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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 1 - Nr. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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heidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 2.

Mittwoch, den 6. Januar

Der Bauer ndoktor.
Novelle von Helene Naumburg.
Fortſetzung.)

Er öffnete einen Fenſterladen und deutete mit der Hand
nach einem ſtattlichen Schloß, das ſich auf einem bewaldeten
Hügel jenſeits des Thales erhob. „Sie hatte von deinem

Un fall durch mich gehört und iſt anfangs häufig hier ge-

weſen, hat auch von fern her für deine Pflege geſorgt. —
— — Seit du wieder bei Bewußtſein biſt, hat ſie es
vermieden, zu kommen — denn daß ich es dir nur gleich
ſage — es weiß hier Niemand von unſeren früheren Be-
ziehungen. — Du ſiehſt mich erſtaunt an und findeſt das
bedenklich — urtheile nicht, ehe du mich gehört haſt.
„Ich war längſt darauf gefaßt, daß du mich fragen
würdeſt, wie ich hierhergekommen ſei und warum mein
Leben eine Wendung genommen hat, die du nach meinem
früheren Weſen nicht vermuthen konnteſt, da man aber von
ſeinem Leben ſelten aufrichtig reden kann, ohne eine In-
diskretion gegen andere zu begehen, ſo habe ich im voraus
Erlaubniß eingeholt, dir alles ſagen zu dürfen; denn es
war mir ſelbſt Bedürfniß, mich einmal rückhaltlos gegen
einen alten Freund ausſprechen zu können.
„Du weißt, daß ich der letzte Sproß eines verarmten
Adelsgeſchlechtes bin, aber in welcher Dürftigkeit ich auf-
gewachſen, kannſt du, der Sohn des reichen Kaufmanns-
hauſes, dir kaum vorſtellen. Hätte ich Offizier werden,
oder Theologie ſtudiren wollen, ſo wären mir allenfalls
Erleichterungen zu Theil geworden, aber mich trieb eine
unbezwingliche Neigung zum Studium der Medizin, und
mein Ehrgeiz ſteckte ſich das Ziel, Univerſitätslehrer zu
werden, obwohl ich zunächſt daran denken mußte, meiner
armen Mutter die mir gebrachten Opfer zu vergelten. Als
du mich kennen lernteſt, waren die ſchwerſten Zeiten ſchon
überwunden, und wiſſenſchaftliche Arbeiten ſetzten mich in
den Stand, einigermaßen für meine Mutter zu ſorgen.
Sie wohnte nur wenige Stunden von der Univerſität ent-
fernt in einer jener Stiftungen, die nach der Reformation
aus Klöſtern in Zufluchtsſtätten für Wittwen und alternde
Töchter des Adels umgeſchaffen ſind. Es war keines der
reich dotirten Stifter und ihre Stelle wenig einträglich,
aber es bot ihr ein anſtändiges Obdach und die Möglich-
keit, mich in den Ferien bei ſich zu ſehen.
„Mit welcher Freude machte ich ſchon als Schüler die
meilenweite Wanderung über die Berge, und nicht nur die
Erwartung, meine Mutter zu ſehen, auch der Gedanke, mit
der kleinen Elſa zuſammen zu ſein, die ich wie eine Schweſter
liebte, beflügelte meine Schritte.
„Sie wohnte meiner Mutter gegenüber in dem epheu-
berankten Konventshauſe, bei ihrer Tante, der Priorin des
Stifts. Erſt hatte es geheißen, Elſa und ihre Mutter
ſeien nur für kurze Zeit zum Beſuch gekommen, aber es
wurden Jahre daraus, und unter den alten Kloſterdamen
reifte das Kind zur Jungfrau heran und gemahnte mich
an den Sonnenſtrahl, der durch das ſchmale, gothiſche

