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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 62 - Nr. 69 (4. August - 28. August)
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jridelberger anilienblütter.

Belletriſtiſche Veilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 66.

Mittwoch, den 18. Auguſt

1886.

Der Ring.
Novelle von E. Hartner.
(Fortſetzung.)
Er war in dem Gedränge verſchwunden, das ſich gegen
die Thür ergoß, ſie ſtarrte ihm traumverloren nach, den
kleinen Goldreif mit dem blitzenden Stein in der Hand.
Nun kamen auch die Eltern, das brachte ſie zur Beſinnung.
Schnell barg ſie den Ring in ihrem Spitzentuch und be-
mühte ſich, den Eltern eine klare Stirn zu zeigen, und da
war auch Sophie, die ewig Neckiſche. ö
„Sei nur nicht böſe, liebes Kind, daß wir dich haben
warten laſſen,“ ſagte der Vater, „die Excellenz war ſo
liebenswürdig, wir konnten die Sache nicht beſchleunigen.
Du warſt nicht allein, Herr von Mannhardt hat mit dir
geſprochen?“
War es nur Paulas Einbildung oder ſprach der Vater
die letzten Worte mit ganz eigenthümlichem Ton? „Ja!“
ſagte ſie gepreßt und ſenkte den Blick.

„So, ſo!“ bemerkte der Graf und zog ſeinen Ueber-

zieher an, „ſo, ſo! — Was hatte er denn ſo eifrig mit
dir zu reden?“ ö
Paula zog ſich das weißwollene Kopftuch ſo tief ins
Geſicht, daß es ihr Antlitz faſt ganz bedeckte.
morgen bei uns Viſite machen!“

Die Toilette war beendigt. „Schon 2“ fragte der Graf

und zündete ſich eine Cigarre an. „Schon morgen!“ wie-
derholte er gedehnt. „Dieſer Herr hat es etwas eilig.“
„Das kann ich nicht tadeln, lieber Bernhard,“ nahm
die Gräfin Erk das Wort. „Die diesjährige Saiſon iſt
nur kurz. Will Herr von Mannhardt überhaupt bei uns
verkehren, ſo thut er wohl, keine Zeit zu verlieren. Ich
denke, er wird uns auch ſeinen Freund mitbringen!“
Sie waren auf der Straße, der Erk'ſche Wagen fuhr
vor, der Diener ſtand am Schlag. Der Graf half ſeinen
Damen einſteigen. „Entſchuldige mich, liebe Eugenie,“
ſagte er. „Ich gehe lieber, — und trinke im Vorüber-
gehen vielleicht noch ein Glas Bier, erwartet mich nicht!“
„Die Pferde zogen an, der Wagen raſſelte davon. Die
drei Damen ſchwiegen; jede von ihnen verfolgte ihre eigenen

Gedanken. Die Gräfin ſann über den großen Ball nach,

den ſie in Kurzem im Kaſino zu geben gedachte. Sie
überſchlug die Anzahl der Tänzer und fand es angenehm,
daß ſie morgen ſchon mit Herrn von Mannhardt Rückſprache
über die erforderlichen Schritte nehmen konnte. Sophiechen
hatte ihr krauſes Köpfchen in die Wagenecke gedrückt und
hing dem allerliebſten kleinen Roman nach, den ihre kleinen

geſchickten Händchen hatten einfädeln helfen, und Paula —

nun, Paula ängſtigte ſich und wußte keinen klaren Ge-
wng: zu faſſen. Sie hatte nur die eine dumpfe Empfin-
doch der morgende Tag niemals anbrechen wollte!
Aber die Fahrt nahm ein Ende, und zwar ein ziemlich
ſchnelles, der Mond wandelte ſeine Bahn weiter und die
Stunden der Nacht ſtanden nicht ſtill. Der junge Tag
brach an und immer noch wußte Paula nicht im Geringſten,

„Gute Nacht, mein liebes Kind!

