auch nichts
nützen.“
Dr. Hermann Ranke drückte dem Freunde ſchweigend
die Hand, antworten mochte er jetzt nicht, um nicht ſchroff
aufzutreten, aber er billigte des Grafen Anſchauungen
durchaus nicht. ö
Stillſchweigend ſetzten ſie ſich auf die Bank, an welcher
ſie mittlerweile angekommen waren, und ſchauten in das
flimmernde Mondlicht — beide mit ſo ſehr verſchiedenen
Gedanken. ö
„Hermann,“ begann nach langer Pauſe wieder der
junge Graf, „erzähle mir nun von Deinem Leben, wir ſind
unterbrochen worden.. ö ö
„Was ſoll ich Dir viel erzählen, Hans, mein Leben
fließt ſo einförmig dahin, daß es nur wenig zu berichten
gibt. Als wir uns damals trennten, hatte ich eben mein
Examen vollendet und wartete nun auf eine Praxis.
„Was das heißt, thatenlos zu Hauſe zu ſitzen, den
letzten Pfennig in der Taſche zu haben; wenn geklingelt
wird, freudig in die Höhe zu fahren, um ebenſo raſch und
bitter enttäuſcht ſich wieder ſinken zu laſſen, das weiß nur
der zu beurtheilen, der es ſelbſt durchgemacht hat. Ich
bin kein Peſſimiſt, Hans, aber bei Gott, damals war ich
nahe daran, einer zu werden.“ ö
Der junge Arzt hatte ſich in Feuer geredet, er ſprang
auf und ging mit erregten Schritten vor dem Freunde auf
und nieder. Die Erinnerung an jene troſtloſen Tage
konnte ihn immer wieder tüchtig packen und erregen.
„Na, es kamen auch beſſere Zeiten,“ fuhr er fort und
ſetzte ſich wieder neben den Freund. „Eines Tages klingelte