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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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heidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 101.

Samstag, den 18. December

1886.

Ein Opferlamm.
Novellette von A. W. Gellrich.
(Fortſetzung.)

„Das habe ich allerdings in meiner damaligen Selig-

keit recht nberflüſſiger Weiſe von mir gegeben,“ dachte Fedor
ſtill bei ſich in Erinnerung an die vielen Zweifelſtunden,

die er ſich durch dieſe Unklugheit ſelbſt bereitet hatte, ſagte

aber nichts.
„Ich habe mich deßhalb damals auf die Andeutung
beſchränken müſſen, Sie möchten in dieſer leidigen Hinſicht
doch ja keine großen Erwartungen hegen.“ Ihr Zuhörer
wurde ein wenig blaß, ſo ſehr er ſich bemühte, gleichgültig
zu erſcheinen.
„Dabei iſt es bisher geblieben, und das war unrecht
von mir, wenn wir auch von Ihnen wiſſen, daß Sie, lieber
Sohn, Beſitzer eines hübſchen Gutes ſind.“
„Deſſen Inſaſſen ihre künftige Herrin immer noch nicht
kennen,“ ſchaltete Fedor ein, um doch etwas zu ſagen.
„Es iſt eben gar zu weit dahin, ſonſt würden wir
Ihrer freundlichen Einladung gewiß ſchon gefolgt ſein.
Nun wird es ja doch bald einmal geſchehen,“ erwiderte
freundlich die alte Dame und fuhr fort: ö
„Hoffentlich wird es Sie, lieber Sohn, jetzt nicht zu
ſchmerzlich enttäuſchen, wenn ich Ihnen wiederholen muß,
daß Franziskas Mitgift in der That Ihren Verhältniſſen
kaum angemeſſen iſt. Ich werde ſelbſtverſtändlich Ihre
Hochzeit ausrichten; auch ſoll ſich Franziska ihrer Aus-
ſtattung nicht ſchämen dürfen; darüber hinaus, lieber Sohn,
kann ich meiner Tochter jedoch nur noch einige tauſend
Thaler mitgeben, die für Sie bei meinem Anwalt bereit
liegen. Franziska hat allerdings gegründete Ausſicht, ihren
Onkel, meinen Bruder, zu beerben. Das kann ich freilich
nur beiläufig erwähnen; denn wer kann über Zukünftiges
beſtimmen?
„Genügt Ihnen das nun auch wirklich, mein lieber
Sohn 2“ ö ö
Die alte Dame that einen tiefen Athemzug der Erleich-
terung. Ihrer delikaten Geſinnung war dieſe doch ſo noth-
wendige Erörterung nicht weniger, wie Ihrem Zuhörer ſchon
lange wie ein Alp geweſen, der auf ihr laſtete. Sie warf
auf Fedor einen langen, forſchenden Blick.
Dieſer hatte ſchon lange ſteif und unbeweglich geſeſſen
und mit geſpannter Aufmerkſamkeit die Eröffnungen der
alten Dame verfolgt.
Da war es alſo da, was ihn ſo lange beunruhigt
hatte, und es war ſo, wie er in den ſchlimmſten Momenten
gefürchtet! All die ſchönen Phantaſiebilder von einer gänz-

lich ſorgloſen, leichtbeſchwingten Zukunft, von einem Leben

voll Luſt und Abwechſelung in den Kreiſen der guten Ge-
ſellſchaft, in denen er mit ſeiner jungen reizenden Frau
der Mittelpunkt ſein würde — alle verſanken ſie vor ſeinem
inneren Auge und ein graues Schreckgeſpenſt von ernſt-
haften Pflichten, von Einſchränkungen und Sorgen ſtieg
vor ihm auf. ö ö

Er hätte am liebſten wild auffahren mögen — aber
er fühlte, daß er ſich vor allen Dingen keine Blöße geben
durfte, daß er ruhig und unbefangen erſcheinen müßte.
Die alte Dame da vor ihm durfte um keinen Preis ahnen,
was in ihm vorging.
So nahm er ſich denn zuſammen, preßte die Hand, in
der er ein leichtes, nervöſes Zucken verſpürte, feſter auf die
Stuhllehne und bemühte ſich, im unbefangenſten Tone zu
ſagen: „Aber liebe Mama, Sie wiſſen ja, daß Fränzchen
. . . ich habe ja ſelbſt geſagt .. . .. Sie werden

doch um Gotteswillen nicht meinen .....

