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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
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ridelberger

Imili

Belletriliſce Beilage zur Heidelberger Beitung.

— —

rublätter.

Ar. 72. Mittwoch, den

8. September 1886.

Der Zänger von Salto.
Eine braſilianiſche Geſchichte von B. Riedel⸗Ahrens.
Nachdruck verboten. Geſetz v. 11. Juni 1870.

IJ. ö
Die letzten Strahlen der ſinkenden Abendſonne färben
den weſtlichen Himmel hoch hinauf mit purpurnem Glanze
und breiten ein Meer von goldnem Licht über die palmen-
begrenzten Ufer des wilden Parahybafluſſes. Die ſchaum⸗—
gekrönten Wellen des breiten Stromes tanzen freudig im
Abendwinde aus dem tiefblauen Grunde empor und gleiten
mit geſchäftigem Plätſchern unaufhaltſam dem ewigen Ziel,
dem Ocean entgegen. Tiefe Stille — nur unterbrochen
von dem dumpfen Rauſchen der niederſtürzenden Waſſer-
maſſen des nahen Saltofalles — herrſcht in der Natur,
die im Begriff iſt, ſich in das hehre Gewand der tropiſchen
Nacht zu hüllen; die Rieſenſchatten des ernſten Abends
ſteigen unmerklich, doch gigantiſch vom Boden auf, und legen
heilend ihre feuchten Schleier über die Wunden, welche die
verſengende Sonne des glühend heißen Tages gebrannt.
Um dieſe Zeit hebt ſich die Bruſt zu tieferem Athem-
zuge, um dem gewürzigen und erquickenden Lufthauch freien
Einzug in das erſchöpfte Innere zu gewähren; das mochte
auch der junge einſame Fiſcher Juca empfinden, der, mit
reicher Beute vom Fange heimkehrend, in ſeinem kleinen
Kahne auf den goldflimmernden Wellen dahinglitt. In
lautloſem Spiele hob und fenkte er die zierlichen Ruder,
und doch verſtand er es ſo geſchickt, den Nachen zu lenken,
daß derſelbe wie ein Pfeil auf der ſpiegelglatten Fläche
ſchwebte. ö ö
Der junge Mann ſchien etwas ungeduldig ſeinem Ziele
zuzuſtreben, denn die nachtſchwarzen Augen ſeines brünetten
und edelgeſchnittenen Geſichtes ruhten faſt unausgeſetzt auf
jenem nicht mehr allzufernen Punkte, wo zwiſchen dem Laub-
werk der dunkeln Mangobäume der Kirchthurm ſeines
Heimathsdorfes hervorragte. ö
Jetzt hatte er die letzte Biegung des Stromes umſchifft,
in ſeinen Zügen leuchtete es auf, die breit gewölbte Bruſt
ſeiner ſchlanken und geſchmeidigen Geſtalt begann ſich raſcher
zu heben; die feingeſchwungenen Lippen unter dem ſchwarzen
Bärtchen verzogen ſich zu einem glücklichen Lächeln, und
zwiſchen den blitzenden Zähnen hervor erklang ein Jubel-
ruf, ſo hell und melodiſch, ſo rein und ſehnſuchtsvoll, wie
der letzte Ruf des Sabia, der braſilianiſchen Nachtigall, in
den Kronen der abendlichen Palmen. —
Immer näher rückte das erſehnte Ziel, jetzt nur noch
ein paar hundert Armlängen, da ſieht der Juca das Häus-
chen der Mutter am Strande, inmitten eines kleinen Gar-
tens, liegen; in der nächſten Minute iſt es erreicht, er
ſbringt an's Ufer, zieht das Boot mit kräftigem Ruck auf
den Sand und befeſtigt es mit der Kette an den nächſten
Pfahl. „Dann entnimmt er dem Innern deſſelben ein paar
Gegenſtände und eilt dem Eingange des Hauſes zu, aus
dem ihm ſeine Mutter, eine bejahrte Wittwe in einfacher,
doch ſauberer Kleidung, entgegentritt. ö
„Guten Abend, Mutter!“ erklang die ungewöhnlich