Fenſter der Kloſterkapelle drang und auf dem Boden des
feierlich düſtern Raumes ſpielte. ‚
„Kaum minder als das liebliche Kind beſchäftigte da-
mals ihre Mutter, die Reichsgräfin von Eſchenburg, meine
Phantaſie, die ſonſt weder in der Einförmigkeit des
Alumnats noch in dem dürftigen Wittwenſtübchen meiner
Mutter Nahrung fand. Das Schickſal dieſer Frau bildete
einen beliebten Unterhaltungsgegenſtand im Kreiſe der
Stiftsdamen. Die Gräfin war, wie die meiſten derſelben,
ein armes, adeliges Fräulein geweſen, Waiſe obendrein;
doch ihre ungewöhnliche Schönheit und ihre vollendeten
Manieren verſchafften ihr ſehr früh eine Hofdamenſtelle an
einem kleinen Hofe. Man pries ihr Geſchick beneidens-
werth, als ſich nach kurzer Friſt der nicht mehr ganz junge
Reichsgraf von Eſchenburg um ihre Hand bewarb, einer
der ſchönſten und glänzendſten Kavaliere — der kühnſte
Reiter, der beſte Schütz — freilich auch der tollſte Spieler
weit und breit. Aber, meinte die Welt in ihrem in Bezug
auf Heirathen unerſchütterlichen Optimismus, die Heirath
mit dem ſchönen, ſittenreinen Mädchen würde wie ein
Zaubermittel alle unrühmlichen Flecken ſeines Charakters

austilgen und nur die unleugbar glänzenden Anlagen zu-

rücklaſſen. Sei auch der urſprüngliche Beſitz der Eſchen-
burgs ſehr zuſammengeſchmolzen, ſo laſſe ſich bei verſtän-
diger Wirthſchaft und wenn der Graf ein Hofamt annehme,
noch immer reichlich auskommen.
„Leider ging keine dieſer Hoffnungen in Erfüllung.
„Obwohl die Gräfin ihren Mann zärtlich liebte, ge-
wann ſie keinen Einfluß auf ihn; ſein unſtäter Sinn
wendete ſich von ihr ſo ſchnell ab, wie er aller anderen
Verhältniſſe bisher überdrüſſig geworden war. Der Hang
nach beſtändiger Aufregung war viel zu mächtig in ihm,
um ihn Genuß am Familienleben oder einer geordneten
Thätigkeit finden zu laſſen. Die Enttäuſchung, daß ihm
kein Sohn geboren wurde, bot den Vorwand, daß er ſich
ſeiner Frau entfremdete, und als ſeine Schulden gar zu
drückend wurden, einem jüngeren Bruder das Majorat
gegen eine feſte Jahresrente abtrat. War bis dahin der
tiefunglücklichen Frau noch immer das eigene Haus ge-
blieben, ſo ſah ſie ſich jetzt zu einem Wanderleben ver-
urtheilt, zu einem beſtändigen Wechſel zwiſchen den Spiel-
banken und Rennplätzen. Auch dies ertrug ſie, bis der
Konflikt zwiſchen den Pflichten gegen den Gatten und die
Tochter keinen Ausgleich mehr zuließ und ſie fürchten
mußte, das heranwachſende Mädchen könne allzufrüh über
den Lebenswandel des Grafen aufgeklärt werden. Denn
immer mehr überwogen die ſchlimmen Elemente in dem
Kreiſe, den er um ſich verſammelte.
„Die Gegenwart ſeiner Frau war dem Grafen längſt
nichts weiter als ein ſtillſchweigender läſtiger Vorwurf, nur
zu gern geſtattete er, daß ſie aus Sparſamkeitsrückſichten
und wegen der Erziehung der Tochter das Reiſeleben auf-
gab und vorläufig zu ihrer Schweſter, der Priorin von
Kloſter Neuburg zog, ein Proviſorium, das ſtillſchweigend

auf Jahre hinaus verlängert wurde.

Um Elſe dem Vater nicht ganz zu entfremden, trafen
die Eltern einander alljährlich in einem benachbarten Bade-
 
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