ridelberger Fanilienblätter.
GBeletrilihe Beilage zu Heidelberger Beitung.
Ur. 93.
Samstag, den 20. November
1886.
Die Grafen von Hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
(Fortſetzung.)
Der junge Arzt erhob ſich, um zu gehen. „Ich erwarte
alſo von Ihnen Beſcheid, Herr Harding, ob jene Perſon
noch in Ihren Dienſten weilt.“
„Sie beſtehen darauf, nach Amerika zu gehen, trotz-
dem — 2“
„Jetzt erſt recht, Herr Harding, ich muß aus dem Munde
jener Frau ſelbſt mein Schickſal erfahren. Sollten Sie
recht behalten, dann — — ich kann nicht auf Jeſſy ver-
zichten,“ brach er verzweiflungsvoll hervor und ſtürzte zur
Thüre hinaus. ö ö
„Armer, junger Freund,“ murmelte Harding gedanken-
voll, „wie kann ich ihm den Halt wiedergeben, den er, wie
es ſcheint, verloren hat?“ Sinnend wanderte er auf und
nieder, bis er endlich ſtehen blieb und ſagte: „Ja, ſo wird's
gehen, das iſt die einzige Löſung.“ Er klingelte und be-
fahl dem eintretenden Diener, ſeiner Tochter zu ſagen, daß
er einen nöthigen Ausgang zu machen habe.
Eine halbe Stunde ſpäter trat er bei Frau von Mer-
ving in den Salon, welche ihn, etwas verwundert über die
frühe Beſuchsſtunde, herzlich empfing.
obachtete er die kleine Unordnung, welche in dem ſchönen
Raume herrſchte, alle Nippſachen waren weggeräumt, die
ſeidenen Möbel mit weißen Bezügen überhängt. Frau von
Merving folgte ſeinen Blicken und lächelte. „Sie ſehen,
mein Freund, daß wir fort wollen, vielleicht auf lange Zeit.
Erſchrecken Sie nicht, es iſt beſſer ſo für meine und meines
Kindes Ruhe.“ ‚
„Sie wollen verreiſen, fort auf lange Zeit? Das
wirft alle meine Pläue um. Doch hören Sie erſt, vielleicht
ſind Sie dann umzuſtimmen.“ Und nun erzählte er ihr
die ganze Unterredung mit Ranke, deſſen Verzweiflung und
deſſen Pläne. 2**
„Beſteht der junge Doktor darauf, mit mir hinüber zu
gehen, ſo bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm den
Willen zu thun. Ich möchte ihm aber vorher einigermaßen
Ruhe verſchaffen, deßhalb, Pauline, mache ich Ihnen den
Vorſchlag, noch jetzt den Bund zu ſchließen, den mein Vater
damals ſo grauſam zerriß.“
Frau von Merving ſchwieg und barg ihr Geſicht hinter
der aufgeſtützten Hand.
„Sie ſchweigen, Pauline? Haben Sie keine Antwort
für mich ?ꝰ? ö ö
„Sie ſehen mich ſehr überraſcht, Graf Wilhelm; was
ſoll ich Ihnen darauf antworten? Ich habe mit dem Le-
ben vollſtändig abgeſchloſſen, lebe nur in und für mein
Kind, meine Fanny, welche das erſte Leid zu tragen hat.
Ich begehre nichts anderes. Zürnen Sie mir nicht, wenn
ich Sie bitte: Laſſen Sie alles, wie es iſt, was nützt uns
ietzt, am Abend unſeres Lebens, eine Vereinigung? Nein,
mein Freund, wir reiſen ab; nur um Nachricht möchte ich
Sie bitten, wenn ſich alles aufgeklärt hat. Ich ſagte Ihnen
ne ulich ſchon, daß ich noch gelinde Zweifel habe, ob Sie
Mit Stauen be-
auf der richtigen Fährte ſind. Mein Herz ſagt mir an-
ders,“ fügte Frau von Merving leiſe hinzu. ö
„Um Gott, Pauline, ſo ſagen Sie mir, was Sie da-
von halten, was meinten Sie mit Ihren letzten Worten 2“
„Nicht ſo ungeſtüm, werther Graf, laſſen Sie das mein
Geheimniß ſein, es iſt ja nur eine Vermuthung.“
„Nun, wie Sie wollen, Pauline. Ich muß nun Jeſſy
mitnehmen, da ich ſie nicht mehr bei Ihnen laſſen kann.