„Er will

eigentlich gar nichts wußte? Der Ring!

wenn doch dieſe Fahrt kein Ende nehmen, wenn

was ſie thun und was ſie nicht thun ſollte. Sollte ſie
ſich dem Vater, der Mutter, der Couſine anvertrauen?
Ach, der Vater ſaß im Freundeskreiſe beim Glaſe Bier, er
ahnte wenig, daß die Tochter gern den Kopf an ſeine Bruſt
geſchmiegt und ihn flüſternd gebeten hätte: hilf mir, ich
weiß mir ſelber nicht zu helfen! Die Mutter, dieſe ſonſt
ſo gute, ſorgſame Mutter, hatte, ganz in ihren Ball ver-
tieft, keinen Blick für die Verſtörtheit ihres Kindes gehabt.
Sie hatte ihr nur flüchtig die Stirn geküßt und geſagt:
Du haſt die erſte Feuer-
probe der großen Welt gut beſtanden!“ Die Couſine hatte
ſie ſchelmiſch lachend angeſehen und geſagt: „wollen wir
noch ſchwatzen, oder ſind dir die Eindrücke dieſes Tages
zu hehr und zu groß, um heute ſchon von mir mißhandelt
zu werden?“ und da Paula nicht antwortete, hatte ſie ſich
trällernd zurückgezogen. Was ſie geſungen, war: „Er, der
Herrlichſte von allen!“
Paula weinte nicht, ſie lachte auch nicht. Sie ſaß
aufrecht im Bett und rang die Hände in wortloſer Angſt.
Ach, ſie hatte von dieſem Manne geträumt, geträumt mit
der Unſchuld des Kindes, mit der Innigkeit ſchüchtern er-
wachender Jungfräulichkeit, aber — liebte ſie dieſen Mann ?

Sie wußte es nicht, ſie konnte es nicht ſagen, und doch

hatte ſie ſeinen Ring angenommen! Mehr aus Schreck
und Verwirrung, als in dem Bewußtſein eines bindenden
Verlöbniſſes, aber ſie hatte ihn doch angenommen! War
ſie nun verlobt? Und wenn ſie es war, was würde ihr
Vater, was die Mutter ſagen? Sie war des Grafen Erk
einzige Tochter, einzige Erbin. Sie kannte des Vaters
hochſtrebenden Sinn. Der gutmüthige, bequeme, leichtlebige
Vater, der es mit allen Menſchen gut meinte, hatte auch
ſeine Ecken und Kanten. Es hatte langer Jahre bedurft,

um ihn mit der Heirath ſeiner Schweſter mit dem einfachen
Lieutenant von Cramer zu verſöhnen, würde er ſeine Erb-

tochter dem Lieutenant von Mannhardt geben, von dem er
Wenn ſie nur
den Ring nicht angenommen hätte! Wenn es nur ein
Mittel, eine Manier gäbe, ihm denſelben wieder zuzuſtellen.

Sollte ſie ihm ſchreiben, den Ring einlegen, um Aufſchub
bitten? — Dann aber mußte ſie erſt ſeine Wohnung er-

fragen, einen Dienſtboten ins Vertrauen ziehen, — nein,
nein, und abermals nein! Der erſte Schritt war gethan,
der zweite und dritte mußte folgen, mochte nun daraus
entſtehen, was da wollte! Und warum ſchließlich ſollte ihr
dieſe ſo raſche, ſo ganz unerwartete Erfüllung ihres Trau-
mes nicht Glück bringen? Der junge Tag glomm eben

auf, der ſpäte, blaſſe Wintertag, als Paula abgehetzt und

tief erſchöpft ihr Haupt zurücklegte und noch einige Stun-
den Ruhe fand. Im Einſchlafen zogen ihr noch Julias
Worte durch den Sinn: ö
„Wenn ich gleich dein mich freue, 2
Freu' ich mich nicht des Bundes dieſer Nacht.
Er iſt zu raſch, zu unbedacht, zu plötzlich,
Gleicht allzuſehr dem Blitz, der nicht mehr iſt,
Noch eh' man ſagen kann: es blitzt!?
II. ö
Als der Ball zu Ende geweſen war, hatte Lieutenant
von Bohsdorf vergebens in der erleuchteten Vorhalle des
 
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