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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 27. Febraur)
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kidelberger Fanilieublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

Är. 17.

Samstag, den 27. Februar

1886.



Die räulein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
Fortſetzung.)

Ob Karl mit ihr tanzen wollte, fragte ſie nicht, ſie
hielt es für ſelbſtverſtändlich, mit einem Satze ſprang ſie
aus der Kutſche, wie ein Reh flog ſie die Treppe hinauf,
ſchweigend, bedächtiger folgten die andern.
„Das war nicht hübſch von dir, Marlitta,“ flüſterte
Karl ihr zu.
„Aber ſie — —“
„Dir liegt nichts daran, mit mir den Kotillon zu tanzen.“
„Doch, doch — aber wenn ſie weint —
Sie ſtanden ſchon im Saal, das Geſpräch verſtummte,
der Tanz begann, ſelig, wonnig flogen die jugendlichen
Paare dahin, gefolgt von den Augen der ebenſo ſeligen
Mütter. Nun kam das ſchönſte, das aller⸗, allerſchönſte —
der Kotillon. Jeder Herr führte ſeine Dame zu ihrem
Platz, Karl Janſens hatte ſich mit dem Tauſche ausgeſöhnt,
er befand ſich in einem Freudenrauſche, der ihn ſo benom-
men, daß er mit jeder getanzt hätte — wenn er nur tanzen
konnte. Nun ſaß er mit der glücklich ſtraͤhlenden Marlene
da und erwartete ungeduldig den Anfang des Kotillons.
Mit dem Walzer begann man, wie auf ſanften Wellen
wurden die Füße dahingetragen. Alle, alle tanzten, nur
Marlitta nicht, für ſie war kein Herr mehr übrig. Nie-

mand hatte es im Anfang bemerkt, ſtill und beſcheiden

ſaß ſie in einer Ecke, aber nach und nach ruhte manch
ſchadenfroher Blick auf ihr. Ihr Herzchen ſchlug ſo matt,
ſo traurig. — Die zweite Tour hatte ſchon angefangen,
da unterbrach Karl plötzlich die lebhafte Unterhaltung mit
Marlene, ſein Auge ſuchte ſeine andere Pflegeſchweſter.
Jetzt ſprang er auf, ergriff einen Strauß und eilte zu ihr.
„Siehſt du, nun tanzeſt du nicht, es war ſchlecht und

eigennützig von Marlene, es anzunehmen, du hätteſt es ihr

aber auch nicht anbieten müſſen.“
Marlitta lächelte trübe.
„Aber ſie weinte — “ antwortete ſie ſanft.
„Und jetzt weinſt du!⸗ rief er, innerlich über Marlene
empört.
„Nein, nein,“ wehrte ſie ab.
„Ich weine nicht, ich weine wirklich nicht.“
Die großen, dunklen Aurikelaugen ſchwammen in feuch-
tem Glanze. War's Glück, war's Wehmuth?
Nun gab er ihr den Strauß, nun legte er ſeinen kräf-
tigen, muskulöſen Arm um ihren ſchlanken Wuchs, nun
ſchwebten ſie dahin, jetzt, jetzt war ſie glücklich. Karl
Janſens führte ſie zurück, bald tanzte er mit Marlene,
bald mit Marlitta. Beiden war es nicht recht, die erſtere
meinte, es falle unangenehm auf und es ſchicke ſich doch
nicht, mit zwei Damen auf einmal einen Tanz zu tanzen,
und letztere wollte der Schweſter den Herrn nicht ſo oft
entziehen. Karl Janſens war auf beide böſe, mit einem
Mißklang endete der ſchöne, ſchöne Tanzſtundenball, auf
den ſih alle drei o ſehr gefreut.

lange und innig, doch nur an Marlitta ganz allein.

