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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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gewachſen.

lätter.

Belletriſliche Beilage zur Heidelberger Zeikung.

Ar. 99.

Samstag, den 11. December

1886.

Sub wſa.

Novellette von Zos von Reuß.
(Schluß.)

Er nickte ihr freundlich zu und ging. An der quälen-
den Seelenſtimmung, in der Dora die letzten Stunden ver-
bracht hatte, vermochte die flüchtige, zufällige Aufforderung
das Gemälde in Augenſchein zu nehmen, nicht viel zu än-
dern. Sie fühlte ſich um den beſten Theil ihres Glückes

betrogen, von neuem erfaßte ſie die Eiferſucht auf Fräulein

von Bertrab. Dora wußte genau, wie ſehr Eberhards
mittheilſame, offene, noch etwas ſchwankende Natur nach

Ergänzung verlangte, und es war ihr darum von Anfang

an unbegreiflich geweſen, wie er plötzlich kein Wörtchen für
ſie gehabt hatte, über das, was ihn ſo lebhaft beſchäftigte.
Jetzt beſaß ſie den Schlüſſel, und mit ihm gewann die
quälendſte, unergründlichſte aller Leidenſchaften, die Eifer-
ſucht, Gewalt über ihr Herz. Kleine Umſtände, Worte,
Andeutungen, deren ſie ſich aus der jüngſten Vergangenheit

erinnerte, erhielten jetzt andere weittragende Bedeutung,

alles wechſelte, alles drehte ſich in ihrem erregbaren Geiſte,
wie in einem Kaleidoskop, und bildete Figuren und Bilder
nach Bedarf.
„Mit der vielbeſprochenen italieniſchen iſt's nichts,
Dora,“ ſagte Eberhard zwei Tage ſpäter nicht ohne
Galgenhumor, indem er unerwartet in Doras Stube trat.
„Die Seifenblaſe iſt zerplatzt — daß Du's nur weißt!“
„Was meinſt Du?“
„Nun die Herren Kunſthändler pflegen gegen junge,
wenig bekannte Künſtler nicht freigebig zu ſein. Giovanini
machte mir heute ein Spottgebot. Aber vielleicht hat er
recht — ich glaube ſelbſt — es iſt nichts daran!“
„Du thuſt mir aufrichtig leid, Eberhard,“ ſagte Dora
von der Arbeit aufſtehend, um tröſtend an den Gatten
heranzutreten. „Ich bin überzeugt, man unterſchätzt das Bild.“
„Du, Kleine? Du haſt es ja noch nicht einmal an-
geſehen! Uebrigens eben fällt mir ein, daß ich verſprochen
habe, Tony Bertrab heute Abend zu beſuchen. Sie ſind
heute wieder nach der Stadt gekommen. Erwarte mich
alſo nicht.“ —1
„Er ging bald darauf und kam erſt nach Mitternacht
heim, aber er war zu Doras großer Freude wirklich ge-
tröſtet und verbrachte die nächſten Tage faſt ausſchließlich
im Atelier, Abends ſchien es ihm Bedürfniß zu ſein, mit
Fräulein von Bertrab ein Stündchen zu verplaudern, und
da er meiſt erfriſcht und angeregt nach Hauſe kam, ſo
überwand Dora glücklich ihr eiferſüchtiges Gefühl. Sie
wußte, wie er innerlich um das Bild litt, und gönnte ihm
die Ausſprache. Eine Aufforderung, das Gemälde in
Augenſchein zu nehmen, die ſie heimlich erhoffte, erhielt ſie
nicht wieder und am Ausſprechen einer Bitte hinderte ſie
die erlittene Kränkung. Umſomehr fand ſich der einfache
Comfort des Hauſes gepflegt und gehütet. Ueberall war
Ruhe und Sauberkeit, alles ſtand an rechter Stelle wie
Dennoch blieb Eberhard daheim von wechſeln-
den Stimmungen. Zuweilen war er ſeiner angeborenen