Oder glauben Sie, daß Fanny mein Kind gern als Ge-
fährtin neben ſich hat, dann kann ja Jeſſy mit Ihnen
reiſen und ich hole ſie dann ſpäter bei Ihnen ab.“
„Ja, ſo iſt's recht, meiner Fanny wird der Umgang
mit dem jungen, friſchen Mädchen gut thun.“
ö VXV. —
Der Förſter Strobel kehrte im Laufe der nächſten Tage
nach ſeinem hochgelegenen Häuschen zurück. Angenehme
Gedanken ſchienen ihn zu beſchäftigen, denn mit offenbarem
Vergnügen und innerem Behagen ſtrich er ſich den langen,
eisgrauen Schnurrbart, während er langſam dem ſchönen,
ſchattigen Wege folgte, munter umſprang ihn ſein Hund,
der brave Hektor. Strobel machte einen Umweg, er wollte
holzfällende Arbeiter controlliren, dabei mußte er durch eine
tiefe Schlucht, „die Hölle“ genannt, welche an beiden Sei-
ten von dichtbemooſten Felſen eingerahmt war. Sonſt war
ihm die dort herrſchende, feuchte Kühle ſtets angenehm,
heute berührte ſie ihn empfindlich — es lief ihm eiskalt
über den Rücken. Raſcher ſchritt er vorwärts und lockte
ſeinen Hund freundlich zu ſich, doch dieſer hörte nicht, ſon-
dern ſtand am Anfang der Schlucht und knurrte. Einen
Moment blieb Strobel ſtehen, dann rief er den Hund:
„Hektor, komm, es iſt nichts,“ und ging raſch weiter. Es
drängte ihn, aus der ihn beengenden Schlucht herauszu-
kommen. Er mochte zwanzig Schritt weitergegangen ſein,
da ſtieß der Hund ein wüthendes Gebell aus — zu gleicher
Zeit ertönte ein Schuß und Strobel ſtürzte, die Hand auf
das Herz gepreßt, leblos zuſammen. — Tiefe Stille herrſchte,
— dann erſcholl ein wüſtes, höhniſches Gelächter, dem ein
Geräuſch wie das Knacken von Zweigen, durch das ſchleu-
nige Durchbrechen eines Menſchen hervorgerufen, folgte —
dann war wieder athemloſe Stille. Hektor, welcher dem
Uebelthäter eine kleine Strecke nachgelaufen war, kehrte zu-
rück und beſchnupperte und beleckte ſeinen Herrn; da dieſer
aber kein Lebenszeichen von ſich gab, ſtieß er ein jammer-
volles Geheul aus und ſchoß in der Richtung nach dem
Förſterhaus pfeilgeſchwind davon. — ö
Dora befand ſich im Garten, um ihre Blumen zu be-
ſorgen, als der Hund in geſtrecktem Galopp eintraf; er
ſtellte ſich vor ſie hin und verſuchte ihre Aufmerkſamkeit zu
erlangen.
„Was haſt Du, Hektor?“ ſagte Dora endlich, „haſt
Du den Vater verloren? Armes Thier, das ſetzt Schläge
ab, weißt Du 2“ ö
Der Hund wedelte mit dem Schweife, machte einige
Sprünge nach dem Walde und kehrte wieder zu ihr zurück.
Das junge Mädchen brachte ihm eine Schüſſel Waſſer, da-
mit er ſeine heiße, lang heraushängende Zunge kühlen könne,
GBeletrilihe Beilage zu Heidelberger Beitung.
