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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 79- Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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hridelberger Fanilirubläkter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 81.

Samstag, den 9. October

1886.

Die Grafen von Hartenegg.

Roman von Hermine Waldemar.
Gortſetzung.)
Gerührt blickte der brave Förſter auf ſein Töchterchen,
das ſich ſchmeichelnd an ſeine breite Bruſt lehnte.
„Wenn ſich Dir aber die Gelegenheit böte, Dora, meine
Sorgen zu zerſtreuen, mir ſie tragen zu helfen, würdeſt
Du zögern, mein Verlangen zu erfüllen?“
„Was meinſt Du, Vater ?“ frug Dora ängſtlich.
„Mein Kind, laß mich zum Ziele kommen. Schalter
hat um Dich angehalten und hofft, daß Du ſein Weib
wirſt.“ ö
„Nie, nie!“ ſtieß das junge Mädchen hervor und ſtreckte
die Hände abwehrend gegen ihren Vater.
„Dora, beſinne Dich,“ warnte der alte Förſter ernſt.
„Friedrich Schalter iſt ein tüchtiger Waldhüter, dem es an
Fortkommen nicht fehlt; er liebt Dich, verſpricht Dich ſtets
hoch zu halten. Was haſt Du gegen ihn?“
„Alles, Vater, alles!“ rief Dora erregt. „O, wie
kannſt Du verlangen, daß ich ihm, dem rohen, ungebildeten
Manne, den ich verabſcheue, angehören ſoll! Wie magſt
Du mein Glück an ſeiner Seite ſuchen? Vater, ich be-
ſchwöre Dich, hier auf den Knieen flehe ich Dich an, mache
mich nicht todtunglücklich. Ich kann ihn nicht heirathen,
lieber — lieber bettle ich mir das Brod auf den Straßen
zuſammen.“
Strobel ſah ſchmerzlich in das zuckende Antlitz ſeiner
Tochter.
„Beruhige Dich,“ ſagte er nach einer kleinen Pauſe.
„Ich will Dich nicht zwingen, weiß oder verſtehe nicht,
was Du gegen den ſchmucken Mann haſt, aber das bedenke,
mein Kind, daß Dein Vater, dem ein gegebenes Wort bis-
her heilig gegolten, deſſen Ehre ſtets rein und unbefleckt
war, daß Dein Vater durch Deine Weigerung in ſeinen
alten Tagen noch wortbrüchig und dadurch ehrlos wird.“
„O Vater, nicht ſo, nicht ſo,“ bat das gequälte Mäd-
chen. „Gibt es denn keinen. Ausweg, o großer Gott?
Muß ich mich opfern?“ ö
Sie ließ ſich auf ihren Stuhl nieder und barg da-
bleiche Geſicht in beiden Händen. Es herrſchte tiefes
Schweigen. Die Sonne ſchien hell und warm durch die
geöffneten Fenſter, die Vöglein ſangen munter ihr Lied,
drinnen aber erlag faſt ein junges Mädchenherz dem Opfer,
das ihm auferlegt wurde.
Dora raffte ſich endlich auf und ſagte matt: „Vater,
erzähle mir alles, wie es kam, laß mich alles wiſſen.“
Das ſollſt Du, mein Kind,“ erwiderte Strobel, welcher
nicht wagte, der Tochter in das verſtörte Geſicht zu blicken.
„Ich werde kurz ſein. Es iſt Dir wohl kaum in der
Erinnerung geblieben, daß Deine liebe Mutter einſtmals
allein durch den Wald ging zu einer Zeit, da die Wild-
ſchweine hier überhand genommen hatten. Sonſt wohl
wagte ſie ſich nicht hinaus, wenn ſie wußte, daß ich nicht
in der Nähe war, aber die gnädige Gräfin unten im Schloſſe
hatte befohlen, da gab es alſo keine andere Wahl.
„Mühſam ihre ungeheure Angſt niederkämpfend machte

