Hreidelberger Lanilienblätter.
Velletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ar. 12.
Mittwoch, den 10. Februar
1886.
Die Träulein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.)
„Du willſt immer etwas anderes, als ich will!“ rief
er auffahrend. Zwei kleine Hände faßten ihn bei den
Locken und zogen ihn, als er aufſtand, wieder nieder. Er
ſah ſie groß an, dieſe Händchen hatten ihn ſo feſt und ent-
ſchieden angefaßt, daß er unwillkürlich, jedoch mit Staunen
ihnen folgte.
„Gut, dann wollen wir Fiſche fangen und hineinſetzen.“
„Jeſu, die armen, kleinen Thiere, kaum ſind ſie darin,
ſo läufſt du fort, das Waſſer ſickert ein und die Fiſchchen
ſterben.“ ö
„Es gibt ſo viele in der Oſtſee, pah! was thut es,
ob ein paar mehr oder weniger leben!“
Marlitta ſah ihn vorwurfsvoll an.
„Schäme dich, Karl!“
Er drückte ärgerlich ſeine nackten Füße in den Sand.
Die Kleine fuhr fort: „Es gibt auch viele Menſchen auf
der Erde, wenn nun ein Haifiſch aus dem Waſſer käme,
oder ein Wal, wie ſie oben im Norden ſchwimmen, und
deinen Vater verſchlänge und deine Mutter und deine
kleinen Geſchwiſter und Marlene und mich — und —
dich — — —!“ ö
Ueber das Geſicht des Knaben glitt ein ſichtliches Er-
ſtaunen, er ſah die Sprecherin an, ſeine Augen wurden
größer, ſie drückten ſteigende Angſt aus, als ob das, was
ſie eben ſagte, ſich wirklich bewahrheiten könnte, doch als
Marlitta ſagte „und mich“ — da umfaßte er ſie ſo kräftig,
daß ſie zuſammenſchrack.
„Nein, dich ſoll der böſe Hai oder Wal nicht ver-
ſchlingen, nein, Marlitta, das ſoll er nicht — dann —
dann könnte er mich nur gleich mitnehmen.“
Das Mädchen lächelte ſanft.
„Nun, nun, er kommt ja noch nicht,“ dann fuhr ſie
weiſe fort: „Aber man ſoll keine Thiere quälen, die Mutter
und der Vater ſagen es täglich, die Strafe bleibt nicht
aus, denn jedes Thier fühlt den Schmerz wie wir, und
es hat ein Mütterchen oder kleine Thierchen, die ſich küm-
mern, wenn es nicht wieder kommt.“
„Auch eine Freundin?“ warf Karl ein. Sie war
augenblicklich in Verlegenheit, was ſie ſagen ſollte, ob
Thiere auch Freundinnen beſaßen, darüber hatte ſie noch
niemals nachgedacht, doch ſie dachte daran, daß ſo viele
Voögel, ſo unzählige Fiſchchen zuſammen ſpielten, das konnten
doch unmöglich Geſchwiſter, mußten alſo Freunde ſein, ſie
ſagte daher: „Auch die werden ſie haben.“
Der Fiſchersſohn nickte, er war ganz ſtill geworden,
er dachte darüber nach, wie ſehr er ſich grämen würde,
wenn ein ſolches Seeungeheuer Marlitta verſchlänge. End-
lich ſagte er: „Ich weinte mich todt, wenn du nicht wie-
der kämſt..“s
„Nun, und wenn Marlene ausbliebe — doch auch 2“
Marlittas uneigennütziges Kinderherz wollte wie von allem,
was ſie beſaß und erhielt, auch von den Thränen des
Freundes einen Theil für die Schweſter in Anſpruch
nehmen. Karl entgegnete: „Ja auch, aber wenn du nicht
wiederkämſt, da weinte ich mich ganz todt.“
Sie dachte eben: „Warum er ſich dann wohl ganz
todt weinen wollte,“ als er aufſprang und eilig ein Stück-
chen weiter lief, wo ſeine blaue, wollene Jacke lag, welche
er vorher beim Beginn des Spieles ausgezogen hatte. Er
durchſuchte die Taſche, dann kam er wieder zurück und hielt
etwas in der Hand.
„Nimm!“ ſagte er kurz. Es war eine Pfeife aus
Weidenrinde geſchnitzt. „Sie iſt ſchöner, als die Marlenens,
ſie hat zwei Löcher mehr, hörſt du, man kann darauf or-
dentlich ein Liedchen ſpielen.“ Er ſetzte ſie an den Mund,
ſchloß und öffnete mit dem Finger die Schalllöcher und
wirklich erklangen jetzt Töne, die einer Melodie nicht un-
ähnlich waren. ö
„O, das iſt ſchön!“ lohnte ihn Marlitta.
