Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI chapter:
Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0169

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ridelberger Zanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 42.

Mittwoch, den 26. Mai

1886.

Zum Jindwurn.

Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.)

Der alte Herr lachte hell auf. „Wollen Sie eine
Weinſtube etabliren?ꝰ
„Das nicht; aber ich wüßte vielleicht einen reellen
Käufer in der Reſidenz.“ ö ö
„Und wollen uns aus Reicha den einzigen guten Wein
entführen?“ rief der Juſtizrath mit gut geſpielter Ent-
rüſtung. „Nein, lieber Herr, daraus darf nichts werden!
Uebrigens, dahinter ſteckt etwas anderes, — erzählen Sie,
wir wollen eine Flaſche Hochheimer dazu trinken.“
„Letzteres beantworte ich mit einem deutlichen „Ja!“
wenn Sie zwei Bedingungen eingehen,“ erwiderte der Offi-
zier, „nämlich erſtens, daß wir beſagte Flaſche Hochheimer
drüben im Hirſch trinken, und zweitens, daß Sie uns in
einer beſondern Gelegenheit Ihren Rath ertheilen.“
„Was iſt das wieder für eine Teufelei?“ brummte der
alte Herr, den Reſt aus ſeiner Flaſche einſchenkend. „Aber
meinetwegen, ich gehe mit, — Fliſſen iſt wohl auch im
Hirſch, denn mit dieſem hängt's jedenfalls zuſammen. Alſo
vorwärts, aber ich ſage Ihnen vorher, wir werden drüben
wahrſcheinlich Gift ſtatt Wein genießen.“ ö
„Ganz recht, Herr Juſtizrath, Fliſſen wartet drüben
ſchon. Und wenn wir dort auch „Gift“ bekommen, ſo ſind
wir doch ungeſtört unter uns bei der wichtigen Berathung,
und wichtig iſt ſie diesmal.“
„ Ach ſo!“ verſetzte der alte Herr und beide machten ſich
auf den Weg.
Die Weinſtube im Hirſch war leer, als die Herren ein-
traten und vom Wirth ehrerbietig empfangen wurden, der
die Beſtellung einer Flaſche Hochheimer nebſt drei Gläſern
mit ſtrahlender Miene aufnahm, gleichſam die Morgenröthe
einer beſſern Zeit witternd. Fliſſen wurde gerufen und
nun ſaßen die Herren in der Fenſterniſche, wo ſich ihnen
eine hübſche Ausſicht auf den belebten Marktplatz bot.
Die Vorgänge dieſes Morgens waren bald erzählt, und der
Juſtizrath lachte bei der Erinnerung an das Kaufprojekt
des Lieutenants Olberg, bis ihm die Thränen aus den
Augen rannen. ö
„Verzeihen Sie, meine Herren,“ war ſein erſtes Wort,
als er wieder zu Athem kam, „die Sache iſt wirklich zu
ſpaßhaft, ächt kameradſchaftlich, den ganzen Wein aus dem
Lindwurm anzukaufen — ausgezeichnet! Aber ich will
Ihnen einen andern Vorſchlag machen: Herr Lieutenant
von Fliſſen muß zu dem Stadtrath Carſtens gehen und
den Befehl ſeines Majors ausführen; und ich werde dahin
wirken, daß der alte Herr die Sache von der richtigen
Seite kennen lernt und einen Verdacht gegen Sie gar nicht
faſſen kann. Was nun den guten Wein anlangt, ſo darf
er nicht aus der Stadt, wir wollen ihn hier behalten.
werde dafür ſorgen, daß, falls die Weinſtube drüben wirk-
lich geſchloſſen wird, der „Hirſch“ die Weine acquirirt,
welche das Offiziercorps nicht in Anſpruch nimmt. Damit