Ur. 93.
Samstag, den 20. November
1886.
Die Grafen von Hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
(Fortſetzung.)
Der junge Arzt erhob ſich, um zu gehen. „Ich erwarte
alſo von Ihnen Beſcheid, Herr Harding, ob jene Perſon
noch in Ihren Dienſten weilt.“
„Sie beſtehen darauf, nach Amerika zu gehen, trotz-
dem — 2“
„Jetzt erſt recht, Herr Harding, ich muß aus dem Munde
jener Frau ſelbſt mein Schickſal erfahren. Sollten Sie
recht behalten, dann — — ich kann nicht auf Jeſſy ver-
zichten,“ brach er verzweiflungsvoll hervor und ſtürzte zur
Thüre hinaus. ö ö
„Armer, junger Freund,“ murmelte Harding gedanken-
voll, „wie kann ich ihm den Halt wiedergeben, den er, wie
es ſcheint, verloren hat?“ Sinnend wanderte er auf und
nieder, bis er endlich ſtehen blieb und ſagte: „Ja, ſo wird's
gehen, das iſt die einzige Löſung.“ Er klingelte und be-
fahl dem eintretenden Diener, ſeiner Tochter zu ſagen, daß
er einen nöthigen Ausgang zu machen habe.
Eine halbe Stunde ſpäter trat er bei Frau von Mer-
ving in den Salon, welche ihn, etwas verwundert über die
frühe Beſuchsſtunde, herzlich empfing.
obachtete er die kleine Unordnung, welche in dem ſchönen
Raume herrſchte, alle Nippſachen waren weggeräumt, die
ſeidenen Möbel mit weißen Bezügen überhängt. Frau von
Merving folgte ſeinen Blicken und lächelte. „Sie ſehen,
mein Freund, daß wir fort wollen, vielleicht auf lange Zeit.
Erſchrecken Sie nicht, es iſt beſſer ſo für meine und meines
Kindes Ruhe.“ ‚
„Sie wollen verreiſen, fort auf lange Zeit? Das
wirft alle meine Pläue um. Doch hören Sie erſt, vielleicht
ſind Sie dann umzuſtimmen.“ Und nun erzählte er ihr
die ganze Unterredung mit Ranke, deſſen Verzweiflung und
deſſen Pläne. 2**
„Beſteht der junge Doktor darauf, mit mir hinüber zu
gehen, ſo bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm den
Willen zu thun. Ich möchte ihm aber vorher einigermaßen
Ruhe verſchaffen, deßhalb, Pauline, mache ich Ihnen den
Vorſchlag, noch jetzt den Bund zu ſchließen, den mein Vater
damals ſo grauſam zerriß.“
Frau von Merving ſchwieg und barg ihr Geſicht hinter
der aufgeſtützten Hand.
„Sie ſchweigen, Pauline? Haben Sie keine Antwort
für mich ?ꝰ? ö ö
„Sie ſehen mich ſehr überraſcht, Graf Wilhelm; was
ſoll ich Ihnen darauf antworten? Ich habe mit dem Le-
ben vollſtändig abgeſchloſſen, lebe nur in und für mein
Kind, meine Fanny, welche das erſte Leid zu tragen hat.
Ich begehre nichts anderes. Zürnen Sie mir nicht, wenn
ich Sie bitte: Laſſen Sie alles, wie es iſt, was nützt uns
ietzt, am Abend unſeres Lebens, eine Vereinigung? Nein,
mein Freund, wir reiſen ab; nur um Nachricht möchte ich
Sie bitten, wenn ſich alles aufgeklärt hat. Ich ſagte Ihnen
ne ulich ſchon, daß ich noch gelinde Zweifel habe, ob Sie
Mit Stauen be-
auf der richtigen Fährte ſind. Mein Herz ſagt mir an-
ders,“ fügte Frau von Merving leiſe hinzu. ö
„Um Gott, Pauline, ſo ſagen Sie mir, was Sie da-
von halten, was meinten Sie mit Ihren letzten Worten 2“
„Nicht ſo ungeſtüm, werther Graf, laſſen Sie das mein
Geheimniß ſein, es iſt ja nur eine Vermuthung.“
„Nun, wie Sie wollen, Pauline. Ich muß nun Jeſſy
mitnehmen, da ich ſie nicht mehr bei Ihnen laſſen kann.