wohlklingende Stimme des Fiſchers, während die Augen
der Frau mit ſichtbarem Stolze auf der ſchönen Geſtalt
des Sohnes ruhten, „ich bringe reichen Fang und für Dich
dieſen Korb mit Deiner Lieblingsfrucht, der Goyaba, die
ich drüben im Gebirge am Waldſaume fand! Ich ließ
mir keine Mühe verdrießen, ſie zu erreichen, da ich doch
weiß, wie willkommen meinem Mütterchen dieſe Erfriſchung
zum Abendbrode iſt.“ ö
Juca hatte das Körbchen auf die Bank vor dem Hauſe
geſtellt und leerte nun, um ſeine Schätze zu zeigen, geſchäftig
den Inhalt deſſelben; bei dieſer Gelegenheit wurde auch
ein Strauß von außerordentlich ſchönen und ſeltenen Pa-
rahytenblüthen ſichtbar, deren heiße Farbenpracht vom Abend-
ſonnenlichte dunkelgoldig durchglüht wurde.,
Ein warmes Roth ergoß ſich über ſein Antlitz, als er
den Blick der Mutter forſchend auf ſich ruhen fühlte.
„Dieſe Blumen pflückte ich für Marietta,“ ſagte er nach
einer kleinen Pauſe befangenen Schweigens, „nicht wahr,“
fügte er erregter hinzu, „ſie war doch hier während meiner
Abweſenheit, oder ſandte irgend welche Nachricht, wie es
ihr geht, und wo ich ſie ſprechen kann.“ ö
„»„Sie war nicht da, Juca, und es kam auch keine Bot-
ſchaft,“ entgegnete die Frau mit leiſer Mißbilligung in
ihrem Tone. ö ö ö
Ein Schatten des Unmuths und der Enttäuſchung glitt
ſchnell über Jucas ausdrucksvolle Züge. „Auch keine Bot-
ſchaft?“ wiederholte er mechaniſch. „Dann muß etwas
Beſonderes vorgefallen ſein! Seit acht Tagen hoffe ich
nun ſchon vergeblich auf ein Lebenszeichen von ihr, heute
aber erwartete ich doch ſicher ein Wort, oder einen Gruß,
weil ſie weiß, daß ich mein Namensfeſt beging.“
Nachdenklich betrat er das Haus und ſetzte ſich ſchwei-
gend an den Tiſch in der freundlichen Wohnſtube, durch
deren weinbelaubte Fenſter ſich noch hier und dort ein ver-
lorener Sonnenſtrahl durch die Zweige ſtahl. Den Kopf
in die Hand geſtützt, beobachtete er ſcheinbar aufmerkſam
die immermehr ſich ausbreitende Dämmerung da draußen,
welche nun, nachdem der feurige Sonnenball verſchwunden,
ſich raſch über die ſtille Erde breitetern.
Seine Mutter hatte unterdeſſen das einfache Abendbrod
hergerichtet und auf den Tiſch geſtellt, gebratene Fiſche mit
friſch geröſtetm Mandiocamehl, Früchte und einen Becher
Wein; Juca ſchien keinen Hunger mehr zu ſpüren, er be-
rührte faſt nichts von den vorgeſetzten Speiſen. Er erhob
ſich bald vom Tiſche, nahm ſeinen Hut vom Nagel und
aus einem ſchwarzen Behälter im Hintergrunde des Zim-
mers eine Geige, worauf er ſich zum Gehen wandte.
„„Du willſt nach der Saltobrücke, Juca?“ ö
„Ja; vielleicht ſehe ich Marietta dort, ſie muß ja
kommen, wenn ihr nicht ein Leid widerfahren iſt. Ich will

auf alle Fälle zu erfahren ſuchen, was vorgegangen, eine

unerklärliche Unruhe treibt mich hinaus.“ ö
Die alte Frau zuckte ſchweigend mit den Achſeln. „Es
will mir gar nicht gefallen,“ bemerkte ſie, „daß Ihr Beide
Euch heimlich ſeht; Du haſt bereits erfahren, wie ſehr die
Eltern des Mädchens gegen eine Verbindung mit Dir ſind;

Du kennſt den ſtarrſinnigen, hochmüthigen Charakter der
 
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