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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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ger Kamilienblätter.

— „Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 35.

Samstag, den 1. Mai

1886.

Zun Lindwurn.
Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.)

Das junge Mädchen antwortete nicht. Sie kannte ihren
Vater genugſam, um zu wiſſen, daß der geringſte Wider-
ſpruch die Sache nur verſchlimmern werde. Außerdem be-
rückſichtigte ſie die Wirkung des genoſſenen Weines. Sie
erhob ſich mit dem Anſchein paſſiven Widerſtandes, um die
Stube zu verlaſſen. Aber das gelang noch nicht.
„Ich frage dich, ob du mich verſtanden haſt?“ rief der
alte Mann, „vollkommen verſtanden haſt?“ ö
„Vollkommen!“ ſagte ſie.
„Ob du meinen Befehlen gehorchen willſt?“
„Ich werde nicht an ihn ſchreiben, Vater, was ich über-
haupt noch nicht gethan habe, und nicht mit ihm reden, es
ſei denn, daß wir uns irgendwo in Geſellſchaft treffen, wo
es der Anſtand nicht anders erlaubt. Weiter kann ich für
jetzt nichts verſprechen.“ ö
„Du ſollſt ihn aber auch vergeſſen, völlig vergeſſen,“
rief er in wachſender Erregung. „Du darfſt an den
Menſchen nicht ferner denken!“

„Nein, das kann ich nicht verſprechen,“ erklärte das

Mädchen unerſchütterlich und mit größter Ruhe, denn ſie
fühlte inſtinktiv, nur dieſe könnte ſie retten. „Ich habe ihn
lieb und meine Gedanken werden ſich auch gegen meinen
Willen mit ihm beſchäſtigen.“
„Dann biſt du ein ſchlechtes, undankbares Kind,“ ſcholl
0 zurück, „welches das Andenken an ſeine Mutter nicht
ehrt — —“ ö ö ö
„Das Andenken meiner Mutter ehre ich hoch,“ unter-
brach ihn Billa kaum hörbar, „doppelt hoch, weil ſie gegen
den tyranniſchen Willen ihrer Angehörigen dem Zuge ihres
Herzens und — dem Manne ihrer Wahl — folgte. Gute
Nacht, Vater.“

Der alte Herr ſank wie vom Blitze getroffen in das

Sopha zurück; ihm war zu Muthe, als habe er in dieſem
Kampfe den Sieg nicht davongetragen. „Das — das
weiß ſie auch?“ murmelte er und nahm mechaniſch einen
Schluck von dem kalt gewordenen Kaffee. ö
„Aber das verdanke ich alles der feinen Erziehung in
der Reſidenz und der alten Roſe! — Ich will euch den
Spaß verleiden und ſollte ich ein Kloſter aus meinem Hauſe
machen! Ja, im Gertraudenhof — der Garten hat eine
neun Fuß hohe Mauer, dort hinein werden wir ſo leicht
nicht gelangen, mein Herr Lieutenant. Geduld — nur
Geduld!“ ö

„Noch lange konnte der unglückliche Mann nicht Herr
ſeiner Aufregung werden; aber die Beſchlüſſe dieſer Stunde

führte er aus, und am andern Morgen wurden drei wich-

tige Dinge vollzogen: Die Kündigung des alten Neitzel als
Pächter des Gertraudenhofes; die Anzeige für das Reichaer

Tageblatt, daß am erſten November laufenden Jahres die

Weinſtube zum Lindwurm geſchloſſen werde, und endlich

eine Bekanntmachung in den geleſenſten Blättern, daß das

Haus zum Lindwurm nebſt Geſchäft und Waarenlager, mit
Ausnahme des Kellers, zum erſten Januar kommenden
Jahres verkauft werden ſolle und Herr Juſtizrath Neſemann
jede Auskunft zu ertheilen bevollmächtigt ſei.
Ja, harte Steine mahlen ſchlecht zuſammen.
V.
Wenige Tage ſpäter ſaßen in der Bierſtube des Gaſt-
hofes zum goldnen Hirſch zwei Offiziere beim Frühſchoppen;
ſie hatten die landläufigen Themata wie Avancement,
Dienſt u. ſ. w. bereits beſprochen, dann die Cigarren an-
gezündet und ſchweigend ſich dem Genuſſe des Rauchens
hingegeben; und ein Genuß war es auch, denn Lieutenant
Olberg führte kein ſchlechtes Kraut und theilte dem Freund
davon gewiſſenhaft mit.
Letzterer hatte die ſtillen Vorwürfe, die er ſich ob ſeines
Debüts im Lindwurm machte, noch immer nicht verwunden
und wartete noch immer auf die Philippika, die Olberg
ihm verſprochen; ja, ſie war ihm ſogar erwünſcht, denn er
fühlte ein Bedürfniß, ſich endlich über das ausſprechen zu
können, was ihn ſeit achtundvierzig Stunden ſo beſchwerte.
Vorläuſig bickte er theilnahmlos durch's Fenſter auf den
Marktplatz, wo ein reger Handel mit Obſt und Gemüſe ſich
entfaltete, während Olberg, den Kopf auf die Hand geſtützt,
in das Studium des Reichaer Tageblattes ſich vertieft
hatte. Plötzlich aber ſchnellte er empor.
„Fliſſen, da haſt du's — das ſind die Folgen deiner
diplomatiſchen Erſtlingsverſuche; da lies: „Bekanntmachung:
Zum erſten November laufenden Jahres wird die Wein-
ſtube zum Lindwurm geſchloſſen. L. Carſtens Söhne.“
— Und dann hier: „Bekanntmachung: „Das Haus zum
Lindwurm allhier nebſt Hof und Garten wird zum Ver-
kauf geſtellt, die Waarenvorräthe können mit übernommen
werden. Herr Juſtizrath Neſemann iſt bereit, jede Aus-
kunft zu ertheilen. L. Carſtens Söhne.“ — Was ſagſt
du nun? Wie konnteſt du aber auch ſo, — na, ich habe
gar keine Worte dafür. Faſt möchte man glauben, du

beabſichtigſt einen ſchlechten Scherz mit der ganzen An-

gelegenheit.“ ö
„Höre du,“ fuhr der Angeredete auf, „nimm deine
Worte in Acht, — aus Scherz kann leicht ein bittrer Ernſt
werden, zumal bei geeigneter Stimmung: und die meine iſt
gerade nicht roſig. Du weißt, ich liebe das Mädchen —.
Uebrigens iſt Geſchehenes nicht zu ändern, ich habe ſogar
die Abſicht, gleich in den nächſten Tagen die Sache zu einer
Entſcheidung zu bringen und um ihre Hand zu bitten.“
„Um im nächſten Augenblick an die Luft geſetzt zu wer-
den,“ vollendete Olberg den Erguß ſeines Freundes. „Nein,
mein Beſter, mit ſolcher Taktik kommſt du nicht weit, das
mußt du bei einigermaßen ruhiger Ueberlegung einſehen;

und nach allem, was ich vorgeſtern Abend vom Juſtizrath
gehört habe, liegen die Verhältniſſe ſo verzwickt, daß vor-
läufig keine Ausſicht auf Erfolg deiner Werbung vorhanden
iſt, es geſchehe denn ein Wunder.“ ö ö

„Ein Wunder, Olberg?“

„Nach Lage der Dinge — ja!“ erwiderte dieſer. „Haſt

du denn nie von dem Familienzwiſt zwiſchen euch und den
Carſtens gehört?“
 
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