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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 62 - Nr. 69 (4. August - 28. August)
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jridelberger anilitnt

lätter.

Belletriſtiſche Reil zur Seidelberger Seiting.

Ur. 68.

Mittwoch, den 25. Auguſt

1886.

Der Ring.
Novelle von E. Hartner.
Fortſetzung.)
„Können Sie mir nicht' einen Rath wegen der Woh-

nung geben?“ ſagte der Graf zu ihm. „Wir können im
Hotel nicht bleiben, es müßten aber möblirte Zimmer ſein,

denn ich will mir die Sachen weder aus Schönheide kom-

men laſſen, noch hier neue kaufen.
„Ich denke wohl, daß eine ſolche Wohnung zu finden
ſein würde, wenn die Damen auf manche kleine Bequem-
lichkeit verzichten wollen,“ ſagte Herr von Mannhardt in
ſeiner Verlegenheit lauter, als gerade nöthig war und
brachte dadurch das Geſpräch der andern zum Stocken.
„Sagt Ihnen das Hotel nicht zu, Herr Graf?“ ö
„Mir iſt es ſchon recht,“ meinte der Graf behaglich,
„allein meiner Tochter ſcheint die ewige Unruhe nicht zu
bekommen. Sie wird nervös und ſchreckhaft; heute fuhr
ſie bei jedem Schritt zuſammen!“

Die nervöſe Schreckhaftigkeit der jungen Gräfin ſchien

ſich auch dem Gaſte mitzutheilen, Herr von Mannhardt ver-
färbte ſich abermals.

Der Freund ſtand auf und machte dem Beſuch ein
leb-
haften Verkehr halten und ſich gegenſeitig zu Dienſten ſein

Ende. Man ſchied mit den üblichen Verſicherungen,
zu wollen.
Auf der Straße nahm Wilhelm von Bohsdorf den Arm

des Freundes. „Alter Junge, ich gratulire dir!“ ſagte er
luſtig. ö ö ö ö

„Ich danke dir, Wilhelm, dieſe Sache wäre alſo glück-

lich erledigt!“ ſagte Viktor von Mannhardt gepreßt. „Wenn
du aber wüßteſt, wie erbärmlich, nichtswürdig und feige
ich mir vorkomme, ſo würdeſt du Mitleid mit mir haben!“ —
„Was war das mit dem Ring, Paula?“ fragte die
Gräfin mit ſtrengem Ton, als ſie mit der Tochter wieder
allein war.
„Ein Scherz, liebe Mutter, weiter nichel⸗ ſagte Paula
ausweichend. ö
Die Gräfin betrachtete die Tochter verwundert. „Ich
muß dich darauf aufmerkſam machen, Paula, daß ein
Scherz, der damit endet, daß eine Dame den Ring eines
Herrn annimmt und. über Nacht behält, ein etwas weit-
gehender Scherz iſt. Die Herren könnten davon einen Ge-
brauch machen, der — für die Dame nicht angenehm wäre.
Merke dir das!“

Paula neigte ſich und küßte der Gräfin die Hand.

„Verzeih', liebe Mutter, — ich werde mich in Zukunft
beſſer vorſehen!“ Eine glühende Wräne fiel auf die Hand
der Gräfin.

„Liebes Kind, ich habe es nicht ſo ernſt gemeint, ich
weiß ja, daß ich mich auf dich verlaſſen kann!“ rief die
Mutter erſchrocken. „Wie kannſt du dir eine kleine Be-
merkung ſo zu Herzen nehmen!“

