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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 44 - Nr. 52 (2. Juni - 30. Juni)
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Heidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 52.

Mittwoch, den 30. Juni

1886.

Iun Lindwurn.
Ro man von B. Renz.
(Schluß.)
Das Gewünſchte war zu haben und der alte Herr er-
ſtand zwei Ringe. Zu dem einen hatte er das Maß, ein
Streifchen Viſitenkarte, bei ſich, den andern Ring mußte der
Neffe an den Finger ſtecken, um die richtige Weite zu er-
mitteln. Dann nahm der Onkel beide Ringe an ſich,
zahlte, und die Herren verließen den Laden. Fliſſen brannte
vor Neugier, er hatte auf dem Streifchen Viſitenkarte den
Namen: „Sibylla“ geleſen; das war doch eine wunderbare
Geſchichte, und er fragte daher nochmals: „Onkel, was be-
deutet dies alles 2“ — ö
„Apropos, Neffe,“ ſcholl es zurück, „ich habe zu heut'
Abend eine Einladung für dich; willſt du mich abholen
aus dem Hirſch?“
„Ja Onkel, aber vorher möchte ich wiſſen, zu wem ich
eingeladen bin. Ich gehe nicht zu Jedermann. Ihr in
Amerika habt in dieſer Beziehung andere Grundſätze als
wir.“ Es klang ein bischen verdrießlich, was der junge
Mann da ſagte.
„Allerdings, das läßt ſich hören,“ erwiderte Herr von
Rheinau, indem er ein Lächeln unterdrückte. „Aber — Du
thuſt es vielleicht nicht ungern; kalkulire, du ſollſt mich nach
dem Gertraudenhofe begleiten — zum Abendbrod.“
Der junge Mann blieb bei dieſen Worten wie ſtarr,
faſt athemlos ſtehen. „Ich — auf den Gertraudenhof —
eingeladen? — Onkel, du machſt einen grauſamen Scherz
mit mir, das iſt ja abſolut unmöglich! Herr Carſtens
ſollte mich einlaͤden?“
„Kalkulire, daß es ganz richtig iſt, und daß du gut
thuſt, im Paradeanzug zu erſcheinen, wie bei beſonders feſt-
lichen Gelegenheiten. Und hier, ſtecke dies Ding ein, du
kannſt es dort vielleicht gebrauchen.“ Damit ſchob er dem
verſtändnißlos ihn anblickenden Neffen eine kleine Ring-
ſchachtel in die Hand. „Und nun komme zum Eſſen, bin
hungrig geworden von der Morgenarbeit.“
— Sie befanden ſich vor der Einfahrt des „goldenen
Hirſches“ und eine Menge junger Kameraden trat in dieſem
Augenblick aus der Thür, um ſich dem reichen Onkel aus
Amerika — dieſes Epitheton war ihm bereits beigelegt —
vorſtellen zu laſſen, darunter auch Lieutenant Olberg.
Gleich darauf rief die Eßglocke die Herren in den Speiſe-
ſaal und es blieb dem Neffen keine Zeit mehr, ſeine Neu-
gier zu befriedigen. Aber eine ſüße Ahnung hatte ihn
ergriffen, und er faßte immer und immer wieder nach der
kleinen Ringſchachtel, um ſich zu überzeugen, daß kein Traum
ihn necke. Eine roſige Zukunft dämmerte vor ihm auf
und färbte ſich köſtlicher mit jedem Glaſe Wein, das er
genoß. Erſt beim Kaffee, den Onkel und Neffe in der
Stube des erſteren einnahmen, wurde die Angelegenheit
nochmals berührt; und da ſolche Geſchäfte nach einem
guten Diner gewöhnlich raſcher und glatter von ſtatten
gehen, als vor demſelben, ſo war der junge Mann bald
orientirt, und konnte in ſeiner jubelnden Freude dennoch
kaum an die Wirtlichkeit glauben. —