Natur nach unbekümmert heiter und hoffnungsvoll, dann
aber war er wieder reizbar und übellaunig.
„Das Haus, das er ſich erbaute, hat den Reiz für ihn
verloren!“ ſagte Dora und ſah bekümmert zu dem Huf-
eiſen auf, welches Eberhard in überſtrömendem Gefühl als

„Glücksſymbol am Tage nach der Hochzeit ſelbſt über die

innere Pforte ſeines Hauſes befeſtigt hatte. Darunter hatte
er geſchrieben: „Mein Neſt — iſt das beſt!“ . . Da-
mals ſchienen alle Wünſche, alles Streben ihr Ziel gefun-
den zu haben. Und jetzt —2 Doras Herz ſtockte, in

ihrem Kopfe wirbelten die Gedanken bunt durcheinander.

Endlich nach mehrtägigem Ringen ward es leichter in ihr,
ein Entſchluß war gefaßt. Auch trieb ſie die Energie
ihres Charakters zu ſchleunigem Handeln. „Eine Ab-

wechſelung, gründlich veränderte Verhältniſſe ſind ihm

dringend nothwendig. Ich fürchte, ein Mißerfolg des Bil-
des würde ihn jetzt vernichten und doch wie leicht kann er
kommen. Er muß reiſen — die Reiſe wird ihm hoffent-
lich Heilung bringen. Und zwar bald! Wozu habe ich
mein Sparkaſſenbuch? Der Nothpfennig, den ich mir von
der Ausſteuer abſparte, könnte er beſſer angewandt werden?
Eine Reiſe nach Italien koſtet kein Königreich!“
Nun wurden alle Einzelheiten ihres Planes gründlich
in Erwägung gezogen. Sie beſaß eine liebe Verwandte,
eine Schweſter ihrer verſtorbenen Mutter, in einer benach-
barten Provinzialſtadt. An dieſe wollte ſie ſchreiben und
ſich für den Winter, aus Anlaß der Abweſenheit ihres
Gatten als Beſuch anmelden. Dann wollte ſie ſtille alle
Vorbereitungen treffen, und den Gatten erſt durch einen
zurückgelaſſenen Brief benachrichtigen. Der Brief ſollte ihm
die Freiheit geben auf unbeſtimmte Zeit. Wenn er im
Frühjahr zurückkehrte, würde er ihre Arme offen finden,
wenn nicht — ſie mochte nicht weiter denken. Immerhin
lag in der durch die Reiſe veranlaßten Trennung Eber-
hards von Tony ein Troſt und ſelbſt eine gewiſſe Bürg-
ſchaft, daß der Gatte dereinſt ganz zu ihr zurückkehren
werde, falls er, wie ſie hoffte, das Gleichgewicht ſeiner
Seele wiedergefunden haben würde.
„Eberhard empfand allerdings die Schwüle, welche jetzt
über ſeiner Häuslichkeit lagerte, mit ſteigendem Mißmuth,
aber er ſchien ſehr zerſtreut und machte ſeiner bequemen
Natur nach keinen ernſtlichen Verſuch, ſie zu bannen. Als
ſeine ſprungweiſe hervorbrechende Heiterkeit bei Dora kein
Echo fand, zog er ſich verdrießlich in ſich ſelbſt zurück und
überließ die weitere Entwickelung allein der Zukunft.
Es war ein erſter ſonngoldiger Herbſttag. Das Grüne
der Bäume und Sträucher erhielt den erſten ſanften Bronze-
ton, der ſie aus der umgebenden Sommerfülle charakteriſtiſch
heraushob, auch die Blumen wurden in einzelnen Exem-
plaren immer vollkommener, feuriger, freilich auch duftloſer.
Nur die wohlgepflegten Edelroſen dufteten und blühten noch
ohne Ende. ö ö
Dora ſaß auf der Veranda und ſchrieb den Abſchieds-
brief. Der Ton klang ruhig und entſchloſſen, aber hinter
den kühlen Worten ſah man deutlich die Liebe, die ihn
diktirte, wie eine warme leuchtende Flamme hinter gefrornen
Fenſterſcheiben. Ihren für den Winter in Ausſicht genom-
 
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