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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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ſoll es enden? Auch Marlene liebt ihn ja, j

Heidelberger Fanilirnbläkter.

„Beletrisiſhe Beilage zur Heidelberger Seikung.

Ir. 18.

Mittwoch, den 3. März

1886.

Dit fräulein von Vaalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
(Schluß.)

„Still, ſtill, Marlitta, ſchweig, du ahnſt nicht⸗ was
mich bewegt.“

Marlitta zitterte leiſa. ö ö

„Du weißt nicht, was mein Herz empfindet, kehrt er

nicht wieder, ſterbe ich, denn — “ ſie beugte ſich bart an's
Ohr der Schweſter —
„Denn — ich liebe ihn.“
Durch Marlittas Glieder rieſelt kalter Schauer.
„Du armes, liebes Kind!“ mehr ſagt ſie nicht,
eine Welt von ſchweſterlicher Liebe liegt in dem ſchmerz-
erfüllten Blick der den Ausruf begleitet. Nun iſt's heraus,
Marlenens Herz klopft leichter, ſanft zieht ſie Marlitta zu
ſich auf den Sand und wie ein Vöglein, dem die Mutter
eben die erſten Melodien lehrte, zwitſchert ſie der theuren
Schweſter das alte und dennoch ewig junge Lied von erſter,
reiner treuer Liebe.
„Du weißt nicht was Liebe iſt, Marlitta, nein, nein,
du kannſt es ja nicht wiſſen..
Die Schweſter nickt nur ſtumm und ſchaut ſie mit ihren
großen, ſeelenvollen Augen an.
„Du ſtaunſt, Marlitta, ich ſehe es deinen Augen an,
wie wunderbar die großen, dunklen Pupillen blicken, ſieh
mich nicht ſo an, ich bitte dich, ich fürchte mich.“

Marlitta ſchaut über's Meer, der Welle, der Möwe

trägt ſie Grüße auf, dem Waſſer ſtreut ſie Blumen, es ſoll

ſie fort, weit fort, an den Rumpf des Schiffes ſpülen, das

ihr alles trägt. Ihr Alles? — Wild klopft ihr Herz, wie
ja — ja —
auch die theure Schweſter liebt ihn! — Jahr um Jahr,
Stunde um Stunde der Vergangenheit ziehen pfeilgeſchwind
an ihr vorüber. Wie war's geweſen das ganze Leben
lang? Ihr Wünſchen ſtand ſtets zurück hinter dem der
jüngeren Schweſter, immer gab ſie nach, freiwillig, unge-
zwungen. Und jetzt — jetzt?
„O, mein Gott, mein Gott, wie ſoll es enden ?“
Und ſo verging die Zeit, bei jedem Briefe jubelte Mar-

lenens Herz, Marlittas wurde ſtiller, und als nun gar die

Kunde kam, daß er in Monaten zum lieben Heimathſtrande
kehren würde, da ward ſie ſtill, ganz ſtill.
„Marlitta, ich begreife dich nicht,“ ſagt die Schweſter.
„Freuſt du dich denn gar nicht?“
„Doch, doch, ich freue mich, doch meine Freude iſt

ſtumm,“ antwortet ſie endlich, und leiſe murmeln die Lippen: 2
Nun

„Wenn du zurückkommſt, Karl, dann — dann —“
kehrt er bald und was iſt nun? Jetzt ſoll Marlitta, die
ſtets im Leben der Schweſter liebevoll den Vortritt ließ,
jetzt ſoll ſie ihr Glück zauf dem gebrochenen derben eben
dieſer Schweſter gründen.

„Wenn du zurückkommſt, Karl — dann — dann“

fächelt der Weſt, ſingt die Amſel im Buſch, irde Welle ſagt
es, jedes blinkende Segel winkt's, auch die rothe Heide
hars und der tändelnde Schmetterling! ö

Nein, nein, es kann nicht ſein — es darf nicht ſein —
wenn doch eine Welle käme, ſie fortnähme und dieſe Frage
löſte. Ein Brief aus dem Norden trifft ein — in weni-
gen Tagen iſt er hier, Marlene weint vor Wonne, Mar-
litta wird ſtumm und ſtummer, der einen ſchleicht die Zeit,
der andern fliegt ſie, die eine wünſcht ſich Schwingen, um
ihr entgegen zu eilen, die andere möchte ſie mit Bleigewichten
beſchweren, um ſie in langſamere Bahnen zu lenken, doch
beide ſchauen von dem Giebelfenſter aus nach Oſten. —

Manch Segel bläht ſich im Winde, manch Schiff fährt ein,

das eine, dem zwei Mädchenherzen bang entgegen harren,
noch immer nicht.
„Die See geht hoch,“ ſagt Lotſe Blockſen. ö
„Springt der Wind um, ſo kann's was geben.“
„Na — na — nur Ruhe!“ iſt die Antwort. Zwei
kleine Wolken ziehen im Nordoſten auf, unbedeutend ſehen
ſie aus, doch Lotſe Blockſen deutet auf ſie hin.
„Da hängt der Windſack!“
Marlitta und Marlene hören es, die Worte laſſen
Herzen erzittern.
„Glauben Sie an Sturm 2“ ö
„Doch nicht an Sturmfluth?“ fragen ſie vom Fenſter ö
erab.

„Hm — hm — vielleicht wie damals — wie damals!“
Der Alte geht, die Mädchen denken an die Mutter
Dörthe, die auch ſtets „wie damals“ ſagte. Marlene weint,
iſt erregt, Marlitta faltet ſtumm die Hände.
„Rette ihn, laß ihn in ſicherer Hut ſein,
Gott, ehe du deine Elemente wild entfeſſelſt.“
Ein heiliges Gelübde ſteigt in ihrem Buſen auf.
„Herr Gott, ich gelobe dir —“ ſie ſtockt, ſie ringt in
ſtummer Verzweiflung.
„Der Schweſter ſoll er gehören, der lieben, einzigen
Schweſter.“
Vor dem Bilde des Erlöſers in ihrem Stübchen ſinkt
ſie nieder, ohnmächtig findet ſie Marlene, ſie küßt ihr die
ſchlummernden Lebensgeiſter wach.
Im Städtchen ſucht man die Schotten in den Ställen
und auf den Böden, ſchiebt ſie vor Thüren und vor Fenſter,
füllt Dünger dahinter, zieht das Vieh zur Oberſtadt, der
Seiler ſpannt ſeine Seile ab, die Fiſcher räumen die Netze
von den Stangen, Leben, Treiben, Rufen, Schreien im

lieber Herr

Städtchen, gerade ſo wie damals — ganz wie damals,

auch der Nußbaum prangt wieder in voller Blüthenkrone.
Der Sturmwind pfeift, die Wogen tanzen, der Himmel
wandelt ſich in Nacht, hoch, immer höher ſteigt die Fluth,
die Elemente ſind zu grauſamem Tanz entfeſſelt, gerade ſo
— wie damals. Wieder ſtürzt Haus um Haus im Städt-
chen drüben, wieder verſinkt Leben, Wohlſtand in den
Fluthen. Der Nußbaum wird wieder zum kahlen Stumpf.
Marlene ringt die Hände, Marlitta betet.
„Es iſt nur gut, die Kähne ſind alle herein, 0 ſagt der
Lotſe wieder.
„Gnade dem Fahrzeug, was noch draußen iſt.“

„Unſer Schiff iſt draußen, heute läuft es ein. Karl

Janſens kommt damit zurück!“ ruft Marlene, ihr iſt's Er-

leichterung einem Fremden ihre Angſt zu offenbaren. Der
 
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