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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 79- Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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jridelberger. anilienbläkter.

Beilage zur Seidelberge Beitung.

ur. 87.

Samstag, den 30. October

1886.

Die Grafen von Haͤrtenegg.
Roman von Hermine Waldem ar.
(Fortſetzung.)

„Und iſt dies nicht geſchehen, Strobel?“ rief Graf

Hans, welcher athemlos gelauſcht hatte.
„Ich weiß es nicht, Herr Graf, Ihr Herr Vater be-
hielt mich wohl im Amte, aber ich war nur ein Diener,
nie würdigte er mich ſeines Vertrauens.“
„Und was iſt aus der Geliebten geworden?“ ö
„Ich hörte viel ſpäter, Ihr Herr Onkel habe einen
ſchweren Abſchied von ihr genommen, um ſo ſchwerer, als
das Verhältniß nicht ohne Folgen geblieben war, aber mit-
nehmen, wie er anfangs beabſichtigt hatte, konnte er ſie
nicht. Sie ſelbſt hat ſich raſch getröſtet,
Jahr nach Ihres Onkels Abreiſe vermählte ſie ſich mit
einem reichen älteren Baron; das Kind ſoll ſehr jung ge-
ſtorben ſein.“
„Wiſſen Sie nicht den Namen jenes Edelmannes, der
die Schande des Mädchens mit ſeinem Namen decken
mußte?“
„Nein, gnädiger Herr, ihre intrigante Mutter zog bald
nach der Geburt des Kindes von D. weg, wohinb wußte
mir Niemand zu ſagen. Wenn Ihr Onkel eine Ahnung
gehabt hätte, wie raſch ſich das Fräulein tröſtete, er würde
ſich doch wohl beſonnen haben, ehe er alles hinter ſich ließ.“
— „Und Sie glauben wirklich, daß es mein Onkel war,
den Sie heute geſehen?“
„Ich bin feſt davon überzeugt, hat er auch einen langen
grauen Bart und iſt ſein Haar gelichtet, — ſeine Züge,
ſeine ſanften Augen ſind dieſelben geblieben; es ſind auch
Ihre Augen, Herr Graf, Sie ſehen ihm überhaupt ſehr
ähnlich..
„So, ſo, nun der Onkel wird ſich mir wohl bald vor-
ſtellen, was mich ungemein freuen ſoll. Etwas Aehnlich-
keit mit dem ſeinen liegt auch in meinem Lebensſchickſal.
Habe ich nicht auch das Vaterhaus verlaſſen, weil mich
der Vater ſtets als Kind behandeln, mich am Gängelbande
führen wollte? Was wäre ans mir geworden, hätte ich
mich ungeachtet aller Bitten der Mutter nicht endlich los-
geriſſen? Aber ich will mir den ſchönen Mittag nicht ver-
derben durch ſchmerzliche Erinnerungen. Ich gehe zu meiner

ſüßen Dora, ſie ſoll mir dieſelben verſcheuchen durch ihr

reizendes Geplauder.“
Er ſtand auf und eilte dem Förſter voran in das Haus.

IX.

Die Fenſter der Wohnung, welche Frau von Merving
inne hatte, waren feſtlich erleuchtet.
ergoß ſich auch über die breiten,
welche mit Gewächſen aller Art noch beſonders geziert waren.
Die Dame des Hauſes war Wittwe zweiter Ehe, und
Fräulein Fanny ihr einziges Kind.
Jahre alt ſein und hatte eine elegante, imponirende Figur,
ihr Geſicht, das deutliche Spuren einſtiger großer Schönheit

denn kaum ein

Leben und Wirken eines Arztes gibt es ſo vielerlei,

Ein Meer von Licht
teppichbelegten Treppen,

Sie mochte fünfzig

verrieth, war jetzt ſchmal und bleich, während die dunklen,
klugen Augen noch feurig blitzen konnten. Das ſchneeweiße
Haar, das ſie ſchlicht geſcheitelt trug, erhöhte den Eindruck
des Ehrwürdigen, den Frau von Merving auf jeden her-
vorbrachte. Sie ſaß mit ihrer Tochter in einem kleinen
Salon, um die wenigen Gäſte, welche ſie geladen, zu em-
pfangen. Fräulein Fanny, die erſte Patientin Rankes,
hatte ſich allerdings, wie er richtig behauptete, prächtig ent-
wickelt; ihre Geſtalt war klein und zierlich, dabei von einer
großen Beweglichkeit. Ueberhaupt war alles an ihr nied-
lich, die Füßchen, die ſchmalen weißen Hände, nur die
dunkeln, mandelförmig geſchnittenen Augen waren groß‚,
zu groß faſt für das kleine Geſichtchen; dieſe merkwürdigen,
fragenden Augen kontraſtirten ſeltſam mit dem hellen Haar,
das ſich in anmuthigen Wellen und Löckchen um ihren
feinen Kopf ſchmiegten. Sie ſaß auf einem Taburett zu
ihrer Mutter Füßen und trommelte ungeduldig mit ihren
kleinen Fingern auf deren Schooß.
„Was Doktor Ranke heute lange bleibt, Mama, ſonſt
iſt er doch ſo pünktlich,“ brach Fanny endlich das Schwei-
gen, „und gerade heute, da wir die Fremden erwarten.
Weißt Du, es iſt recht ſchade, daß wir nicht zu Hauſe
waren, als ſie den Beſuch brachten, ich fürchte mich etwas
vor der Amerikanerin.“ ö
„Du thörichtes Kind,“ ſagte Frau von Merving,
„Ranke erzählte uns ja, wie ſchüchtern das Mädchen ſei,
komme Du ihr nur freundlich entgegen, ſo werdet ihr bald
recht bekannt werden.“ Leiſe ſtrich ſie über des Mädchens
Stirn. „Uebrigens wird unſer Freund Doktor Hardings

abholen, da er ſie doch einführt.“

Eine flüchtige Röthe flog über Fannys Geſicht. „Als
ob ſie den Weg nicht allein finden könnten! Ich hatte
gehofft, Ranke würde, wie gewöhnlich, früher erſcheinen,
damit wir noch ein Plauderſtündchen halten könnten.
Findeſt Du nicht auch, Mama, daß er in letzter Zeit merk-
Wele zerſtreut iſt?“ frug ſie wieder nach einer kleinen
eile
„Nein, Fanny, es iſt mir nicht aufgefallen, aber im
was
ſeine Gedanken in Anſpruch nimmt, daß es mich gar nicht
wunderte, wenn es wirklich ſo wäre.“
„An ſeine Patienten denkt er nicht,
Mama.“
„Wie willſt Du das wiſſen, mein Kind?“
„Ich habe ihn beobachtet, Mama, wenn er oft ſo ſtille
daſaß und anſcheinend Dir zuhörte, da leuchtete manchmal
ſein Geſicht in ſeliger Freude, um ſeinen Mund ſpielte ein
reizendes Lächeln und wenn er ſah, daß meine Augen auf
ihm ruhten, wurde er ſtets verlegen!“
Bekümmert ſchaut Frau von Merving ihr Kind an,
indem ſie deren Kopf ſanft zu ſich drehte.
„Fanny, ſei aufrichtig zu mir, was liegt Dir daran,
was der Doktor denkt, oder wenn er ein glückliches Geſicht
macht?“
„Sehr viel, Mama, ſehr viel, denn er ſoll uns ſeine
Gedanken nicht vorenthalten; ſind wir nicht ſeine älteſten
Freunde?“

da irrſt Du ſehr,
 
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