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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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hridelberger fanilienbläkter.

2 Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

ur. 21.

Samstag, den 13. März

1886.

——

Eirik.
Novelle von Hertha von Polenz.
(Fortſetzung.)

„Wir dürfen uns den Abſchied nicht erſchweren, Eirik,“
fuhr ſie nach einer kleinen Weile fort. „Was geſchehen
ſoll, muß bald geſchehen, unſere Kräfte möchten ſonſt er-
lahmen.“ ö
„Morgen noch mußt du dies einſame Haus, deine ein-
ſame Mutter verlaſſen. Bard mag dich bis Chriſtiania
begleiten; dort kannſt du einige Tage bei alten Freunden
bleiben, dann aber eile nach Deutſchland, in mein liebes
deutſches Heimathsland! — Eirik, dort wird dein Herz
geſunden. Bring' ihm tauſend Grüße von der fernen
Hanna, die ſeinen geliebten Boden nun nie mehr betreten
wird! — Eirik, wenn es Rettung gibt für dich, dort wirſt
du ſie finden!“
Hannas Augen glänzten.
das blaſſe Geſicht.
„Meine Schweſter wird dich mit offenen Armen em-
pfangen, ſie wird Mutterſtelle an dir vertreten. Eirik, ſie
wird dich beſſer hüten und ſchützen, als Hannga es ver-
mochte. Lisbeth und Doris, Fritz und Max werden den
fremden großen Vetter anſtaunen, ſeine blaſſen Wangen
ſtreicheln, ihn freundlich tröſten. Dann wirſt du ihnen
vom kalten einſamen Norden, den ewigen Schneegefilden,
von weißen Füchſen und ſchwarzen Schwänen, den düſteren
Schluchten und hohen Fjällen, von all der nie geahnten
Wunderpracht erzählen. Sie werden athemlos lauſchen und
dich herzlich lieb gewinnen. Ja, Eirik, mein Liebling, dort
wirſt du glücklich ſein!“ ö ö
„Und du, Mutter?“ flüſterte Eirik.
Jede Röthe wich plötzlich aus ihrem Geſicht.
„Ich — Eirik?“ liſpelte ſie. „Gott nimmt ſich der
Verlaſſenen und Einſamen an, mehr weiß ich nicht.“ —

*
X

Eirik war abgereiſt. Bard hatte ihn bis Chriſtiania
begleitet und Hanna ſeine letzten Grüße überbracht.
Der Sommer neigte ſich dem Ende zu. Spinnenweb
lag auf der Heide und durch die Föhren ſtrich der
Weſtwind.
Es gibt ein Märchen von den Sommerfäden, die in
der Luft ziehen, und von denen Niemand weiß, woher
und wohin. Spinnen haben ſie nicht gewoben. '8 iſt
Zauberwerk. ö ö
In den hohen Fjällen am Ataberge ſitzt eine Elfin,
ſchneeflockige Haare, Eisſterne für Augen. Hals und Arme
ſind ihr mit Schwanenfedern bedeckt.
an ſilberner Spindel ohne Raſt noch Ruh bei Tag und
Nacht. „Geſchäftige Alben und Zweifingerhochmännlein
ſtecken ihr Werg an den Rocken. Sie laufen mit winzigen
Säcklein allenthalben über die Erde, ſitzen in jedem Fels-
ſpalt, lauern in jedem Winkel, in Küche, Hof, Haus und

Eine zarte Röthe flog über

Keller. —

Sie ſitzt und ſpinnt

Wo nun ein Seufzer laut wird, ſpringen ſie eilends
herzu, werfen ihr Säcklein darüber und tragen ihn heim-
lich fort, hin bis zum Ataberge, wo die Elfin ſpinnt.
Nur in die Kirche dürfen ſie nimmer; darum auch die
Seufzer, die dort aufſteigen, nicht nach dem Ataberge wan-
dern, ſondern hinauf durch die blaue Luft, in Gott Vaters
Schooß fliegen. —
Die Elfin aber ſpinnt die Seufzer in lange und kurze
Faden jahraus jahrein, doch wird die Spule niemals voll.
Kurz vor Herbſt fehlen nur noch einige Faden. Da aber

kommen die Weſtwinde und heulen um den Ataberg und

zauſen den Rocken und löſen die Arbeit und blaſen ſie fort
in alle Welt.
Das ſind dann die Sommerfäden, die allenthalben
herumflattern und wehen; das ſind Menſchenſeufzer, die
nicht vor ihrem Gotte laut geworden und darum ruhelos
und unerfüllt wieder heimkehren. Denn nur Gottvater kann
Seufzer gnädig aufnehmen und erhören. ö
Die Elfin aber ſieht dem wilden Spiele zu, ſtarr mit
den Eisſternen, und lacht und ſpinnt. Und immer wieder
muß ſie ſitzen und ſpinnen in alle Ewigkeit zur Strafe,
weil ſie ihren Sohn, den großen Olaf, in Sünden liebte.
So heißt's im Volksmund von den Sommerfäden.
Hanna kannte die Sage. Sie hatte im vorigen Jahre
gelächelt, wenn ihr Jemand von der Elfin Fäden ſprach.
Dies Jahr ſah ſie den Silberſchleier auf Blumen und
Sträuchern mit andern Augen an.
Sie konnte den großen Sohn noch immer nicht ver-
geſſen, ſo heiß ſie auch darum betete und rang. —
Und Eirik 2 ö
Matt und krank an Leib und Seele, ſtill und blaß war
er bei ſeiner Mutter Verwandten in Deutſchland eingetroffen.
Die hatten den großen bleichen Nordlandsſohn ſtaunend,
halb ängſtlich, aber freundlich und herzmitleidig aufge-
nommen. ö ů
Die erſten Tage ging er wie ein Träumender umher,
oder er ſetzte ſich unter die Linden am Hauſe und brütete
ſchweigend vor ſich hin.
Der Hausvater, ein ernſter älterer Mann, der tags
wichtigen Geſchäften nachging, hatte gleich am Ankunfts-
abend zu Frau Martha geſagt: „Der trägt ſchweren Kum-
mer.“ Frau Marthas mütterliches Herz aber entbrannte
alsbald vor Theilnahme und Liebe. „Was fehlt ihm doch?
— Er iſt mir wie ein eigengeborenes Kind,“ dachte ſie
wohl hundertmal des Tages, und ebenſo hielt ſie ihn.
Eines vor allem begriff ſie nicht: Warum ihr Eirik
über Hannas Thun und Leben im fernen Lande nicht Rede
noch Antwort ſtehen mochte. Sie glaubte ſogar bemerkt
zu haben, daß er nach ſolchen Fragen einſilbiger wurde.
So ließ ſie's denn und ſann auf allerhand Erheiterung.
Auch Lisbeth und Doris, die in den erſten Tagen nur
flüchtig und ſchüchtern nach dem fremden Vetter hingeſchaut,
der ſo düſter blickte und ſein weniges Deutſch ſo hart und
gebrochen ſprach, wurden mit der Zeit offen und zutraulich.
Doris erzählte ihm allerlei, und Lisbeth zeigte ihm ihre
Tauben und Hühner.
Eirik ſelber gab ſich nicht ſonderlich mit ihnen ab.
 
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