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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 1 - Nr. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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kidelberger Familien

lätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeilung.

Ar. 9.

Samstag, den

30. Januar 1886.

Der Bauerndobkar.

Novelle von Helene Naumburg.

Schluß.)

Bald nachdem ich zum fünftenmal bei ihnen geweſen
war, erhielt ich die Nachricht von dem plötzlich erfolgten
Tode des Grafen. Ich athmete erleichtert auf; jedes Hinder-
niß ſchien mir nun beſeitigt, das die beiden zu einander
gehörenden Menſchen trennen durfte. Der junge Graf war
nahezu volljährig, die eben erwachſene Schweſter ſchon jetzt
das Ziel mannigfaltiger Wünſche. Hatte ihre Mutter und
Dietrich auch die Blüthezeit und den Hochſommer des Lebens
verloren, ſo konnte ihnen mit gutem Gewiſſen noch ein
ſanfter beglückender Herbſt zuſammen vergönnt ſein.
Anfänglich wunderte ich mich nicht, daß Dietrich in
ſeinen Briefen nichts von Zukunftsplänen erwähnte. Ich
meinte, der Ablauf des Trauerjahres, das mit der Mün-
digkeitserklärung des jungen Grafen ungefähr zuſammenfiel,
werde als ſchicklicher Zeitpunkt abgewartet.
ö Allmälig wurde aber in ſeinen Briefen der Mißmuth
unverkennbar, ſo daß ich eine Frage nach ſeinen Ausſichten
nicht zurückhielt. ö ö
Seine Antwort überraſchte mich völlig. Es habe ſich
für ihn nichts gebeſſert, ſchrieb er, im Gegentheil wäre er
um eine Hoffnung ärmer, da er erſt jetzt einſehe, daß das
Haupthinderniß in Elſa ſelbſt und nicht in ihrer Ehe ge-
legen habe. Denn kaum ſei ſie durch den Tod des Grafen
thatſächlich frei geworden, ſo hätte ſich ihr Verhalten gegen
ihn völlig geändert. An Stelle des ſrüheren, rückhaltloſen
Vertrauens wäre eine immer zunehmende Zurückhaltung ge-
treten, die ihn ſelbſt ihr gegenüber befangen mache. Er
fühle nur zu deutlich, daß bei ihr der Wunſch nach einer
Vereinigung nicht mehr vorhanden ſei; das Intereſſe für
ihre Kinder habe die Liebe zu ihm völlig verdrängt; die
unumſchränkte Herrſchaft, die ſie ſeit der Erkrankung des
Grafen geführt, laſſe ihr wohl eine neue Ehe als ein un-
bequemes Joch erſcheinen. So lange ihr Mann gelebt,
hätte ſie ſich vielleicht ſelbſt den allmäligen Umſchwung
ihrer Gefühle nicht klar gemacht. Jetzt erſt ſehe er ein,
daß ſein Leben ein verfehltes geweſen; bis dahin habe ihm
kein Opfer, das er ihr gebracht, zu ſchwer gedünkt, nun
erſt, da er ſich endlich am Ziel ſeiner Wünſche geglaubt,
begreife er, daß er um den Lohn ſeines Lebens getäuſcht
ſei. „Und ich begreife auch, weßhalb es ſo kommen mußte,“
fuhr er fort. „Das, was ich in ihr als Seelengröße,
als eine beinahe übermenſchliche Selbſtverleugnung ange-
ſtaunt habe, war Herzenskälte. Du glaubſt nicht, alter
Freund, wie qualvoll es jetzt für mich iſt, ihr im täglichen
Leben kaum ausweichen zu können, und wie erfinderiſch ich
werde, Fahrten über Land und auswärtige Konſultationen
zu möglichſt langen Trennungen auszudehnen. Ich hoffe
jedesmal, wenn ich zurückkehre, daß wir beide den früheren
Ton wiederfinden, oder ich mich allmälig beruhigt in den
gegenwärtigen Zuſtand ſchicken lerne als gerechte Strafe
habe. daß ich lebenslang einem Schattenbild nachgejagt
abe.“ — ö ö ö ö