ſie ſich auf den Weg. Sie mochte noch kaum die Hälfte
deſſelben zurückgelegt haben, da hörte ſie plötzlich in ihrer
unmittelbaren Nähe ein Schnauben und Stampfen, dem
das Knacken dürrer Zweige folgte und ehe ſie einen klaren
Gedanken faſſen konnte, ſtand ſie nur wenige Schritte von
einem mächtigen Eber entfernt. Todesangſt erfaßte ſie
und ließ ſie einen herzzerreißenden Hilferuf ausſtoßen.
Da, in demſelben Augenblick, als der Eber den Kopf zum
Angriff ſenkte, ertönte ein Schuß, dann ein zweiter, und
das wilde Thür ſtürzte zuſammen, ohne noch ein Lebens-
zeichen von ſich zu geben. Deine Mutter war unverſehrt
geblieben, wenn auch der Schreck und die Angſt ſie einige
Tage krank machten. Ahnſt Du nicht, wer der Retter war,
Dora? Begreifſt Du nicht, daß ohne ſeine Hilfe mein
armes Weib, Deine Mutter, gräßlich zerfleiſcht ihren Athem
ausgehaucht hätte? — Nun, in jener Stunde bat ich ihn,
mir einen Wunſch zu nennen, den ich unbedingt erfüllen
wolle. Er wußte keinen, verſparte es ſich auf ſpäter.
Heute kam er, um mich daran zu mahnen. Er verlangt
Dich, Dein Leben für dasjenige Deiner Mutter, das er
gerettet.“
Mit geſenktem Kopfe, das Geſicht in der aufgeſtützten
Hand verborgen, lauſchte Dora athemlos den Worten ihres

Vaters. Sie konnte keinen Ausweg entdecken, wohin ſie

auch ihre Gedanken lenkte. Soviel war ihr nur klar: ſie
mußte verſuchen, das Opfer zu bringen, das man von ihr
verlangte. Wie ſollte ſie noch glücklich werden, wenn ſie
dem Vater die Achtung ſeiner Mitmenſchen durch ihre eigne
Liebloſigkeit verſcherzte? Nur kurz dauerte der Kampf, den
das arme Mädchen auszufechten hatte und doch zeigte ihr
Geſicht davon deutliche Spuren. Mühſam erhob ſie ſich
und trat langſam, faſt ſchleppend auf den Förſter zu.
„Ich will Deinen Wunſch erfüllen, Vater,“ ſprach ſie
mit niedergeſchlagenen Augen, ſo ſchwer es mir auch wird.
Aber gönne mir Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen.“
„Armes Kind! Auch das kann ich Dir nicht bewilli-
gen, Schalter verlangt, daß henute der Verſpruch ſtattfin-
den ſoll.“ ö
„O Gott,
hinaus.
Strobel wiſchte ſich die Augen, welche ihm feucht ge-
worden waren. Er liebte Dora zärtlich, trotzdem ver-
ſchmähte er ihr Opfer nicht. „Sie wird glücklich werden,“
mit dieſen Worten beſchwichtigte er das Mahnen ſeines Ge-

heute noch!“ murmelte Dora und wankte

wiſſens, das gar zu laut ſich bemerkbar machte. — —

Nur wenige Stunden ſpäter, nachdem die Dämmerung
völlig hereingebrochen, trat Dora aus der Küche, in welcher
ſie wie ſonſt ihre häuslichen Obliegenheiten erledigt hatte‚
in das gemeinſchaftliche Wohnzimmer. Ein Athemzug der
Erleichterung hob ihre gepreßte Bruſt. „Gott ſei Dank,
er iſt noch nicht da!“ flüſterten die blutleeren Lippen. Sie
ſetzte ſich an ihr Nähtiſchchen, aber mit andern Empfin-
dungen, als am frühen Morgen. Sie war ſo müde, ſo
todtmüde, daß ſie die wehen Augen ſchloß. War es der
Kummer, war es wirkliche Müdigkeit? Sie ſchlummerte
ein, im Traum ihr Elend vergeſſend. Sie ſchlief gut,
denn ſie überhörte das Oeffnen der Thüre, auch die Schritte,
 
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