Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI chapter:
Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0157

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelber

ſer gamilien

6 —.

lätter.

Ar. 39.

Samstag, den 15. Mai

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

1886.

Zun Jinduurn.
Roman von B. Renz.

(Portſetzung.)

„Dieſen Schluß unterſchreibe ich nicht unbedingt,“ hatte
der Juſtizrath erwidert, „gerade die Erinnerung an das
der Mutter zugefügte Unrecht kann Mitleid mit dem jungen
Mann erwecken, welches bekanntlich nicht ſelten zum Fun-
dament der Liebe wird. Uebrigens, hat denn deine Tochter
dieſes Verſprechen für ewige Zeiten geleiſtet?“ ö
„Das bleibt ſich ganz gleich,“ hatte ſein Freund gereizt
erwidert, „für die Ausführung ihres Verſprechens ſorge ich,
verlaß dich darauf. Und ſollte der junge Herr ſich unter-
ſtehen, den geringſten Verſuch zu machen, wie es z. B. im
Penſionat Clemence geſchehen iſt, ſo ſchicke ich Billa ſofort
weit genug, und melde das Benehmen des jungen Mannes
dem Fürſten perſönlich und damit baſta!“
„Der „junge Mann“ wird ſich nicht unterſtehen,“ hatte
der Juſtizrath ernſten Tones geantwortet, „dafür iſt er ein
zu ſolider Charakter und außerdem liebt er deine Tochter
ehrlich und' aufrichtig, hat auch längſt den dummen Streich
bereut. Ich muß dich überhaupt erſuchen, ihm nicht etwa
bei unerwünſchten Gelegenheiten ſchroff oder beleidigend
gegenüber zu treten; er iſt ohnehin übel genug daran.“
„Du plaidirſt ja wie für einen Delinquenten in foro,“
hatte der Stadtrath nicht ohne Bitterkeit die Rede unter-
brochen, „thu mir den. Gefallen, — was geht mich der
Menſch an!“
Aber der Juſtizrath war in ſeiner Replik fortgefahren,
ohne auf den Einwurf zu achten; die Gelegenheit ſchien
ihm zu günſtig. „Es iſt keine Kleinigkeit, eine ſolche Erb-
ſchaft von ſeinen Eltern anzutreten, bei deren Wahl man
bekanntlich nicht gefragt wird, und ich habe den Fliſſen in
dieſer Richtung unter meinen Schutz genommen. Ebenſo
aber nehme ich auch deine Billa unter meinen Schutz, das
habe ich als Pathe gelobt, unter meinen Schutz gegen jeg-
liches Unrecht, das ihr zugefügt werden könnte, ſelbſt von
deiner Seite, natürlich unbeſchadet deiner väterlichen Ge-
walt. Ich bitte dich daher nochmals, alter Freund, ängſtige
und quäle das Mädchen nicht, und empfiehl dies auch deiner

dame d'honneur, der Tante Roſe, die zwar einen guten

Eierkuchen backt, aber für die das Herz eines jungen Mäd-
chens eine terra incognita iſt. Es liegt mir gänzlich fern,
dich zur Nachgiebigkeit in dieſer Sache überreden zu wollen,
aber von Schritten möchte ich dich abhalten, die du ſpäter
bereuen könnteſt, wie ich es ſchon einmal gethan. Du
weißt doch 2ꝰ ö
„Gut!“ hatte der Stadtrath in ſeinem ſchroffen Tone
erwidert, „ich werde den Fliſſen nicht ſehen, ſo lange er

andernfalls — bleibt 's bei dem, was ich vorhin ſagte.“
ö „Gedanken kannſt du nicht beherrſchen,“ war die Er-

widerung des Freundes geweſen, „und außerdem ſind ſie

ungebetene Gäſte, zumal der Liebenden. Aber laß uns nun
das Faß zuſchlagen.“ ö ö ö