iſt ſo hohl,

kehren!“ rief Paula und war ich ſchlu end an der
Mutter Bruſt. ö 0 0

aber der Sylveſter vorüber,
„Ich — o Mama, Mama, gib dieſes Leben auf! 65

ſo nichtig, laß uns nach Schönheide zurück-

Die Gräfin küßte und liebkoſte ſie in einer jener ſel-
tenen Ausbrüche mütterlicher Zärtlichkeit, die bei ihrer
herben und ſtolzen Natur etwas beſonders Ergreifendes
hatten. „Du wunderliches Kind!“ ſagte ſie, ſelbſt unter
Thränen lächelnd. „Oft ſo unnahbar und heute ſo krank-
haft empfindlich! Der Papa hat wirklich recht, wir wer-
den uns nach einer ruhigeren Häuslichkeit umſehen müſſen,
denn ich möchte doch nicht, daß du jede kleine Ausſtellung
mit ſo heißen Thränen bezahlſt! — Und nun lege dich
nieder und erhole dich, ich werde mit Sophie einige Viſiten
machen und dich mit Unwohlſein entſchuldigen!“
Paula gehorchte, aber ſie konnte lange keine Ruhe fin-
den. Es war gut, daß es ſo gekommen war und doch —
ihre junge, ſtolze Seele bäumte ſich auf, — ſie war ver-
ſchmäht! ö
IV.
Die Ueberſiedelung der gräflich Erbſchen Familie in
eine angemeſſene Privatwohnung ſtieß auf keine beſonderen
Schwierigkeiten. Es fanden ſich ſowohl die genügende An-
zahl von Räumen, als auch eine Einrichtung, die zwar den
Damen in der erſten Zeit ſehr komiſch erſchien, an deren
altfränkiſche Einfachheit ſie ſich aber bald gewöhnten. Der
Strudel der Saiſon war auf ſeiner Höhe, die muthwillige
Nichte ſchwamm luſtig mit, und Paula wurde auch in den
wilden Reigen gezogen, ob ſie nun wollte oder nicht.
Die Wahrheit zu ſagen, hatten der Gräfin einige andere
Ideen vorgeſchwebt, als ſie den Gedanken des Gemahls,
nun, da Paula erwachſen ſei, einmal einen Winter in der
Stadt zuzubringen, begierig aufgegriffen hatte. Paula
hatte manche Talente. Sie zeigte viel Farbenſinn und

zeichnete ſehr ſauber und zierlich, auch beſaß ſie eine wohl-

klingende, noch ziemlich ungeſchulte Singſtimme.
Die Gräfin hatte gewünſcht, daß die Tochter ihre Vor-
mittage mit Ausbildung dieſer Talente zubringen möchte,
Gelegenheit dazu bot die bedeutende Provinzialhauptſtadt
zur Genüge, mochten die Abende dann dem Vergnügen ge-
widmet werden!
Das war ein guter Plan, allein bei der Ausführung
zeigte ſich, daß die Gräfin ihre Rechnung ohne zwei wich-
tige Faktoren gemacht hatte, — was Wunder, wenn die
Ausführung nicht ſtimmen wollte. Die Gräfin hatte weder
an den unſtäten Sinn ihrer Nichte gedacht, die als Paulas
Gefährtin und Freundin den Aufenthalt in der Stadt
theilen ſollte, noch war ihr eingefallen, zu bedenken, daß

mit Eintritt des neuen Jahres ein ſonniges, mäßiges Froſt-

wetter auf lange Wochen die herrlichſte Eisbahn liefern
würde. Vor Weihnachten war an eine Ueberſiedelung nach
der Stadt ohnehin nicht zu denken geweſen, wie hätte
Schönheide das Feſt begehen können, ohne die herrſchaft-

liche Familie, und zu Neujahr mußte der Graf ſeinen

Rechnungsabſchluß machen, ſo wurde die verhältnißmäßig
ſtille Zeit des Winters auf dem Lande zugebracht. Als
der Neujahrstag mit ſeinen
unzähligen Gratulanten gekommen war, da duldete es die
Gräfin auch nicht länger auf dem Gute und ſie beſtand
auf der ſofortigen Ueberſiedelung. ö
Merkwürdigerweiſe zeigte ſich jetzt plötzlich von ſeiten
 
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