Er berwirrte ſich und wußte ſelbſt nicht mehr recht,
was er ſagen wollte.
Da war es ihm eine reine Erlöſung, daß die Thür
aufging und Fränzchen hereinſtürmte, die ſich ſofort mit
einem Freudenrufe ihm an den Hals warf. Er umarmte
ſie mit einer nervöſen Zärtlichkeit, froh, daß mit ihrem
Erſcheinen das peinliche Geſpräch abbrechen mußte. Man

ſprach, man erzählte, und Fedor war lauter und luſtiger,

denn je, um ſich nur ja nichts merken zu laſſen. Nur die
Geheimräthin warf hin und wieder heimlich einen prüfen-
den Blick auf ihn und ging gedankenvoll ab und zu. Sie
bemühte ſich, zu ergründen, welchen Eindruck ihre Mit-
theilungen bei Ihrem Schwiegerſohn hinterlaſſen hätten.
Dieſer benahm ſich jedoch zu gewandt, um ſie eine klare
Vorſtellung gewinnen zu laſſen.
Fedor gelang es endlich, ſich frei zu machen; er ſtürzte
nach Hauſe, den Kopf voller Gedanken.
Dort warf er ſich unruhig auf das Sopha und ver-
ſuchte zu überlegen; eine Art Grimm über die Geheim-
räthin erfaßte ihn, und doch mußte er ſich ſagen, er könne
ihr keinen Vorwurf machen. ö
Hatte er es ſich doch ſelbſt zuzuſchreiben, daß er in
dieſe Lage gerathen war. Warum mußte er auch damals
den Anſtandshelden ſpielen! Sie hatte recht! Er hatte
allerdings vor ſeiner Verlobung gern und oft von ſeinem
großen Gut geſprochen. Nicht gerade mit beſonderer Ab-
ſichtlichkeit, aber doch auch, um keine empfehlende Eigen-
ſchaft, die er etwa hätte, vor Fränzchen oder vielmehr ihrer
Mutter unverwerthet zu laſſen, ſondern ſie möglichſt vor-
theilhaft ins Treffen zu führen. Damals war er der un-
bedingten Liebe und Hingebung Fränzchens eben noch nicht
ſo gewiß wie heut! Dieſes Gut! — Er hatte es ja aller-
dings, das war wahr; aber wie viel Unangenehmes von
Verſchuldungen, Laſten und Pflichten verbanden ſich auch

für ihn mit der Vorſtellung dieſes Beſitzes! Er war über

ſeine Verhältniſſe niemals ſo genau im Klaren geweſen,
ſuchte er ſich doch dergleichen ſtets ſo viel wie möglich ab-
zuſchütteln. Nur ſo viel wußte er, daß ihm am letzten
Ende von dem ziemlich ausgedehnten Beſitz, den er ver-
walten ließ und der wenig genug brachte — wenn er ſeine
Schulden und Verpflichtungen dagegen ſtellte — wohl nicht
viel zu eigen gehören möchte.
Wenn er bisher ja einmal ſeine Gedanken ſeinen Ver-
hältniſſen zukehrte, ſo hatte ihm immer, wenn die Rechnung
anfing ſich zu verwirren, die ordnende Hand eines zukünf-
tigen Schwiegervaters vorgeſchwebt, der da ſchon eingreifen
 
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