Oder glauben Sie, daß Fanny mein Kind gern als Ge-
fährtin neben ſich hat, dann kann ja Jeſſy mit Ihnen
reiſen und ich hole ſie dann ſpäter bei Ihnen ab.“
„Ja, ſo iſt's recht, meiner Fanny wird der Umgang
mit dem jungen, friſchen Mädchen gut thun.“
ö VXV. —
Der Förſter Strobel kehrte im Laufe der nächſten Tage
nach ſeinem hochgelegenen Häuschen zurück. Angenehme
Gedanken ſchienen ihn zu beſchäftigen, denn mit offenbarem
Vergnügen und innerem Behagen ſtrich er ſich den langen,
eisgrauen Schnurrbart, während er langſam dem ſchönen,
ſchattigen Wege folgte, munter umſprang ihn ſein Hund,
der brave Hektor. Strobel machte einen Umweg, er wollte
holzfällende Arbeiter controlliren, dabei mußte er durch eine
tiefe Schlucht, „die Hölle“ genannt, welche an beiden Sei-
ten von dichtbemooſten Felſen eingerahmt war. Sonſt war
ihm die dort herrſchende, feuchte Kühle ſtets angenehm,
heute berührte ſie ihn empfindlich — es lief ihm eiskalt
über den Rücken. Raſcher ſchritt er vorwärts und lockte
ſeinen Hund freundlich zu ſich, doch dieſer hörte nicht, ſon-
dern ſtand am Anfang der Schlucht und knurrte. Einen
Moment blieb Strobel ſtehen, dann rief er den Hund:
„Hektor, komm, es iſt nichts,“ und ging raſch weiter. Es
drängte ihn, aus der ihn beengenden Schlucht herauszu-
kommen. Er mochte zwanzig Schritt weitergegangen ſein,
da ſtieß der Hund ein wüthendes Gebell aus — zu gleicher
Zeit ertönte ein Schuß und Strobel ſtürzte, die Hand auf
das Herz gepreßt, leblos zuſammen. — Tiefe Stille herrſchte,
— dann erſcholl ein wüſtes, höhniſches Gelächter, dem ein
Geräuſch wie das Knacken von Zweigen, durch das ſchleu-
nige Durchbrechen eines Menſchen hervorgerufen, folgte —
dann war wieder athemloſe Stille. Hektor, welcher dem
Uebelthäter eine kleine Strecke nachgelaufen war, kehrte zu-
rück und beſchnupperte und beleckte ſeinen Herrn; da dieſer
aber kein Lebenszeichen von ſich gab, ſtieß er ein jammer-
volles Geheul aus und ſchoß in der Richtung nach dem
Förſterhaus pfeilgeſchwind davon. — ö
Dora befand ſich im Garten, um ihre Blumen zu be-
ſorgen, als der Hund in geſtrecktem Galopp eintraf; er
ſtellte ſich vor ſie hin und verſuchte ihre Aufmerkſamkeit zu
erlangen.
„Was haſt Du, Hektor?“ ſagte Dora endlich, „haſt
Du den Vater verloren? Armes Thier, das ſetzt Schläge
ab, weißt Du 2“ ö
Der Hund wedelte mit dem Schweife, machte einige
Sprünge nach dem Walde und kehrte wieder zu ihr zurück.
Das junge Mädchen brachte ihm eine Schüſſel Waſſer, da-
mit er ſeine heiße, lang heraushängende Zunge kühlen könne,