niſſes beizutragen.
der Mündigkeitserklärung des jungen Grafen, trat ich dies-

Dietrichs Brief ſchmerzte mich um ſeinetwillen, wie für.
die Frau, der ich ſeit meinem Krankenlager in G. meine
vollſte Theilnahme geſchenkt hatte. Die Erklärungen, welche
er für die Aenderung in ihrem Verhalten angab, klangen
an ſich nicht ganz unwahrſcheinlich, und daß er ſich einen
ſolchen Wechſel nur einbilden ſollte, war kaum anzunehmen.
Trotzdem mochte ich die Gräfin nicht ohne Weiteres ver-
dammen; denn Menſchen, welche ihr lebenlang Selbſtüber-
windung üben und unter ſchweren äußeren und inneren
Kämpfen Ruhe und Gleichmuth bewahren, finden ſelten
eine gerechte Beurtheilung. Statt es ihnen als Verdienſt
anzurechnen, begnügt man ſich meiſt damit, es für ruhiges
Temperament oder gar Gleichgültigkeit zu halten.
Vielleicht trug die Gräfin wirklich kein Verlangen mehr,
das Schloß mit dem beſcheidenen Doktorhauſe zu vertauſchen
— bielleicht aber that ihr Dietrich wieder ebenſo Unrecht,
wie damals, da er meinte, ſie habe ſich aus Wankelmuth
oder weltlichen Rückſichten mit dem Grafen Rauhenſtein
verlobt. Der Gedanke, daß die beiden trefflichen Menſchen
einander quälten, und ohne Grund, verließ mich nicht, und
ich wünſchte dringend, zur Aufklärung dieſes Mißverſtänd-
Früher als ſonſt im Jahre, ſchon zu

mal die Reiſe in die ſteiriſchen Berge an.
Ich traf im Schloß ſchon alles in voller Thätigkeit,
um die Vorbereitungen für das Feſt zu machen, das die
angeſehenen Familien der Nachbarſchaft vereinigen ſollte,
während die Gutsleute auch ihrerſeits einen Feierſchmaus
erhielten. Dietrich hatte vollauf zu thun; der bisherige
Vormund des jungen Grafen, ein bejahrter etwas kränk-
licher Herr, hatte ihn mit ſeiner Vertretung bis zum Tage
ſelbſt betraut. Seine Geſchäftigkeit hatte etwas beinahe
Krankhaftes. Auf meine Vorſtellung, ob es nöthig ſei,
daß er ſelbſt beſtändig unterwegs wäre, bald in die kleinen
Städte der Umgegend, bald zu den Gutsnachbarn fahre,
erwiderte er ziemlich gereizt, daß ich ihm dieſe einzige Er-
leichterung nicht nehmen dürfe, denn trotz meiner früheren
ſchriftlichen Beruhigungen habe ich ihm doch felbſt zugeben
müſſen, daß ich die Gräfin verändert gefunden hätte.
Ja, verändert war ſie allerdings; wenn ich auch ſchwer
zu ſagen vermochte, worin das lag. Mir ſchien, als kleide
ſie ſich matronenhafter, und als müſſe ſie ſich zu der Ruhe
zwingen, die ſie ihm gegenüber an den Tag legte. Sie
beobachtete ihn dabei beſtändig; es war indeſſen nicht mehr
die ruhige Sicherheit ihm gegenüber, die ihr ſonſt eigen
geweſen war. So leicht, wie ich mir gewünſcht und ge-
dacht, den beiden zu einem gegenſeitigen Verſtändniß zu
verhelfen, fand ich die Sache nicht.
Am Vorabend des Feſttages, als die mit der Aus-
ſchmückung des Schloſſes beſchäftigten Leute die Arbeit be-
endet hatten, ſchlenderte ich durch den Park nach jenem
Altan, auf dem Dietrich die Gräfin nach ihrer Verhei-
rathung zum erſtenmale wiedergeſehen hatte. Ich war in
Gedanken verſunken des Weges gegangen und bemerkte die
Gräfin erſt, als ich ganz in ihre Nähe gekommen war.
Sie ſaß müde oder traurig da, und ich wollte umkehren,
um ſie nicht zu ſtören, als ſie mich bemerkte, mich er-
 
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