„Du gehſt im vollen Anzuge hin, „komplett“ wie wir
damals ſagten, als ich noch den bunten Rock trug,“ wieder-
holte der alte Herr, „und bringſt deine Werbung in aller

Form an. Den Ring haſt du — für das Uebrige laß
mich ſorgen.“
„Aber Onkel, wenn Billas Vater nun — — 2“

„Was — wenn er nun?“ klang es zurück. „Alles in
Ordnung! ſage ich dir; hab dir's eben haarklein auseinan-
der geſetzt. Was ſoll's noch ?“
„Wenn er mich nach meinem Vermögen fragt?“ beharrte
der junge Mann, „oder wovon wir leben wollen? Denn
von meiner Lieutenantsgage und Adjutantenzulage können
wir doch nicht exiſtiren. Und die geſetzliche Zulage —“
„Aber Menſchenkind!“ rief der alte Herr faſt ärgerlich,
„glaubſt du denn, der Vater deiner Billa würde euch als
Hunger und Durſt zuſammengeben? Na, und wenn er dich
fragen ſollte, ſo ſagſt du: Der Alte aus Amerika hat mir
das Kommißvermögen geſchenkt. Und damit baſta!“
„Onkel!“ ö
„Schon gut, ſchon gut! — Apropos, morgen frage
deine vortreffliche Frau Grieben, ob ſie dir vom April
nächſten Jahres an den ganzen erſten Stock ihres Hauſes
vermiethen will. Es iſt eine der beſten Wohnungen im
Städtchen, und ein eignes Quartier müßt ihr haben. Das
Wohnen mit dem Alten zuſammen taugt nicht. Und nun
geh, mein Junge, ich will noch an meine Frau ſchreiben,
daß ſie mit Ellen kommt. Pünktlich um ſieben Uhr holſt
du mich ab. Good bye!“
ö XVIII.
Am andern Tage war die Ueberraſchung der guten
Reichaer nicht gering, als ſie die Verlobung des Lieutenants
von Fliſſen mit Fräulein Sibylla Carſtens erfuhren, und
Frau Wittwe Grieben, die ſich den Löwenantheil dieſes
glücklichen Ausganges anmaßte, trug den Kopf noch einmal
ſo hoch; ja, ſie veranſtaltete ſogar noch an demſelben Nach-
mittage einen Klatſchkaffee erſten Ranges, um die intereſſante
Neuigkeit mit den obligaten Illuſtrationen unter die Leute
zu bringen. Im Offizierkaſino war gleichfalls Feſtſtimmung
vorhanden, es erſchien die landesübliche Verlobungsbowle
und der Onkel ſpeiſte wieder mit den „Kameraden“, nach-
dem er zuvor dem Herrn Kommandeur einen Beſuch ge-
macht hatte, infolge deſſen der Geſtrenge völlig ungeſtimmt
war und ſogar an der Bowle theilnahm.
Und dort oben im Gertraudenhof war ebenfalls ein
neues freundliches Leben aufgegangen; jeden dienſtfreien
Augenblick ſah man den glücklichen Bräutigam die Kaſtanien-
allee hinaneilen und bald kam es dahin, daß dem alten
Herrn etwas zu fehlen ſchien, wenn Max nicht rechtzeitig
antrat, um beim Glaſe Wein ein Plauderſtündchen mit ihm
zu halten. „Der Junge hat es mir damals ſchon ange-
than, als er wegen des Weinkaufes zu mir kam,“ pflegte
er zu ſagen, und Billa ſetzte dann lachend hinzu: „Du
kannſt dich bei mir bedanken, daß ich ſo gewählt habe; das
iſt aber der Segen einer guten Penſion.
Auch der Großonkel erſchien faſt jeden Abend im
Gertraudenhof; während des Tages war er nicht zu haben,

denn der Verſchönerungsbau des Lindwurms nahm ihn
 
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