„Aber zeige ſie Marlenen nicht, ſie wird ſonſt böſe,
daß ihre Pfeife nicht ſo ſchön iſt, wie dieſe,“ bat der kleine
Künſtler. ö
„Schnitze doch auch eine für ſie.“
„Sie muß nicht immer das Beſte haben.“
„Karl, Marlitta, Karl, wo ſteckt ihr 2“ hörte man jetzt
aus dem Garten über die Straße herüber rufen.
„Hi — er! Hie — er!“ antwortete Marlitta.
„Laß doch!“ meinte Karl. „Es war ſo hübſch, nun
kommt Marlene, wir hätten uns noch ſo ſchön erzählen
können.““ ö
„Wer wird ſo unfreundlich ſein!“ rügte das Kind.
„Da ſeid ihr!“ kam Marlene noch kauenden Mundes
angeſprungen.
„Schmeckte der Kuchen ſchön!“
Sie ſchob eben das letzte Stück in die übervollen Backen.
„Ach, die hübſche Pfeife! Zeige einmal her! „Didel-
dum, Dideldum“ kann man darauf machen. Schenke ſie
mir, ich gebe dir dieſe. Warum haſt du mir heute morgen
nicht auch ſo eine hübſche Pfeife geſchnitzt, Karl? Nun
bin ich böſe!“
Sie wollte gehen und die ſchönere Pfeife in den Sand
werfen, doch ſie beſann ſich, blieb und ſteckte ſie ein.
Marlitta ſchwieg, doch machte ſie ein betrübtes Geſicht, das
mochte die Schweſter nicht leiden, ſie umarmte ſie. ö
„„Sei gut, du bekommſt mein Pfeifchen.“
Sie war es zufrieden.
„Und nun wollen wir ſpielen. Ach, der hübſche See
mit den Sandmauern, da müſſen Fiſchchen hinein, ich habe
ſchon eins, nein zwei — ſo fange doch mit, Karl, was,
du willſt nicht? Doch, du ſollſt fangen! Marlitta, dein
Taſchentuch, wir machen ein Netz daraus, in meinem habe
ich noch Kuchen.“
Marlitta gab das Tuch, Karl betheiligte ſich nur zu
gern am Fiſchfang, die Ermahnungen ſeiner Freundin waren
vergeſſen, der ganze, kleine See wimmelte bald davon.
„Da kommt der Vater!“ rief Marlene, fort war ſie,
Karl folgte, die Thierchen lagen auf dem Trockenen.
Marlitta blieb allein zurück, einzeln faßte ſie jeden der
kleinen Waſſerbewohner und ſetzte ſie in ſein Element.
Velletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ar. 12.
Mittwoch, den 10. Februar
1886.
Die Träulein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.)
„Du willſt immer etwas anderes, als ich will!“ rief
er auffahrend. Zwei kleine Hände faßten ihn bei den
Locken und zogen ihn, als er aufſtand, wieder nieder. Er
ſah ſie groß an, dieſe Händchen hatten ihn ſo feſt und ent-
ſchieden angefaßt, daß er unwillkürlich, jedoch mit Staunen
ihnen folgte.
„Gut, dann wollen wir Fiſche fangen und hineinſetzen.“
„Jeſu, die armen, kleinen Thiere, kaum ſind ſie darin,
ſo läufſt du fort, das Waſſer ſickert ein und die Fiſchchen
ſterben.“ ö
„Es gibt ſo viele in der Oſtſee, pah! was thut es,
ob ein paar mehr oder weniger leben!“
Marlitta ſah ihn vorwurfsvoll an.
„Schäme dich, Karl!“
Er drückte ärgerlich ſeine nackten Füße in den Sand.
Die Kleine fuhr fort: „Es gibt auch viele Menſchen auf
der Erde, wenn nun ein Haifiſch aus dem Waſſer käme,
oder ein Wal, wie ſie oben im Norden ſchwimmen, und
deinen Vater verſchlänge und deine Mutter und deine
kleinen Geſchwiſter und Marlene und mich — und —
dich — — —!“ ö
Ueber das Geſicht des Knaben glitt ein ſichtliches Er-
ſtaunen, er ſah die Sprecherin an, ſeine Augen wurden
größer, ſie drückten ſteigende Angſt aus, als ob das, was
ſie eben ſagte, ſich wirklich bewahrheiten könnte, doch als
Marlitta ſagte „und mich“ — da umfaßte er ſie ſo kräftig,
daß ſie zuſammenſchrack.
„Nein, dich ſoll der böſe Hai oder Wal nicht ver-
ſchlingen, nein, Marlitta, das ſoll er nicht — dann —
dann könnte er mich nur gleich mitnehmen.“
Das Mädchen lächelte ſanft.