Dennoch hatte die Unterredung einen tiefen Eindruck
auf den Stadtrath gemacht, wie ſeine Nachgiebigkeit gegen
ſeine Tochter und ſein Auftreten gegen Frau Chriſtel wenige
Tage ſpäter bewies. Dies empfand auch heute der Juſtiz-
rath, nachdem er die Wittwe beſucht hatte. „Der gute
Menſch,“ ſagte er ſich, „geht ſeit Jahren an dieſem Haß
zu Grunde, und eben dieſem Haß die Spitze abzubrechen,
wäre jetzt vielleicht eine prächtige Gelegenheit. Wahrhaftig,
die Chriſtel muß wieder ins Haus, ſie iſt eine aufgeweckte,
kluge Perſon und treu wie Gold.“ ö ö
So war er nach Hauſe gekommen, entſchloſſen, es bei
der Einladung der beiden Offiziere bewenden zu laſſen; er
wollte mit ihnen allein ſein heute Abend.
Der große hinter dem Hauſe gelegene Garten brachte
gar wundervolles Obſt hervor, das ſeinesgleichen ſuchte
weit und breit. Am äußerſten Winkel deſſelben, da, wo
er an derſelben Stadtmauer endete, wie der Garten des
Lindwurms, nur mehrere hundert Schritt weiter ſtrom-

aufwärts, befand ſich ein Pavillon, von wo aus man den
köſtlichſten Fernblick über den Fluß hinweg bis zu den

Bergen genoß. Hier war im Laufe der Jahre manch fröh-
liche Geſellſchaft verſammelt geweſen, und hier, wo der
Gertraudenhof deutlich vor Augen lag, beſchloß der Juſtiz-
rath dem jungen Mann ſeine wohlgemeinten Rathſchläge zu
ertheilen und ihn nochmals vor jeder unbeſonnenen Hand-
lung zu warnen. ö ö
Als die beiden Herren gegen Abend eintrafen, fanden
ſie den Juſtizrath am Arbeitstiſch; er ſchob aber ſofort die
Schriftſtücke bei Seite, reichte beiden die Hand zum Gruß
und führte ſie über den Hof und durch den herbſtlich ge-
ſchmückten Garten nach dem Pavillon. Auf dem Wege
dahin zeigte er mit der Paſſion des Liebhabers ſeine An-
lagen ſeltener Gewächſe, die Kollektionen neuer Sorten
Aſtern und Georginen und endlich den köſtlichſten Wein
und die ſchönſten Pfirſiche an den Spaliren. Angekommen

auf dem kleinen Lugaus, entfuhr zur größten Genugthuung
des alten Herrn ſeinen Gäſten ein lautes bewunderndes:
„Ah, wie ſchön!“

Und in der That, der Anblick war ein
entzückender. Ueber den Fluß hinweg, der laut brauſend
und ſchäumend dahinzog, fiel der Blick auf üppige Wieſen
und jenſeits derſelben auf den Gertraudenhof, deſſen graue

Mauern und ſpitze Giebel röthlich angehaucht erſchienen.

von den Strahlen der untergehenden Sonne. Tiefblau

ragten in der Ferne die Berge hervor, und die Herbſtfarbe

des Laubwaldes konnte man deutlich erkennen.
„Dort liegt unſer Exerzierplatz,“ ſagte Olberg und wies
nach einer großen Heidefläche, die purpurfarben herüber-

ſchimmerte. ů

„Und dies iſt der Gertraudenhof,“ ſetzte der Juſtizrath
hinzu, „man könnte faſt hinüberrufen und ſich verſtändlich

ö „l'machen, wenn das Brauſen des Fluſſes es nicht hinderte.
weder an meine Tochter noch an mich zu denken wagt,

Werden Sie denn,“ fuhr er nach einer kurzen Pauſe fort,
„nach dem Exerzierplatz am Gertraudenhof vorbeimarſchiren,
das heißt durch das Steinthor, oder nehmen Sie Ihren
Weg durch's Riedthor?“ * ö
„Das muß hier unſer Adjutant wiſſen,“ bemerkte Ol-
berg lachend. „Was meinſt du? — Der Exerzierplatz
 
Annotationen