Ich

wird allen Theilen geholfen ſein, und wir haben wieder
eine hübſche gemüthliche Kneipe.“
„Das iſt alles recht ſchön und liebenswürdig von
Ihnen, Herr Juſtizrath,“ bemerkte Lieutenant Olberg, „aber
Fliſſen fällt dabei doch herein; — Sie kennen ja Herrn
Carſtens am beſten.“
„Der Teufel iſt nicht ſo ſchwarz, als man ihn malt,“
tröſtete der alte Herr. „Carſtens iſt ein ſchroffer, eigen-

williger Mann, gewiß, — aber kein unedler Charakter;

und ſchließlich genügen zwei Worte mit ihm, um den Be-
fehl des Majors auszuführen. — In den nächſten Tagen
zieht Fräulein Billa nach dem Gertraudenhof, dann iſt die
Luft rein, und wenn Sie ihn in ſeinem Comptoir auf-
ſuchen, wird wohl alles ohne Exploſion abgehen.“
„Wenn nun das Ganze aber eine abgekartete Sache
wäre zwiſchen — nun, ich meine, wenn man mich auf
jeden Fall hineinrennen laſſen will, ſo — oder ſo — Sie
werden mich verſtehen,“ ſagte Fliſſen verſtimmt.
„Dann proklamiren wir den Belagerungszuſtand,“
ſcherzte der Juſtizrath, „und das ſtille Uebereinkommen eines
bewaffneten Friedens hört auf. Aber Scherz bei Seite,
Sie ſehen zu ſchwarz. Gehen Sie in einigen Tagen ruhig
zu dem alten Herrn und entledigen Sie ſich Ihres Auf-
trages, — wann dies am beſten geſchehen kann, ſage ich
Ihnen, nachdem ich Herrn Carſtens geſprochen habe.
Proſit, meine Herren!“ ö
X. ö ö
Einige Tage ſpäter, ſchon gegen die Mitte des October,
trat Morgens zur Kaffeezeit Herr Stadtrath Carſtens in
die Familienſtube, einen prächtigen Kranz aus Immergrün
und ſpäten Roſen in der Hand tragend. Billa, noch im
Morgenkleide, eilte ihrem Vater freundlich entgegen, wäh⸗—
mag Tante Roſe ſich lächelnd am Kaffeetiſche zu ſchaffen
machte. ö ö ö ö
„Liebes Kind,“ ſagte der alte Herr und küßte ſein
Töchterchen auf die Stirn, „heute iſt der Geburtstag deiner
verſtorbenen Mutter, und hier haſt du die Schlüſſel zu
ihrer Wohn⸗ und Schlafſtube im Gertraudenhof, ſowie zu
ihrem Schreibtiſch; mit dieſem Kranze aber ſollſt du ihr
Bild ſchmücken; Tante Roſel und Chriſtel werden dich be-
gleiten und dir helfen. Ueberhaupt wirſt du erſt einmal
prüfen müſſen, was in den Räumen wührend ſo langer
Zeit verkommen und verdorben iſt und was erneut werden
muß. — Ich wünſche, indem du heute Beſitz ergreifſt, daß
immer —“ hier wendete er ſich ab — „eine folgſame
Tochter in dieſen mir ſo theuren Räumen wohnen möge.“
„Lieber Vater,“ ſagte das junge Mädchen gerührt, in-
dem ſie ihm den Kranz abnahm, „lieber Vater, was ich
dir verſprochen habe, halte ich, aber mehr zu verſprechen —
ich müßte ja lügen, wenn ich das thäte, und was würde
meine gute Mutter dazu ſagen 2“
„Schon gut, ſchon gut, Kind!“ Damit ſetzte ſich Herr
Carſtens in's Sopha, nahm feinen Kaffee aus Tante Roſes
Händen und begann zu frühſtücken. Auch beide Frauen
ſchwiegen und die Sache gewann bereits einen etwas un-
gemüthlichen Anſtrich, als Chriſtel eintrat und den Tapezier

meldete. ö
 
Annotationen