„Nun, nun, er kommt ja noch nicht,“ dann fuhr ſie
weiſe fort: „Aber man ſoll keine Thiere quälen, die Mutter
und der Vater ſagen es täglich, die Strafe bleibt nicht
aus, denn jedes Thier fühlt den Schmerz wie wir, und
es hat ein Mütterchen oder kleine Thierchen, die ſich küm-
mern, wenn es nicht wieder kommt.“
„Auch eine Freundin?“ warf Karl ein. Sie war
augenblicklich in Verlegenheit, was ſie ſagen ſollte, ob
Thiere auch Freundinnen beſaßen, darüber hatte ſie noch
niemals nachgedacht, doch ſie dachte daran, daß ſo viele
Voögel, ſo unzählige Fiſchchen zuſammen ſpielten, das konnten
doch unmöglich Geſchwiſter, mußten alſo Freunde ſein, ſie
ſagte daher: „Auch die werden ſie haben.“
Der Fiſchersſohn nickte, er war ganz ſtill geworden,
er dachte darüber nach, wie ſehr er ſich grämen würde,
wenn ein ſolches Seeungeheuer Marlitta verſchlänge. End-
lich ſagte er: „Ich weinte mich todt, wenn du nicht wie-
der kämſt..“s
„Nun, und wenn Marlene ausbliebe — doch auch 2“
Marlittas uneigennütziges Kinderherz wollte wie von allem,
was ſie beſaß und erhielt, auch von den Thränen des
Freundes einen Theil für die Schweſter in Anſpruch
nehmen. Karl entgegnete: „Ja auch, aber wenn du nicht
wiederkämſt, da weinte ich mich ganz todt.“
Sie dachte eben: „Warum er ſich dann wohl ganz
todt weinen wollte,“ als er aufſprang und eilig ein Stück-
chen weiter lief, wo ſeine blaue, wollene Jacke lag, welche
er vorher beim Beginn des Spieles ausgezogen hatte. Er
durchſuchte die Taſche, dann kam er wieder zurück und hielt
etwas in der Hand.
„Nimm!“ ſagte er kurz. Es war eine Pfeife aus
Weidenrinde geſchnitzt. „Sie iſt ſchöner, als die Marlenens,
ſie hat zwei Löcher mehr, hörſt du, man kann darauf or-
dentlich ein Liedchen ſpielen.“ Er ſetzte ſie an den Mund,
ſchloß und öffnete mit dem Finger die Schalllöcher und
wirklich erklangen jetzt Töne, die einer Melodie nicht un-
ähnlich waren. ö
„O, das iſt ſchön!“ lohnte ihn Marlitta.
„Aber zeige ſie Marlenen nicht, ſie wird ſonſt böſe,
daß ihre Pfeife nicht ſo ſchön iſt, wie dieſe,“ bat der kleine
Künſtler. ö
„Schnitze doch auch eine für ſie.“
„Sie muß nicht immer das Beſte haben.“
„Karl, Marlitta, Karl, wo ſteckt ihr 2“ hörte man jetzt
aus dem Garten über die Straße herüber rufen.
„Hi — er! Hie — er!“ antwortete Marlitta.
„Laß doch!“ meinte Karl. „Es war ſo hübſch, nun
kommt Marlene, wir hätten uns noch ſo ſchön erzählen
können.““ ö
„Wer wird ſo unfreundlich ſein!“ rügte das Kind.
„Da ſeid ihr!“ kam Marlene noch kauenden Mundes
angeſprungen.
„Schmeckte der Kuchen ſchön!“
Sie ſchob eben das letzte Stück in die übervollen Backen.
„Ach, die hübſche Pfeife! Zeige einmal her! „Didel-
dum, Dideldum“ kann man darauf machen. Schenke ſie
mir, ich gebe dir dieſe. Warum haſt du mir heute morgen
nicht auch ſo eine hübſche Pfeife geſchnitzt, Karl? Nun
bin ich böſe!“
Sie wollte gehen und die ſchönere Pfeife in den Sand
werfen, doch ſie beſann ſich, blieb und ſteckte ſie ein.
Marlitta ſchwieg, doch machte ſie ein betrübtes Geſicht, das
mochte die Schweſter nicht leiden, ſie umarmte ſie. ö
„„Sei gut, du bekommſt mein Pfeifchen.“
Sie war es zufrieden.
„Und nun wollen wir ſpielen. Ach, der hübſche See
mit den Sandmauern, da müſſen Fiſchchen hinein, ich habe
ſchon eins, nein zwei — ſo fange doch mit, Karl, was,
du willſt nicht? Doch, du ſollſt fangen! Marlitta, dein
Taſchentuch, wir machen ein Netz daraus, in meinem habe
ich noch Kuchen.“
Marlitta gab das Tuch, Karl betheiligte ſich nur zu
gern am Fiſchfang, die Ermahnungen ſeiner Freundin waren
vergeſſen, der ganze, kleine See wimmelte bald davon.
„Da kommt der Vater!“ rief Marlene, fort war ſie,
Karl folgte, die Thierchen lagen auf dem Trockenen.
Marlitta blieb allein zurück, einzeln faßte ſie jeden der
kleinen Waſſerbewohner und ſetzte ſie in ſein Element.