Die Zeit verging, die Roſen wuchſen, das Geißblatt
ſtrebte höher, ſeine Ranken verſchlangen ſich zu einem
Ganzen mit den blumenreichen Armen der Nachbarſtauden.
Die Schulzeit war nun bald beendet, Karl Janſens bei-
nahe der Hand des geſtrengen Magiſters entwachſen, die
Schweſtern ſchon eingeſegnet. Da zog die Trauer in das
Häuschen an der See. Herr von Paalen ſegnete das
Zeitliche.
„Du biſt nun der Schutz der Meinen, Karl,“ ſagte er
zu dem weinenden Jüngling an ſeinem Lager. „Wenn
du mündig biſt, führſt du mein Geſchäft, in meinem letzten
Willen findeſt du, was ich darüber beſtimmte.“
Karl Janſens verſprach genau den Beſtimmungen ſeines
Pflegevaters nachzukommen. Zwei Reiſen ſollte er, nach-
dem er die Seemannsſchule in Hamburg durchgemacht hatte,
mit den Schiffen des Herrn von Paalen unternehmen, um
auch das Geſchäft drüben im andern Welttheile kennen zu
lernen, dann ſollte er ſich hier einarbeiten, um dereinſt

wohl vorbereitet als Haupt der Firma von Paalen auf-

zutreten. Still war's geworden in dem ſonſt ſo frohen

Hauſe, mit bangem Herzen ſah man die Stunde nahen, in

der Karl Janſens es nun bald verlaſſen würde. — Nun
war ſie da, gepackt ſtand ſein Koffer ſchon oben in dem
Giebelſtübchen, was er bis jetzt bewohnte. Noch einmal
wanderten die drei Genoſſen einer froh verlebten Jugend
hinaus zum Strande, von da zur rothen Heide, zum
Sonnenſchein, zu den Schmetterlingen. Hand in Hand
ſchritten ſie dahin, der Jüngling in der Mitte, die Schweſtern
ihm zur Seite. Marlene ſprach erregt, ſie ſchmiedete Pläne
vom frohen Wiederſehen — die Hummeln ſummten, die
Bienen zogen hin und her und trugen ſüße Beute. — Sie
wollte täglich ſchreiben. Karl ſollte täglich Antwort ſen-
den, Marlitta ſchwieg, nur ab und zu entſtieg ein Seufzer
ihrer Bruſt. Karl nickte ſtumm, bald drückte er der einen,
bald der andern die Hand, Marlene preßte ſie heftig an
das Herz, Marlitta erwiderte ſanft den leiſen Druck, doch
ſchlug ſie beinahe beſchämt die Augen nieder, wenn ſie der
Blick des lieben Pflegebruders traf. Vorbei war Sonnen-
ſchein und Heideduft, der letzte Schmetterling verflogen, und
fort Karl Janſens.
Marlene weinte krampfhaft und Marlitta ſprach ihr
freundlich Muth zu, gobgleich ihr's ſelbſt ums Herz ſo weh
war, ach ſo weh. Im Anfang ſchrieb Marlene faſt täglich
einen Brief, lang, ſehnſuchtsvoll, die Antwort kam gemein-
ſchaftlich an beide Schweſtern. Nur ſelten ſchrieb Mar-
litta,‚, doch wollte es Karl Janſens ſtets bedünken, wenn
ein Schreiben ihrer Handſchrift eintraf, als erhielte er eine
koſtbare Morgengabe, der ganze Tag ſchien ihm verklärt,
werthvoller als die andern; dann ſetzte er ſich hin, ſchrieb
Mar-
lene ſchmollte wohl ein wenig darüber, doch bald hatte ſie's
vergeſſen. — Auch Frau von Paalens Lebenstage neigten
ſich zu Ende, der Tod des Gat. legte den Keim zu ihrem
Heimgang in ihre treue Br.“ — Wieder ſtanden die drei
Geſchwiſter um ein Sterbelager, wieder legte jetzt auch die
Mutter das Geſchick ihrer Kinder in Karl Janſens' Hand.
Noch ein Jahr mußte ar in Hamburg bleiben, dann trat
 
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